# taz.de -- Versäumnis beim Naturschutz: Trödeln wird für Deutschland teuer | |
> Deutschland droht eine EU-Strafe in Millionenhöhe. Denn Niedersachsen | |
> hinkt mit der Ausweisung von Naturschutzgebieten hinterher. | |
Bild: Schön so ein herbstlicher Wald. Noch schöner, wenn das Bundesland nicht… | |
Durch den niedersächsischen Landkreis Osnabrück schlängelt sich die Düte, | |
ein Berglandbach, an dem viele schützenswerte Arten vorkommen. Etwa die | |
Groppe, ein kleiner Süßwasserfisch, der wenig respektvoll auch Rotzkopf | |
genannt wird und sehr sensibel auf Gewässerverunreinigungen reagiert. | |
2007 hat der Landkreis Osnabrück den 31 Kilometer langen Fluss mit seinen | |
naturnahen Ufern und Seitenbächen bei der Europäischen Union als FFH-Gebiet | |
gelistet. Der nächste Schritt hätte dann die Ausweisung eines Natur- oder | |
Landschaftsschutzgebietes sein müssen – passiert ist das aber bis heute | |
nicht. Nicht an der Düte und auch nicht an mindestens 90 anderen Orten in | |
Niedersachsen. Deutschland drohen deshalb nun Strafzahlungen in | |
Millionenhöhe von der EU. | |
In Europa entsteht mit dem Projekt Natura 2000 ein großes Netz an | |
Schutzgebieten. Die EU-Mitgliedstaaten haben dafür seit den 90er Jahren | |
Gebiete gemeldet, in denen Pflanzen, Vögel und andere Tiere leben, die die | |
EU in der sogenannten Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie als schützenswert | |
definiert hat. | |
Die EU hat den Staaten bereits mehrfach Fristen gesetzt und im Jahr 2015 | |
sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil | |
die Gebiete nicht rechtlich abgesichert, also zu Schutzzonen gemacht | |
wurden. Gerade läuft die allerletzte Frist bis zum 31. Dezember 2018. Das | |
hat Druck aufgebaut. | |
„Die Mehrheit der Bundesländer wird es schaffen“, heißt es aus dem | |
Bundesumweltministerium. Wenn noch ein anderes Bundesland betroffen sei, | |
dann in wesentlich geringerem Ausmaße als Niedersachsen, so eine | |
Sprecherin. Dort werden mindestens 90 von insgesamt 385 Gebieten des Landes | |
Ende Dezember nicht rechtlich gesichert sein. | |
## 11,83 Millionen Euro Zwangsgeld | |
Aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag | |
geht hervor, dass Deutschland, sollte es nach dem Ende des | |
Vertragsverletzungsverfahrens zu einer Verurteilung durch den Europäischen | |
Gerichtshof kommen, mindestens 11,83 Millionen Euro Zwangsgeld zahlen muss. | |
Dazu kommen 861.000 Euro – für jeden Tag der Fristüberschreitung. Die | |
Bundesregierung kann sich die Strafe von Niedersachsen zurückholen. | |
Die Europäische Kommission erwarte, dass die noch ausstehenden Gebiete | |
„ohne weitere Verzögerungen erfolgen werden“, sagt ein Sprecher aus | |
Brüssel. Ansonsten werde die EU weitere Schritte im laufenden | |
Vertragsverletzungsverfahren in Betracht ziehen. | |
Die Kommission habe „bei der Umsetzung der Natura-2000-Richtlinie sehr viel | |
Geduld mit Niedersachsen bewiesen“, findet der Bundestagsabgeordnete | |
Sven-Christian Kindler (Grüne). „Die rot-schwarze Regierung muss jetzt | |
endlich mal zu Potte kommen.“ | |
Das niedersächsische SPD-Umweltministerium schiebt den schwarzen Peter | |
jedoch weiter. „Das Hauptversäumnis liegt darin, dass mit der Sicherung der | |
FFH-Gebiete in Niedersachsen erst viel zu spät begonnen wurde“, sagt eine | |
Ministeriumssprecherin. Man habe viel zu lange „auf das unzulässige | |
Instrument des Vertragsnaturschutzes gesetzt“. Ex-Umweltminister | |
Hans-Heinrich Sander (FDP) hatte freiwillige Vereinbarungen für den | |
Naturschutz mit Flächeneigentümern geschlossen. Umweltminister Olaf Lies | |
(SPD), der seit November 2017 im Amt ist, betont: „Wir versuchen nun mit | |
Hochdruck zu retten, was zu retten ist.“ | |
In Niedersachsen sind die Landkreise für die Ausweisung von Schutzgebieten | |
zuständig. Kompliziert wird es, wenn sich ein Naturschutzgebiet durch | |
mehrere Landkreise zieht. Denn in Niedersachsen werden bereits für jede | |
einzelne Fläche Verordnungen erlassen, die abgestimmt werden müssen. Wie | |
darf ein Landwirt düngen, wo darf er pflügen und müssen Flussbegradigungen | |
rückgängig gemacht werden? Auch die Öffentlichkeit wird beteiligt. | |
## Die nächste Frist: 2020 | |
Das koste mehr Zeit als in anderen Bundesländern, in denen es teilweise | |
allgemeingültige Schutzverordnungen für alle Gebiete gebe, heißt es aus dem | |
niedersächsischen Umweltministerium. Das Land hofft, dass Niedersachsen | |
dafür bei der Erstellung der Managementpläne für die Schutzgebiete | |
schneller ist. Denn auch hierfür gibt es eine Frist: 2020. | |
In Osnabrück sieht der Landkreis im Gebiet um die Düte seine Hände | |
gebunden. „Für die Umsetzung muss das Land die genauen Grenzen für das | |
Gebiet festlegen und dem Landkreis übermitteln“, sagt ein Sprecher. Erst im | |
Anschluss werde das Verfahren eingeleitet. Das klingt, als könnte es noch | |
dauern, bis der Berglandbach durch ein Schutzgebiet plätschert. Bisher | |
wurde Deutschland noch nie zu solchen Strafzahlungen verurteilt. Sollte es | |
dazu kommen, wird jeder einzelne Tag teuer. | |
14 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Andrea Maestro | |
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