| # taz.de -- Professorin über Gender-Studies-Verbote: „Ein Angriff auf die De… | |
| > Das Studienfach Gender Studies gerät europaweit immer stärker in die | |
| > Kritik. In Ungarn ließ Viktor Orbán es dieses Jahr verbieten. | |
| Bild: Wollen die Einschränkungen der Regierung nicht hinnehmen: ungarische Stu… | |
| taz: Frau Pető, wie haben Sie [1][das Verbot der Gender Studies] erlebt? | |
| Andrea Pető: Vor dem Verbot haben Gender-WissenschaftlerInnen unbeobachtet | |
| und zum Teil marginalisiert gearbeitet. Sie hockten in Büros in Kellern | |
| oder im Dachgeschoss. Dann kamen die Kampagne und der Bann der Regierung, | |
| und plötzlich waren alle UngarInnen ExpertInnen in Sachen Gender Studies. | |
| Jede und jeder hat eine Meinung zu den Literaturlisten der Universitäten | |
| oder zu Möglichkeiten der AbsolventInnen auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig | |
| hat der jüngste Streik an den Universitäten ELTE, Corvinus und CEU gezeigt, | |
| dass die Gender Studies dabei sind, Mainstream zu werden. Im November | |
| hatten ProfessorInnen und DozentInnen ihre Seminare als eine Form von | |
| Protest gehalten: Sie haben über die Gender-Dimension ihrer Fächer | |
| gesprochen. Das wäre nicht passiert, wenn die Regierung die Gender Studies | |
| nicht verbannt hätte. Die Attacken auf die Gender Studies eröffnen auch | |
| neue Möglichkeiten. | |
| Kommen die Studierenden noch? | |
| In den letzten Jahren ist die Anzahl der Bewerbungen für die Gender Studies | |
| gestiegen. Das Gefühl, etwas „Cooles“ zu studieren, hat mehr StudentInnen | |
| an die CEU gebracht. StudentInnen und die Fakultät wissen, was sie tun und | |
| dass das, was sie tun, wichtig ist. Die Situation führt dazu, dass über | |
| Dinge gesprochen wird, die wichtig sind: Es gibt großes Interesse an neuen | |
| Ideen, Emotionen und Fakten. Ich betrachte das als große berufliche | |
| Möglichkeit. Doch zugleich ist das akademische Leben für | |
| WissenschaftlerInnen sehr ernst geworden. | |
| Organisieren Sie sich als WissenschaftlerInnen? | |
| Die Gender Studies wurden Anfang der 2000er Jahre in Europa erfolgreich | |
| institutionalisiert: Nationale Gender Studies Associations haben sich | |
| gebildet, ebenso [2][die Dachorganisation AtGender], deren Co-Vorsitzende | |
| ich eine Weile war. Das ist einer der Gründe, warum die Mobilisierung | |
| schnell und effektiv war, als die Gender Studies aus Ungarn verbannt | |
| wurden: 120 internationale Master-Programme haben Protestbriefe an die | |
| ungarische Regierung und den Regierungschef geschrieben, ebenso viele | |
| RektorInnenkonferenzen. | |
| Wie wird es für die Gender Studies im Land weitergehen? | |
| Es wird interessant, zu verfolgen, wie die EU zusammen mit den jeweiligen | |
| KommissarInnen auf die Verletzungen der akademischen Freiheit reagiert. Die | |
| Regierung hat die Lizenz des zweijährigen Studienprogramms der Gender | |
| Studies aufgehoben, ohne die Meinung professioneller Institutionen | |
| einzuholen. Aber die Gender-Studies-Programme der CEU sind von den USA | |
| akkreditiert. In den letzten Jahren hat die ungarische Regierung die | |
| Menschenrechte von einem universellen Konzept hin zu einem Privileg einer | |
| bestimmten Gruppe neu definiert. Wissenschaft zu betreiben ist ein | |
| Menschenrecht. Die Tatsache, dass die ungarische Regierung ohne Rücksprache | |
| mit Berufsverbänden die Studienlizenz eines Bildungsprogramms widerrufen | |
| hat, ist eine Verletzung der Menschenrechte. | |
| Anfang Dezember kündigte die CEU an, wegen des Drucks der Regierung [3][im | |
| September nach Wien zu ziehen]. Gehen Sie selbst mit? | |
| Ja, ich arbeite seit 1991 für die CEU, damals war ich erst die vierte | |
| Angestellte. Die Universität hat sich von einem winzigen Büro zur besten | |
| des Landes entwickelt. Ich nutze die Chance, weiter an ihr zu arbeiten. | |
| Sie beschreiben Gender als symbolischen Kitt, den Rechte nutzen, um | |
| gesellschaftliche Bereiche wie den konservativen Mainstream oder auch die | |
| Kirche zu erreichen. Ist es das, was Sie in Ungarn momentan beobachten? | |
| Der Ausdruck „symbolischer Kitt“ bezieht sich auf eine Metapher, die in der | |
| Lage ist, die Gefühle von Menschen anzusprechen – zum Beispiel Unsicherheit | |
| über die Welt um sie herum – und sie in Richtung identitärer Belange zu | |
| lenken. Dabei ist Gender auf viele Arten symbolischer Kitt: Erstens | |
| konstruiert die Anti-Gender-Bewegung eine Dynamik, mit der die Vorstellung | |
| von Gender als etwas Bedrohliches wahrgenommen wird. Das Konzept von | |
| „Genderideologie“ soll das Scheitern demokratischer Repräsentation | |
