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# taz.de -- Das Islamforum wird wiederbelebt: Man rauft sich halt zusammen
> Das Verhältnis zwischen muslimischen Gemeinden und Senat war lange Zeit
> nicht das beste. Unter Rot-Rot-Grün ist langsam Besserung in Sicht.
Bild: Tag der offenen Moschee am 3.10.2018: in der Şehitlik-Moschee am Columbi…
Eine Woche vor Jahresschluss lässt sich festhalten: 2018 war ein
widersprüchliches Jahr, was das Verhältnis von Muslimen und Nichtmuslimen
angeht. Auf gesellschaftlicher Ebene hat der antimuslimische Rassismus
zweifelsohne zugenommen. Gerade hat etwa die
Antidiskriminierungsbeauftragte der Bildungsverwaltung Zahlen vorgelegt,
nach denen diese Form des Rassismus an Schulen offenbar vorherrschend ist.
Das Phänomen ist gesamtgesellschaftlich so ausgeufert, dass (ausgerechnet)
das Jüdische Museum vor zwei Monaten eine Konferenz dazu abhielt.
Auch auf muslimischer Seite gibt es Baustellen in Sachen Toleranz – als
Stichwörter mögen hier die Anfeindungen gegen Moscheegründerin [1][Seyran
Ateş] oder der Rauswurf eines Projekts, das die Radikalisierung von
Jugendlichen verhindern sollte, aus der Ditib-geführten
[2][Şehitlik-Moschee] genügen.
Auf offizieller Ebene – beim Islamforum – stehen die Zeichen in letzter
Zeit dagegen auf Entspannung. Das Forum wurde 2005 vom damaligen
Integrationsbeauftragten als Ort des Dialogs zwischen Senat und
muslimischen Gemeinden gegründet. „Das Islamforum macht Fortschritte, es
ist ein absoluter Mehrwert“, sagt etwa Mohamad Hajjaj, Berliner
Landesvorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD). Etwas
vorsichtiger optimistisch ist Meho Travljanin vom Islamischen Kulturzentrum
der Bosniaken, wenn er sagt: „Es wird daran gearbeitet, das Islamforum
wiederzubeleben.“
Wiederbelebt werden muss der Dialog aus mehreren Gründen. Zum einen wollte
der Vorgängersenat in dem Gremium vornehmlich über Sicherheitsfragen und
Extremismus diskutieren und entsandte Vertreter von Polizei,
Staatsanwaltschaft und Innenverwaltung. Gleichzeitig zeigte Innensenator
Frank Henkel (CDU) wenig Interesse und erschien kaum zu Sitzungen. Und dann
gab es die große Krise von 2013. Damals cancelte der damalige Justizsenator
Thomas Heilmann (CDU) das lange im Islamforum vorbereitete Projekt der
muslimischen Gefangenenseelsorge mit der Begründung, einige der Imame
würden von den Sicherheitsbehörden als „problematisch“ eingeschätzt. Weil
dies ziemlich plötzlich kam und nicht weiter begründet wurde, sagten darauf
einige Moscheevereine und Dachverbände ihre weitere Teilnahme am Islamforum
ab.
## „Wohl eher eine Pflichtveranstaltung“
Seither hat man sich wieder „zusammengerauft“, wie Hajjaj sagt – obwohl es
auch im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün seiner Ansicht nach zu wenig um
Muslime ging. „Aber wir haben eine pragmatische Ebene gefunden.“ Sprich:
Man redet miteinander, weil man aufeinander angewiesen ist. Einschränkend
meint Travljanin allerdings, dass das Forum bei vielen Gemeindevertretern
nicht mehr den Stellenwert wie zu Beginn hat. „Und auch bei der Regierung
ist es wohl eher eine Pflichtveranstaltung“, so sein Eindruck.
Immerhin: Es geht weiter. Das Gefängnisseelsorgeprojekt ging 2017
schließlich doch an den Start. Das Forum trifft sich wieder halbwegs
regelmäßig drei- bis viermal im Jahr – wenn auch in aller Stille. Anders
als früher werden die Protokolle der Sitzungen nicht mehr auf der Webseite
des Integrationsbeauftragten dokumentiert.
