# taz.de -- Kasse muss Operation in den USA zahlen: Richter retten Leben | |
> Das Bremer Sozialgericht hat entschieden, dass die Krankenkasse für eine | |
> teure Behandlung im Ausland zahlen muss, wenn sie alternativlos ist. | |
Bild: Sollte nicht von Kostenerwägungen abhängen: der Zugang zum OP | |
Bremen taz | Ein Urteil, das aufhorchen lässt: Wie hoch dürfen die Kosten | |
für eine neuartige Behandlung eines lebensbedrohlich Erkrankten sein? Und | |
zwar bei einer Behandlung im Ausland, bei der es noch kein durch Studien | |
gesichertes Wissen darüber gibt, ob sie wirklich Erfolg hat. Das Bremer | |
Sozialgericht hat nun entschieden, dass die gesetzliche Krankenkasse einem | |
schwerkranken Jugendlichen die Behandlung in den USA bezahlen muss, da es | |
in Deutschland keine Alternative dazu gab. Dies gelte unabhängig von den | |
Kosten – in diesem Fall waren es knapp 300.000 Euro. | |
Der Jugendliche wurde mit einem schweren Herzfehler geboren und litt als | |
Folge an einer seltenen Erkrankung, einer Bronchitis fibroplastica. Diese | |
kann zu lebensbedrohlichen Erstickungsanfällen führen. Laut einer Studie | |
versterben 50 Prozent der daran Erkrankten innerhalb von fünf Jahren oder | |
sie benötigen eine Herztransplantation. Vor zwei Jahren jedoch stellte ein | |
Arzt vom renommierten Children’s Hospital of Philadelphia eine neuartige | |
Behandlungsmethode vor. Mit dieser habe er bereits 18 Patienten heilen | |
können. | |
Als die Eltern von dieser Behandlung erfuhren, stellten sie einen Antrag | |
zur Kostenübernahme bei der Krankenkasse. Sowohl die behandelnden Ärzte als | |
auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung empfahlen die | |
Behandlung. Denn in Deutschland gibt es schlicht keine erfolgversprechende | |
Behandlung. | |
Die Krankenkasse wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen. Ihre | |
Begründung: Es fehle an gesicherten Studien zu den Erfolgsaussichten der | |
Behandlung. Zudem seien die hohen Kosten der Behandlung nicht begründet. In | |
einem Eilverfahren klagten die Eltern Mitte letzten Jahres. Das Bremer | |
Sozialgericht gab ihnen recht und trug der Kasse auf, die Kosten vorläufig | |
zu übernehmen. | |
In der Hauptverhandlung kam nun die Bestätigung. Die noch bessere | |
Nachricht: Unmittelbar nach der Entscheidung im Eilverfahren wurde der | |
Jugendliche in Philadelphia behandelt. Seitdem, so gab er in der | |
Hauptverhandlung an, habe er keine Erstickungsanfälle mehr gehabt. | |
Da sich die Richter*innen im Urteil auf einen sogenannten Seltenheits- | |
beziehungsweise Ausnahmefall beriefen, betonen die Krankenkassen, dass | |
damit keine Tür geöffnet werde für die Kostenübernahme neuartiger | |
Behandlungsmethoden in anderen Fällen. „Kein Fall ist gleich“, sagt Ann | |
Marini, Sprecherin des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenkassen | |
(GKV). Behandlungen im Ausland, dazu noch ohne Studien über deren | |
langfristigen Erfolg, würden auch künftig keine Standardlösung. „Es braucht | |
weiterhin zunächst Studien, die Auskunft über Risiken und Nebenwirkungen | |
geben“, sagt Marini. | |
Gleichwohl reagierten andere Krankenkassen mit Verständnis auf die | |
Gerichtsentscheidung. „Aus Sicht des AOK-Bundesverbandes scheint das Urteil | |
des Gerichtes nachvollziehbar“, sagt dessen Sprecher Kai Behrens. Nach der | |
Erfahrung der AOK seien solche Entscheidungen aber sehr selten. | |
## Ausnahmen sind möglich | |
Tatsächlich sind Ausnahmen erst seit 2005 möglich. Die als „Nikolausurteil�… | |
bekannt gewordene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom | |
Nikolaustag 2005 sorgte für die Möglichkeit von Ausnahmefällen. Bei | |
lebensbedrohlichen oder wahrscheinlich tödlich endenden Krankheiten können | |
auch solche Behandlungen eingesetzt werden und von Krankenkassen bezahlt | |
werden, die noch nicht als Standardleistung geregelt sind. „Da der | |
Anwendungsbereich der Vorschrift sehr eng ist, wurden solche Fälle in der | |
bisherigen Rechtsprechung deutlich häufiger abgelehnt als bejaht“, erklärt | |
Behrens. Der Verband der Ersatzkassen (vdek), der die meisten Mitglieder in | |
Deutschland hat, wollte sich zum Urteil nicht äußern. | |
Die Entscheidung, welche Behandlungen in Deutschland von gesetzlichen | |
Krankenkassen übernommen werden, fällt der Gemeinsame Bundesausschuss | |
(G-BA). Dieser setzt sich aus Vertreter*innen der Krankenkassen, der | |
Ärzteschaft und die Krankenhäuser zusammen. Kristine Reis, Sprecherin des | |
G-BA, verweist darauf, dass alle neuen Behandlungen immer erst auf ihren | |
diagnostischen oder therapeutischen Nutzen, die medizinische Notwendigkeit | |
und Wirtschaftlichkeit geprüft und bewertet würden. | |
Die behandelnden Ärzte des Jugendlichen am Universitätsklinikum | |
Schleswig-Holstein deuteten im Verfahren immerhin an, dass man erwäge, | |
diese Behandlungsmethode zu übernehmen. Vermutlich, und das würde auch die | |
Krankenkasse freuen, fielen die Kosten dann tatsächlich deutlich geringer | |
aus, als es in den USA der Fall war. Wie Gerichtssprecherin Verena | |
Sahlender allerdings mitteilt, hat die Krankenkasse bereits Berufung | |
eingelegt. Nun muss sich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen damit | |
auseinandersetzen. | |
18 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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