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# taz.de -- Ministerpräsident über Flüchtlinge: Kretschmanns Rohrkrepierer
> „Männerhorden“ in die Pampa schicken? Winfried Kretschmann rudert zurüc…
> Grünen-Chefin Baerbock vermisst „nötige Differenzierung“.
Bild: „Keine erfolgreiche Aktion“: Winfried Kretschmann (rechts) gelobt Bes…
Berlin taz | Winfried Kretschmann gab sich am Dienstag in der Stuttgarter
Landespressekonferenz reumütig. „Das war keine erfolgreiche Aktion“, sagte
Baden-Württembergs Ministerpräsident. Sie habe nur zu „Missverständnissen�…
geführt. In Zukunft, gelobte er, werde er sich streng an eine
„staatstragende Linie“ halten.
Der selbstbewusste Grüne gesteht einen Fehler ein? Das ist ungewöhnlich,
aber in diesem Fall nur angebracht. Kretschmanns Zurückrudern hat eine
interessante Vorgeschichte. Sie sagt viel aus über die Grünen, die sich als
unpopulistischer Gegenpol zur AfD verstehen. Die aber auch Probleme mit
Geflüchteten nicht ignorieren wollen – und dabei manchmal übers Ziel
hinausschießen.
Vor einigen Tagen, pünktlich zum Grünen-Parteitag, platzierte Kretschmann
eine markige Botschaft. „Salopp gesagt“ seien „junge Männerhorden“ das
Gefährlichste, was die menschliche Evolution hervorgebracht habe,
[1][wetterte er in der Heilbronner Stimme] und dem Mannheimer Morgen.
Großstädte seien für solche Leute attraktiv, weil sie dort anonym seien und
Gleichgesinnte träfen. „Solche Gruppen muss man trennen und an
verschiedenen Orten unterbringen.“ Der Gedanke, einige von ihnen „in die
Pampa“ zu schicken, sei nicht falsch.
Gefährliche Männerhorden in die Pampa schicken? Das Interview, das am
Samstag erschien und dessen wuchtigen Sätze über die Agenturen liefen,
[2][platzte in den Parteitag wie eine Bombe]. Just am selben Tag wurde in
Leipzig das flüchtlingspolitische Kapitel [3][des Europaprogramms
diskutiert], das vor allem humane Töne anschlägt. Viele Delegierte waren
irritiert. „So ein Interview ist eine Unverschämtheit“, zischte eine linke
Grüne. Die Kretschmann Wohlgesonnenen wiesen darauf hin, dass er in
Baden-Württemberg unter Druck steht.
## Vergewaltigung nach der Disco
In Freiburg soll Mitte Oktober eine 18 Jahre alte Studentin nach einem
Disco-Besuch von mehreren Männern vergewaltigt worden sein. Sieben Syrer
und ein Deutscher sitzen in Untersuchungshaft. Im Bundesland wird seither
eine [4][hitzige Debatte über Sicherheit geführt]. Aber ist das ein Grund
für Sprüche, die auch von Horst Seehofer stammen könnten? Kretschmanns
Gepolter widerspricht dem grünen Markenkern.
Der Bundesvorstand wurde von Kretschmanns Vorstoß komplett überrascht – und
verständigte sich am Samstagmorgen hektisch auf eine Sprachregelung. „Ich
hätte es anders formuliert, aber in der Sache unterstreicht Kretschmann
das, wofür wir Grünen lange streiten“, sagte Grünen-Chefin Annalena
Baerbock. Bestimmte Strukturen beförderten Gewalt. „Daher haben wir immer
gesagt, dass es für Asylsuchende dezentrale Unterbringung geben muss.“
So argumentierten mehrere Spitzengrüne. Tenor: Kretschmanns Sprache ist
unangemessen, aber in der Sache liegt er richtig.
Doch die Krisen-PR des Wochenendes trifft nicht den Punkt. Die Grünen
treten zwar für eine „möglichst dezentrale Unterbringung“ der Geflüchtet…
ein, wie es etwa im Bundestagswahlprogramm 2017 heißt. Allerdings verwenden
Grünen-FlüchtlingsexpertInnen wie Luise Amtsberg diesen Begriff in anderen
Kontexten. Flüchtlinge bräuchten Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe und
eigenen Wohnraum, heißt es gerne. Nur so gelinge Integration.
## Die Grünen-Story ist falsch
Kretschmann aber hat etwas anderes im Sinn. Er möchte junge, gefährliche
Männer – wie auch immer man sie definieren würde – in die Provinz schicke…
Die Grünen-Story, es gebe keinen Dissens zwischen ihm und der Partei, ist
also falsch.
