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# taz.de -- Wisente vor Gericht: Ordnung im deutschen Wald!
> Wir erwarten, dass anderswo Tiger, Krokodile und Elefanten gefälligst
> geschützt werden, streiten aber über ein paar Wisente in Deutschland.
> Irre.
Bild: Ein Wisent liegt rum. Darf der das?
Früher, als die Welt noch in Ordnung war und Alexander Gaulands Vorväter
noch ungestört durch preußische Wälder ziehen konnten, hatten sie gute
Chancen, dort auf ein Wisent zu treffen. Das wilde Riesenrind war in Europa
einst weit verbreitet. Passend zum 100-jährigen Gedenken ist es als
weiteres Opfer des 1. Weltkriegs zu verzeichnen. Die letzten Bestände
wurden nach dem Krieg von verirrten Soldaten und der verelendeten
Bevölkerung als Fleischauslage betrachtet. Das letzte freilebende Wisent
starb 1927. Damit wäre das größte europäsiche Wildtier am Ende gewesen,
hätten nicht einige Exemplare in Zoos überlebt.
Mit ihnen konnte eine neue Population aufgebaut werden, nach Auswilderungen
in Osteuropa gibt es seit 2013 auch im Rothaargebirge ein solches Projekt.
Eine Herde von knapp zwanzig Tieren streift dort umher. Zum Missfallen von
Waldbauern, die dagegen vor Gericht zogen. Am vergangenen Freitag hatte der
Bundesgerichtshof [1][darüber zu befinden], ob die Waldbesitzer es
hinnehmen müssen, dass die Tiere auch mal an ihren Bäumen nagen und
irgendwie Unordnung in den aufgeräumten deutschen Wald bringen.
Überhaupt gärt der Widerstand: Auch Jogger sollen sich bei einer Begegnung
schon erschrocken haben, ganz zu schweigen von der Gefahr für den Verkehr.
Und man weiß: Wenn in Deutschland irgendwas als Verkehrshindernis geoutet
wird, ist es im Allgemeinen erledigt.
Die Richter sprachen nun zwar kein Urteil, sondern trugen beiden Parteien
auf, ihre Positionen bis zum Januar genauer darzulegen. Aber die
Stoßrichtung zeichnet sich ab: Das Gericht stellte in Frage, ob Wisente
überhaupt als geschützte Wildtierart anzusehen seien, schließlich würden
sie ja von einem Artenschutzverein betreut. Und der hat dafür zu sorgen,
dass sie nicht in der Gegend herumknabbern, wie sie wollen.
## Rotkäppchen lässt grüßen
Es ist dasselbe Elend wie mit dem [2][Wolf]. Millionen von Schafen werden
Jahr für Jahr geschlachtet, aber bei ein paar hundert von Wildtieren
gerissenen Exemplaren bricht Hysterie aus. Ganz zu schweigen von der Gefahr
für die Bevölkerung!
Sicher, theoretisch könnte ein Wolf auch mal [3][einen Menschen anfallen],
Rotkäppchen lässt grüßen. Wie man das den Eltern eines getöteten Kindes
erklären wolle, fragen die besorgten Wolfsbürger dann stets. Ja, das wäre
schwierig. Fragen Sie mal diejenigen, die Tausenden von Eltern den Tod
ihres Kindes im Straßenverkehr beibringen mussten. Ein Abschuss von Autos
steht deswegen erstaunlicherweise immer noch nicht zur Debatte.
## Der unglaubwürdige Naturschutz
Und gleichzeitig predigen wir den Menschen in Afrika und Asien, dass sie
ihre Tiger, Krokodile und Elefanten schützen sollen. Obwohl im direkten
Vergleich ein Elefant im Garten oder ein Leopard beim Spaziergang doch
vielleicht eine andere Hausnummer sind als ein Wolf am Schafspelz oder ein
Wisent, das private Rinde kaut. Auch Forderungen nach dem Schutz von
Regenwäldern und die Kritik an Ölpalmplantagen kämen womöglich einen Tick
glaubwürdiger daher, wenn bei uns nicht für jedes beliebige
Wirtschaftsprojekt ganze Wälder wie der [4][Hambacher Forst] plattgemacht
oder jedes einem neuen Einkaufszentrum im Weg liegende Feuchtgebiet
trockengelegt würde.
Der Erhalt der Biodiversität ist eine entscheidende Zukunftsfrage,
gleichrangig mit der Eingrenzung des Klimawandels. Nicht nur aus
kulturellen und ethischen Gründen, sondern für das eigene Überleben der
Spezies Mensch. Wir Europäer können uns daraus nicht mit dem Argument
zurückziehen, dass für unorganisierte Wildtiere, die sich nie so recht an
unsere Vorschriften halten, bei uns nun mal kein Platz sei, weil wir dann
mit dem Auto drauffahren – während Menschen andernorts beim Wasserholen vom
Krokodil geschnappt werden.
Man wird sich mit dieser Natur arrangieren müssen. Und Entschädigungsfonds,
wie es sie bei Wolf und Wisent längst gibt, müssen dringend auf globaler
Ebene mit ernsthaften Summen ausgestattet werden, wenn wir zu Recht von
weniger wirtschaftsstarken Ländern fordern, dass sie ihre natürlichen
Ressourcen nicht für kurzfristige Gewinne vernichten.
19 Nov 2018
## LINKS
[1] /Prozess-zu-europaeischen-Bisons/!5551200
[2] /Konflikt-um-das-Raubtier-im-Schwarzwald/!5521479
[3] /Biologin-ueber-Wolfangriff-in-Polen/!5514169
[4] /!t5013292/
## AUTOREN
Heiko Werning
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