| # taz.de -- Seehofers politische Zukunft: Und wieder wankt der Watschnbaum | |
| > Die Maaßen-Affäre hat Horst Seehofers Position weiter geschwächt. Nun | |
| > könnte es zum Showdown kommen. | |
| Bild: Für Horst Seehofer geht es jetzt um sein Lebenswerk | |
| Berlin/München taz | Horst Seehofer ist nicht da. Gerade noch hat | |
| Konstantin von Notz von den Grünen gedroht: Käme Seehofer nicht zur Sitzung | |
| des Innenausschusses, wäre dies ein „Affront sondergleichen, eigentlich | |
| undenkbar“. Auch die anderen Abgeordneten rechnen an diesem Mittwochmorgen | |
| mit dem Innenminister. Doch als sich die Tür des Saals 2300 im Bundestag | |
| schließt, der Ausschuss beginnt, ist Seehofer tatsächlich nicht erschienen. | |
| Dabei hätte es einiges zu besprechen gegeben. „Fortwährendes Chaos im | |
| Bundesinnenministerium“, lautet TOP 22 der Tagesordnung. Zwei Tage ist es | |
| da her, dass der Fall Maaßen mit dem Bekanntwerden der wüsten Abschiedsrede | |
| des Verfassungsschutzchefs seine letzte, irre Wendung nahm – und der | |
| Innenminister [1][Hans-Georg Maaßen doch noch absetzte]. Nun, schimpft der | |
| Linke André Hahn, müsse sich auch Seehofer „in den Ruhestand | |
| verabschieden“. Auch Konstantin Kuhle von der FDP fordert den Rücktritt, | |
| Seehofer gehe „nur noch auf die Nerven“. | |
| Seehofer hat es wieder geschafft: Er ist der Buhmann. | |
| Dieser Tage geht es für den 69-Jährigen um alles. Mal wieder. Schon seit | |
| Beginn der Großen Koalition gilt Horst Seehofer als größte Fehlbesetzung im | |
| Kabinett. Als ständiger Unruhestifter, irrlichternd, als einer, der die | |
| Koalition lähmt. Nach der für die CSU verkorksten Bayern-Wahl ist auch der | |
| Druck aus der eigenen Partei enorm. Seehofer selbst hatte nach der Wahl | |
| „Konsequenzen“ angekündigt – dann, wenn in Bayern das neue Kabinett steh… | |
| Das wird am Montag vereidigt. | |
| ## Ein unschönes Ende droht | |
| Einige Orts- und Kreisvorstände positionierten sich bereits offen gegen | |
| Seehofer. Am Sonntag trifft der Parteichef nun mit den Bezirksvorsitzenden | |
| zusammen. Die Verbände in Schwaben und Oberbayern forderten einen | |
| CSU-Sonderparteitag, um die Parteispitze neu zu wählen, ein „Weiter so“ | |
| dürfe es nicht geben. Falls Seehofer nicht freiwillig verzichtet, droht ihm | |
| eine Kampfabstimmung gegen den Ministerpräsidenten Markus Söder und ein | |
| unschönes Ende als Parteichef. | |
| Und in Berlin heißt es in Koalitionskreisen, Seehofer sei auch als Minister | |
| „im Grunde überfällig“. Wenn es schlecht läuft, könnte Seehofer in ein … | |
| Tagen [2][politisch am Ende sein]. | |
| Seit Jahrzehnten macht Horst Seehofer Politik. Er saß 28 Jahre für die CSU | |
| im Bundestag, war Staatssekretär unter Blüm, Gesundheitsminister unter | |
| Kohl, Landwirtschaftsminister unter Merkel, dann zehn Jahre lang | |
| Ministerpräsident in Bayern. Seit dem Frühjahr nun ist Seehofer | |
| Bundesinnenminister. Für ihn wurde das Ministerium um die Bereiche Heimat | |
| und Bau erweitert. In seiner ersten Pressekonferenz zählte Seehofer stolz | |
| auf: acht Staatssekretäre, 2.000 Beschäftigte, 14 Abteilungen. Dazu 20 | |
| nachgeordnete Behörden mit insgesamt 75.000 Mitarbeitern. So groß war das | |
| Innenministerium noch nie. | |
| Es sollte seine letzte Station werden, eine Krönung. Aber schon kurz nach | |
| Beginn sprengte Seehofer beinahe sowohl die Große Koalition als auch die | |