Welche Themen das Forum als Nächstes angehen soll, wird noch diskutiert;
auf der nächsten Sitzung, deren Termin allerdings noch nicht feststeht,
sollen drei Schwerpunkte festgelegt werden. Für den
Integrationsbeauftragten des Senats, Andreas Germershausen, sind besonders
dringlich, wie er der taz sagt: „Fragen der Diskriminierung, auch in
Verbindung mit dem Neutralitätsgesetz, muslimische Jugendarbeit,
Bildungsangebote von und für MuslimInnen“. Auch Hajjaj nennt die
Finanzierung muslimischer Jugendarbeit auf taz-Anfrage eines seiner
Top-3-Themen. „Sie bekommt zu wenig Geld“ – wie überhaupt muslimische
Vereine und Verbände in der „Förderlandschaft sehr unterrepräsentiert“
seien.
Aber als Allererstes will Hajjaj über die Finanzierung der muslimischen
Gemeinden reden. Ihre Abhängigkeit von Mitgliedsbeiträgen und Spenden,
vielfach aus dem Ausland, wird auch von nichtmuslimischer Seite kritisch
gesehen, weil die Moscheegemeinden damit auch unliebsamer Einflussnahme
ausgeliefert sind – wofür der Durchgriff von türkischer Seite auf
Ditib-Moscheen beredtes Beispiel gibt. „Die muslimischen Gemeinden sind im
Vergleich zu anderen Religionen völlig unterfinanziert“, konstatiert
Hajjaj. Ändern könnte man dies, so sein Vorschlag, etwa mit einer
islamischen Stiftung. „Aber dafür braucht man öffentliche Gelder.“
## Steigende Mieten sind ein Problem
Ein Thema, das Travljanin von der Bosniakischen Gemeinde auf Nachfrage
nennt, hat auch mit Geld zu tun: die steigenden Mieten, die viele Gemeinden
vor Probleme stellten. „Wir selber haben ja Gott sei Dank unser Haus
gekauft“, erzählt er. Andere dagegen hätten um ihre schiere Existenz zu
kämpfen – da wäre es gut, wenn der Senat etwa mit günstigen Grundstücken
helfen würde. „Das wäre ein schönes Zeichen der Anerkennung, das die
Nachhaltigkeit der Gemeindearbeit sichern würde.“
Das Thema Neutralitätsgesetz, das der Integrationsbeauftragte auf seinem
Zettel hat, sei natürlich auch für die Muslime wichtig, sagt Hajjaj. Im
Januar werde sich dazu eine Delegation muslimischer Vertreter mit
Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) zusammensetzen, sagt er. Behrendt wie
Germershausen sind in dieser Sache Verbündete der muslimischen Gemeinden.
Beide halten das Gesetz aus Diskriminierungsgründen für problematisch, weil
es de facto nur muslimische Kopftuchträgerinnen von bestimmten Berufen
(Lehrerin, Polizistin, Richterin bzw. Justizbeamte) ausschließt. Der Senat
hat hierzu keine einheitliche Haltung, die SPD ist für die Beibehaltung des
Gesetzes. „Aber auch dort bröckelt der Widerstand“, meint Hajjaj erkannt zu
haben.
Noch weniger Hoffnung auf eine baldige Einigung gibt es in Sachen
Staatsvertrag. Ein solcher sei auf absehbare Zeit „unrealistisch“, sagte
kürzlich der Integrationsbeauftragte bei einer Veranstaltung des
Mediendienstes Integration. Begründung: Aus Sicht des Senats fehle es an
zentralen Vertragspartnern auf muslimischer Seite. Germershausen selbst
sieht das anders, wie er damals sagte: „Ich denke, man käme durch Gespräche
mit Initiativen wie dem Islamforum hier schon weiter.“
Bleibt die Frage, wie wichtig ein Staatsvertrag, wie ihn Hamburg 2012
abgeschlossen hat, für Berlin überhaupt wäre. Die Ethnologin und
Islamwissenschaftlerin Nina Mühe, die das Islamforum als Vertreterin der
muslimischen Seite gemeinsam mit dem Integrationsbeauftragten veranstaltet,
sagt: „Ein Staatsvertrag wäre vor allem ein Symbol der Anerkennung.“ Denn
viele der praktischen Dinge, die etwa der Hamburger Staatsvertrag regelt,
seien ja in Berlin längst Realität. Mühe verweist hier vor allem auf die
Möglichkeiten, nach islamischem Ritus zu bestatten, die Regelungen zu
islamischen Feiertagen im Schulgesetz, die bereits erwähnte
Gefangenenseelsorge sowie das in diesem Jahr gegründete Institut für
Islamische Theologie an der Humboldt-Universität.