Außerdem tut Kretschmann etwas, was Grüne bei Rechtspopulisten gerne
kritisieren. Er brandmarkt mit dem Begriff „Männerhorden“ pauschal
männliche Geflüchtete, eine Gruppe, gegen die Rechte seit Jahren hetzen.
„Kretschmann diffamiert eine ganze Gruppe aus sehr unterschiedlichen
Individuen“, resümiert eine Grüne, die sich mit Flüchtlingspolitik
auskennt. „Damit tut er uns in dem aufgeheizten Diskurs keinen Gefallen.“
Die taz bittet Kretschmanns Sprecher am Dienstag um eine Präzisierung. Wen
meint er genau mit gefährlichen, jungen Männerhorden? Ab wann ist eine
Kleinstadt klein genug, um „Pampa“ zu sein? Was würde er BürgerInnen in
Kleinstädten sagen, die ja auch Angst vor gefährlichen Männern haben?
Auch den Grünen-Vorsitzenden in Berlin stellt die taz Fragen. Stellen sie
sich wirklich „in der Sache“ hinter Kretschmann? Wenn ja: Bis wann ist man
jung und wie bemisst sich Gefährlichkeit? Plädieren sie dafür, geflüchtete
Frauen und Männer zu trennen? Könnten die betroffenen Männer nicht nach
Artikel 3 Grundgesetz – dem Gleichheitsgrundsatz – klagen?
## Die Pressesprecherin ruft an
Die Fragen sorgen offenbar für Aufregung, jedenfalls ruft umgehend die
Pressesprecherin der Grünen an. Aus Gründen der Vertraulichkeit darf aus
dem Gespräch nicht zitiert werden. Nur so viel: Die Parteispitze will
lieber davon absehen, auf jede einzelne Frage zu antworten. Das liegt auch
daran, dass keiner in Berlin genau weiß, was Kretschmann eigentlich will.
Die Vorsitzende Baerbock lässt am Mittwoch per E-Mail Sätze schicken: „Uns
liegt kein Konzept vor. Aber wenn gemeint ist, dass man kleine
gewaltbereite Gruppen trennt, um die Strukturen zu durchbrechen, ist das
durchaus richtig.“ Allerdings sei die Wortwahl kontraproduktiv, sie
vermisse „die nötige Differenzierung“. Baerbock, die selbst vom Dorf kommt,
fügt noch einen anderen Punkt hinzu: „Pampa ist immer despektierlich.“
Auch Kretschmanns Sprecher Rudi Hoogvliet meldet sich. Das Interview sei an
der einen oder anderen Stelle „zu emotional formuliert“. Straftäter wie die
in Freiburg gehörten hinter Schloss und Riegel. Es gehe Kretschmann um
Störenfriede, also Flüchtlinge, die mal einen Ladendiebstahl begingen,
schwarzführen oder Leute anpöbelten. „Die Störer zu trennen, darauf kommt
es an.“
So habe zum Beispiel eine Gruppe auffälliger unbegleiteter Minderjähriger
in Mannheim ihr Unwesen getrieben. Diese Gruppe sei aufgelöst und die
einzelnen Geflüchteten in jeweils anderen Kommunen untergebracht worden –
„mit gutem Ergebnis“. Das sei mit „in die Pampa schicken“ gemeint.
Nüchtern erklärt ist Kretschmanns Anliegen durchaus diskussionswürdig. Aber
selbst wenn man das grüne Kommunikationsdesaster außen vor lässt, bleibt
vieles unklar. Zum Beispiel, wie und nach welchen Kriterien Kretschmann die
Störer vereinzeln will. In Frage käme zum Beispiel eine härtere Anwendung
der Wohnsitzauflage, nach der Flüchtlinge, die Sozialleistungen beziehen,
ihren Wohnort nicht frei wählen dürfen.
Kretschmanns Sprecher bleibt mit Blick auf die Verwirklichung vage: Die
Ministerien und das Staatsministerium würden „in den nächsten Wochen
Maßnahmen und rechtliche Möglichkeiten prüfen“. Anders gesagt: Kretschmann
hat ein paar populistische Versprechen in die Welt gerufen, ohne zu wissen,
wie er sie erfüllen soll.
14 Nov 2018
## LINKS
[1] https://www.stimme.de/deutschland-welt/politik/dw/Kretschmann-irritiert-mit…
[2] /Gruenen-Parteitag-in-Leipzig/!5549567
[3] /Kommentar-Gruenen-Parteitag-in-Leipzig/!5546984
[4] /Nach-Vergewaltigungsfall-in-Freiburg/!5546746
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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