| Unionsfraktion, als er einen Machtkampf mit der Kanzlerin lostrat über die | |
| Frage, bestimmte Flüchtlinge ab sofort an der deutschen Grenze | |
| zurückzuweisen. Auf dessen Höhepunkt verkündete Seehofer seinen Rücktritt �… | |
| um dann vom Rücktritt zurückzutreten. | |
| ## Konflikte aus dem Nichts | |
| Später flachste er darüber, dass just an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen | |
| abgeschoben wurden. Dem bundesweiten Integrationsgipfel blieb er fern. | |
| Migration erklärte er zur „Mutter aller Probleme“. Und schwieg lange, als | |
| Rechte in Chemnitz Migranten angriffen. Gelang es seinem Vorgänger Thomas | |
| de Maizière, mit stoischer Nüchternheit Konflikte runterzukochen, schafft | |
| Seehofer es, aus dem Nichts einen Konflikt zu entfachen. | |
| Und nun Maaßen. Wochenlang hatte Seehofer den Verfassungsschutzchef nach | |
| dessen Relativierung der Chemnitz-Ausschreitungen verteidigt – und auch | |
| damit eine Koalitionskrise ausgelöst. Als die SPD Mitte September | |
| durchsetzte, dass Maaßen nicht im Amt bleiben kann, wollte Seehofer ihn zum | |
| Staatssekretär befördern, ihn dann, nach erneuter Kritik, als | |
| „Sonderberater“ in sein Ministerium holen. Dann tat er einfach wochenlang | |
| nichts. Bis Maaßens Abschiedsrede publik wurde, in der dieser auch gegen | |
| „linksradikale Kräfte in der SPD“ austeilte. Seehofer blieb nichts anderes, | |
| als Maaßen doch noch zu entlassen. Und war maximal beschädigt. [3][Die | |
| Maaßen-Nachfolge] ist indes bis heute nicht geregelt. | |
| Horst Seehofer redet lieber über anderes. Am Mittwochmittag taucht er doch | |
| noch im Bundestag auf, im Plenarsaal. Als er zum Redepult geht, ist der | |
| Saal nur spärlich besucht, auf den Rängen der Unionsfraktion klatschen | |
| gerade drei Abgeordnete. Er sieht erschöpft aus, das hellgraue Haar ein | |
| wenig zerzaust. | |
| Dabei spricht Seehofer über das, was zu seinem Gewinnerthema werden sollte: | |
| die Heimat. Seehofer spricht von der Schaffung „gleichwertiger | |
| Lebensverhältnisse“ in Ost wie West, Stadt und Land. „Damit die Menschen | |
| dort gut leben können, wo sie gerne leben wollen.“ Eine „titanische | |
| Aufgabe“ sei dies, sagt Seehofer. Aber man wolle sie angehen. | |
| Später steigt er in den Flieger nach Helsinki, mit CSU-Vize Manfred Weber, | |
| es geht um die Wahl zum EVP-Spitzenkandidaten für die Europawahl. Die Reise | |
| wird ein Erfolg, Weber gewinnt die Kampfabstimmung, man kann Seehofer | |
| wieder lächeln sehen. | |
| ## Der „Vater aller Probleme“ | |
| Aber es brodelt allerorten. „Vater aller Probleme“ lautet der Spitzname, | |
| den sie Seehofer CSU-intern gegeben haben. Der ehemalige parlamentarische | |
| Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe Max Straubinger und der Abgeordnete | |
| Jürgen Baumgärtner fordern offen seinen Rücktritt als Parteichef. Die | |
| früheren CSU-Chefs Theo Waigel und Erwin Huber sowie die bisherige | |
| Landtagspräsidentin Barbara Stamm beließen es bei recht eindeutigen | |
| Andeutungen. Und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller sagte, die CSU | |
| brauche auch eine personelle Erneuerung „bis in die Parteispitzen“. | |
| Am Sonntag, wenn Seehofer die Bezirksvorstände trifft, dürfte es zum | |
| Showdown kommen, zur Abrechnung hinter verschlossenen Türen. Einen offenen | |
| Fürsprecher für den Langgedienten gab es in der CSU zuletzt nicht mehr. | |
| Dafür aber den vehementen Ruf, zumindest eine Konsequenz aus der | |