## Noch Zukunftsmusik
Dennoch fordert Hajjaj: „Ein Staatsvertrag ist nicht nur Symbolik, sondern
mit großen finanziellen Vorteilen verbunden.“ Das zeige auch der
Staatsvertrag Berlins mit den jüdischen Gemeinden – an dem sollte sich der
Senat orientieren.
Das aber dürfte Zukunftsmusik bleiben – nicht zuletzt, weil das Misstrauen
gegen Muslime auch auf staatlicher Ebene weiter vorhanden ist. Ablesbar ist
dies etwa an den jährlichen Berichten des Verfassungsschutzes. Im letzten
von 2017 wird auch ein Teilnehmer des Islamforums genannt: „Als Berliner
Treffpunkt von Hamas-Anhängern gilt das [3][Islamische Kultur- und
Erziehungszentrum Berlin e.V.] (Ikez)“, heißt es im Bericht.
Wie man zu dieser Erkenntnis gekommen ist, steht dort nicht. Dieses
Vorgehen führt spätestens seit der bereits erwähnten Seelsorger-Affäre von
2013 bei den muslimischen Organisationen zu Irritationen und Unmut. Damals
sei bei vielen Teilnehmern des Islamforums der Eindruck entstanden, „Dialog
bringt nichts, am Ende genügen vage ‚Hinweise‘ des Verfassungsschutzes für
eine Verurteilung und Abbruch der Zusammenarbeit“, so Mühe.
Für eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht reicht schon die Tatsache,
dass eine oder mehrere „verdächtige“ Personen eine Moschee besucht haben:
Die These von der „Kontaktschuld“ unterstellt, dass die Moschee dann den
gleichen Zielen anhängt wie diese Person. „Verdächtig“ sind dem
Verfassungsschutz auch solche Personen, die dem „legalistischen Islamismus“
zugeordnet werden. Darunter versteht der Inlandsgeheimdienst eine
Weltsicht, die sich nach außen verfassungskonform gibt, in Wahrheit aber
islamistisch ist und ihre Vorstellung von Islam hierzulande mit legalen
Mitteln durchsetzen will.
## „Kultur des Misstrauens“
Der Ethnologe und Migrationsforscher Werner Schiffauer kritisierte diese
Praxis bei der bereits erwähnten Veranstaltung des Mediendienstes
Integration: Der Verfassungsschutz sei gar nicht in der Lage, Weltbilder zu
beurteilen, da er sich sein Urteil nur aufgrund von Kontakten bilde, so
Schiffauer. „Aber das schafft weiter eine Kultur des Misstrauens.“
Auf diese Weise gelangten auch die [4][Neuköllner Begegnungsstätte] und ihr
Imam Taha Sabri in die Verfassungsschutzberichte 2014–16. Im Sommer dieses
Jahres gewann der Moscheeverein allerdings eine Klage vor dem
Oberverwaltungsgericht, das urteilte, die Erwähnung allein aufgrund der
Kontaktschuld stelle eine „unzulässige Verdachtsberichterstattung“ dar und
sei daher in dieser Form unzulässig.
Für den Verein war dies ungeheuer wichtig, erklärte Sabri bei der
Veranstaltung des Mediendienstes Integration. Denn allein die Erwähnung im
Bericht habe viele Kooperationen mit anderen Organisationen verhindert –
weil diese damit selbst in den Ruf kommen würden, nicht verfassungstreu zu
sein und dadurch finanzielle Nachteile befürchteten.
25 Dec 2018
## LINKS
[1] http://seyranates.de/
[2] http://www.sehitlik-camii.de/
[3] http://www.almarkaz.de/
[4] http://www.nbs-ev.de/
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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