# taz.de -- Gregor Gysi über die Zukunft Europas: „Bricht die EU, kommt der … | |
> Gregor Gysi übt scharfe Kritik am Kurs der Kanzlerin während der | |
> Eurokrise. Er rechnet damit, dass bei der Europawahl 2019 EU-Gegner | |
> auftrumpfen. | |
Bild: Der Linken-Politiker Gregor Gysi sieht Merkels Kanzlerschaft bereits jetz… | |
taz: Ein halbes Jahr vor der Europawahl kommt viel in Bewegung. Angela | |
Merkel gibt den [1][CDU-Vorsitz] ab, die Grünen stürmen nach vorn, die CSU | |
will den [2][nächsten EU-Kommissionspräsidenten] stellen. Ihre | |
Einschätzung? | |
Gregor Gysi: Es stimmt mich nachdenklich. Denn dahinter steht eine | |
weltweite Rechtsentwicklung. Wir spüren einen Hang zu einfachen Lösungen | |
und eine neue Zuneigung zu Despoten. Die deutsche Politik findet darauf | |
bisher keine vernünftige Antwort. Merkel hat einen großen Fehler gemacht: | |
Sie hat den richtigen Zeitpunkt für ihren Rückzug verpasst. Sie hätte schon | |
vor ein oder zwei Jahren gehen sollen. Jetzt wird sie von ihrer eigenen | |
Partei zerbröselt. | |
Die Grünen dagegen schwimmen auf der Erfolgswelle. Warum? | |
Die Menschen wollen mehr Ökologie, der Klimawandel hat viele aufgerüttelt. | |
Außerdem stellen die Grünen – anders als die Linke, die vor allem die | |
soziale Frage umtreibt – die Gesellschaftsfrage: Wie wollen wir in Zukunft | |
leben, wie können wir die Demokratie retten und weiterentwickeln? Und | |
drittens wählen viele Menschen die Grünen, weil sie als Gegenüber zur AfD | |
zu gelten. | |
Warum kommt die Linke nicht durch? | |
Weil wir in drei Fragen unterschiedliche Positionen haben, und eine steht | |
im Vordergrund: das ist die Flüchtlingsfrage. Da ist der Widerspruch | |
zwischen der Mehrheit der Partei und Sahra Wagenknecht. Der zweite | |
Widerspruch ist, dass Sahra gerne raus aus dem Euro möchte. Ich fand es | |
falsch, in den Euro reinzugehen, weil ich gesagt habe, eine gemeinsame | |
Währung bedeutet immer, dass das günstigste Angebot gilt – so kamen wir zur | |
Agenda 2010, aber auch zur Sparpolitik von Merkel und Schäuble. Doch jetzt | |
rauszugehen, würde zu schweren sozialen Verwerfungen führen. | |
Deshalb plädiere ich dafür, dass Deutschland seinen Überschuss abbaut, | |
indem man die Binnenwirtschaft stärkt. Der dritte Widerspruch ist, dass | |
Teile unserer Partei die Rückführung von EU-Befugnissen auf den | |
Nationalstaat wollen. Alle drei genannten Ansätze halte ich für falsch. | |
Glauben Sie, dass Merkel zur Europawahl im Mai 2019 noch Kanzlerin ist? | |
Wenn nein – wäre das schlimm für die EU? | |
Das hängt vom Ausgang des Machtkampfs um die CDU ab. Wenn [3][AKK (Annegret | |
Kramp-Karrenbauer)] den Parteivorsitz bekommt, dann kann Merkel weiter | |
machen. Sonst kann sie abdanken. Wenn auf Merkel ein national gesonnener | |
Kanzler folgt, so wäre das schlimm, denn es würde die antieuropäischen | |
Bewegungen stärken. Ansonsten gehöre ich nicht zu jenen, die Merkels | |
Europapolitik für unverzichtbar oder alternativlos halten. Schön, sie kann | |
vermitteln, was bei EU-Gipfeln hilfreich ist. Doch ihr Kurs während der | |
Eurokrise war verheerend. | |
Warum? | |
In Südeuropa gab es einen massiven wirtschaftlichen und sozialen Abbau, | |
dabei hätten wir einen Aufbau nach dem Vorbild des Marschall-Plans | |
gebraucht. Außerdem hätte ich mir gewünscht, dass sich Merkel stärker gegen | |
US-Präsident Trump wehrt. Erinnern Sie sich noch an die erste Begegnung, | |
als Trump ihr nicht die Hand reichen wollte? Merkel hat dies schweigend | |
hingenommen. | |
„Dieses Europa ist in sechs Monaten zu Ende“, sagt Italiens | |
Fünf-Sterne-Chef Di Maio mit Blick auf die Europawahl im Mai 2019. Erwartet | |
uns ein Erdrutsch? | |
Ich fürchte, dass die Europawahl mehr EU-Gegner ins Parlament bringen wird. | |
Aber: Wenn die EU zusammenbricht, dann kommt der Krieg zurück nach Europa, | |
davon bin ich fest überzeugt. Und – wir haben heute eine europäische | |
Jugend, die in andere Länder reisen und dort studieren will. Die | |
Wiedererrichtung von Grenzen wäre eine Zumutung. Auch deshalb müssen wir | |
weiter für Europa kämpfen. | |
Auch die Linken gehen nicht mit. „Wir müssen aus allen EU-Verträgen | |
aussteigen“, fordert etwa Jean-Luc Mélenchon von der Links-Bewegung „La | |
France Insoumise“. | |
Natürlich sind die Verträge nicht gut. Doch es wäre eine Illusion, einfach | |
auszusteigen. Vielmehr kommt es darauf an, die Verträge neu zu | |
interpretieren. Nehmen Sie das soziale Europa: Bisher stehen die | |
Grundrechte nur auf dem Papier, wir müssen sie einklagbar machen. Dasselbe | |
gilt für Rechtsstaat und Demokratie: auch hier müssen wir viel stärker auf | |
die Umsetzung drängen, denken Sie nur an Polen oder Ungarn. Das geht aber | |
nur gemeinsam, also in der EU. | |
13 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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