| kennzeichnen und bestimmte Aspekte der sozialen und ökonomischen Ordnung | |
| zurückweisen, etwa die Schwächung von sozialer, kultureller oder | |
| politischer Sicherheit. | |
| Und zweitens? | |
| Zweitens ist die Dämonisierung der „Genderideologie“ ein rhetorisches | |
| Schlüsselwerkzeug, um für ein breiteres Publikum eine neue Übereinkunft zu | |
| schaffen, was normal und legitim ist. Die Weltsicht der „Genderideologen“ | |
| wird dämonisiert. Das Paradigma der Menschenrechte und der progressiven | |
| Tradition der Gleichheit, das in Europa und Nordamerika lange relativer | |
| Konsens war, wird zurückgewiesen. Gleichzeitig verspricht die Rechte eine | |
| lebbare, praktikable Alternative, die auf dem Konzept von Familie, Nation | |
| und religiösen Werten basiert und eine sichere Gemeinschaft als Heilmittel | |
| für Individualismus und soziale Vereinzelung bietet. Und drittens ist die | |
| Opposition zu Gender auch eine Möglichkeit für die Rechte, eine breite | |
| Allianz verschiedener AkteurInnen zu schmieden, die in der Vergangenheit | |
| nicht unbedingt scharf darauf waren, zu kooperieren. Gender ist also | |
| symbolischer Kitt, um verschiedene religiöse und politische Kräfte | |
| zusammenzubinden, von fundamentalistischen Gruppen bis hin zu | |
| Fußballhooligans in manchen Ländern wie Polen. | |
| Woher kommt diese Dämonisierung? | |
| Die Angriffe auf die Gleichstellung der Geschlechter oder die | |
| Anti-Gender-Bewegung sind nicht nur Ableger eines jahrhundertealten | |
| Antifeminismus, sondern auch ein grundlegend neues Phänomen: Sie sind ein | |
| Angriff auf den Liberalismus und damit indirekt auf die Demokratie. | |
| Liberalismus und Demokratie sind seit der Aufklärung miteinander | |
| verflochten. Wenn ein Politiker behauptet, dass die einzige Bestimmung der | |
| Frau die ist, Kinder zu bekommen, ist das nicht einfach eine konservative | |
| Reaktion auf die 68er. Die Anti-Gender-Bewegung ist eine nationalistische, | |
| neokonservative Antwort auf die Krise der globalen neoliberalen | |
| Weltordnung. Sie will, im gramscianischen Sinne, eine neue Weltordnung | |
| schaffen. Deshalb sollte sie alle Menschen interessieren, die sich für | |
| Menschenrechte und Demokratie einsetzen – nicht nur GenderforscherInnen. | |
| Wie würden Sie die Situation von Frauen in Ungarn beschreiben? | |
| Meine größte Angst ist, dass Frauen Hilflosigkeit verinnerlichen, dass sie | |
| müde, erschöpft und depressiv sind. Die Politik konzentriert sich gerade | |
| nicht auf Individuen, sondern auf die Familie. Nun wird in Ungarn oder auch | |
| in Polen derzeit das Konzept der Frau durch das Konzept der Familie | |
| ersetzt. Frauen als diejenigen, die unabhängig agieren, verschwinden | |
| langsam aus politischen Übereinkünften. Was bleibt, ist das Konzept der | |
| Familie. Vor Ort polarisiert sich die Gesellschaft weiter, und die Frauen, | |
| von denen erwartet wird, unbezahlte Care-Arbeit zu leisten, sind am | |
| erschöpftesten und am leichtesten verletzbar. | |
| Importiert Ungarn dafür [4][antifeministische Ideen von ganz rechts]? | |
| Ungarn ist ein Labor. Was hier funktioniert, werden andere illiberale | |
| Kräfte nachmachen. KollegInnen, die belgische rechtsextreme Gruppen | |
| beobachten, erwähnten, dass diese über Ungarn und das Gender-Studies-Verbot | |
| posten und hoffen, Vokabular und Know-how selbst anwenden zu können. | |
| Flämische Studierende haben Ungarn besucht und Premierminister Orbán | |
| getroffen. Die Studierenden haben sofort einen Brief an den Rektor der | |
| Universität Gent geschrieben, er solle das Master-Programm der Gender | |
| Studies stoppen. Es gibt eine transnationale Bewegung, die geschickt | |
| Toolkit und Framing verwendet, die in einem Land funktionieren, um in | |
| anderen Ländern dasselbe zu machen. Deshalb sollte auch die Antwort | |
| transnational und innovativ sein. WissenschaftlerInnen sollten aufhören zu | |
| glauben, dass sie im hegemonialen Kampf um die Frage, was Wissenschaft ist, | |
| einfach dadurch geschützt seien, dass sie mit dem weitermachen, was sie | |
| auch zuvor gemacht haben. Sie müssen anfangen, sich zu organisieren, und | |
| das nutzen, was sie noch haben: Institutionen, Netzwerke und moralische | |
| Kraft. | |
| Aus dem Englischen übersetzt von Patricia Hecht | |
| 18 Dec 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ungarn-verbietet-Gender-Studies/!5525898 | |
| [2] https://atgender.eu/ | |
| [3] /Hochschulgesetz-in-Ungarn/!5553262 | |
| [4] /Kolumne-German-Angst/!5548682 | |
| ## AUTOREN | |
| Gergely Márton | |
| Eva Vándor | |
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