| missglückten Bayern-Wahl zu ziehen. Nun, da Söder zum Ministerpräsidenten | |
| gewählt ist, bleibt dafür im Grunde nur noch einer übrig: Horst Seehofer. | |
| Kaum vorstellbar, dass sich der 69-Jährige ohne Rückhalt weiter an den | |
| Parteivorsitz klammert, es auf eine Kampfabstimmung ankommen ließe. Einen | |
| freiwilligen Abgang könnte er immerhin als selbstbestimmten Akt verkaufen. | |
| Aber: Das Heft des Handelns gäbe Seehofer damit endgültig aus der Hand. | |
| Denn es ist der CSU-Chef, der die eigenen Minister nach Berlin entsendet – | |
| oder von dort abzieht. Ohne Parteivorsitz könnte Seehofer also jederzeit | |
| seinen Posten als Innenminister verlieren. Es wäre nichts, was dem | |
| leidenschaftlichen Taktiker gefallen kann. | |
| Selbst im eigenen Ministerium wären einige erleichtert über einen Abgang. | |
| Es gebe „keine klare Linie“ mehr, Entscheidungen blieben liegen, wird dort | |
| dieser Tage geklagt. „Die Unzufriedenheit ist groß.“ Offensichtlich fehle | |
| Seehofer „die Kraft“, sein Großministerium zu führen, gestehen auch Stimm… | |
| in der Union. Die SPD ist ohnehin mit der Geduld am Ende. Als | |
| „Fehlbesetzung“ und „Zumutung“ wird Seehofer dort bezeichnet. | |
| ## Vertraute hat er kaum noch | |
| Doch die Frage bleibt: Welchen Plan verfolgt Seehofer selbst? Als die Zeit | |
| diese Woche berichtet, Seehofer wolle den CSU-Vorsitz abgeben, das | |
| Innenministerium aber behalten, weist dieser das als „fette Ente“ zurück. | |
| Er werde sich erst ab Montag zu seiner Zukunft äußern. Die Zeit berief sich | |
| auf Vertraute Seehofers. Doch Vertraute hat Seehofer im Grunde kaum mehr. | |
| Schon seit Jahren lässt er nur wenige Mitstreiter wirklich an sich ran, | |
| Entscheidungen macht er mit sich allein aus. | |
| Dabei ist Seehofer wesentlich sprunghafter geworden, manchmal gar trotzig. | |
| Früher war sein Pfund das Gespür für Stimmungen und eine schelmische | |
| Ironie, auch auf sich selbst gerichtet. Heute ist Seehofer dünnhäutig. Es | |
| trifft ihn, wenn die FAZ ihn „Crazy Horst“, der Spiegel ihn „Gefährder“ | |
| nennt. Er beklagt sich, als „Psycho“ und „Radikaler“ dargestellt zu wer… | |
| Und er lässt jetzt alle spüren, wie ungerecht er sich behandelt fühlt. | |
| „Noch einmal mache ich den Watschnbaum nicht“, sagte Seehofer nach der | |
| Bayern-Wahl. „Eher stelle ich mein Amt als Parteivorsitzender zur | |
| Verfügung.“ | |
| Es geht Seehofer jetzt um sein Lebenswerk. Fast 50 Jahre bewegte sich | |
| Seehofer in der Politik. Nun will er sich sein politisches Ende nicht von | |
| anderen diktieren lassen. Und Seehofer machte stets klar, dass er Kanzlerin | |
| Angela Merkel überdauern, nicht auf ihrem „Männerfriedhof“ landen will. | |
| Nun hat Merkel selbst ihren Rückzug vom CDU-Parteivorsitz erklärt. Das | |
| könnte auch Horst Seehofer den Schritt erleichtern, als CSU-Chef freiwillig | |
| abzutreten. Doch selbst in seinem Umfeld heißt es, man wisse nicht, was er | |
| vorhabe. Sein Sprecher behauptete diese Woche, Seehofer habe sich noch | |
| nicht festgelegt. | |
| ## Er ist noch nicht fertig | |
| Zumindest für das Innenministerium gibt es Signale. Er habe dort „noch ein | |
| großes Werk zu verrichten“, sagte Seehofer jüngst. Auch von Mitarbeitern | |
| heißt es, der Minister hänge vor allem an dem Thema Heimat. „Und er ist | |
| deutlich hartleibiger, als manche denken.“ Zudem drängt aus der CSU niemand | |
| wirklich ins Ministerium. Der Posten ist mäßig attraktiv, auch weil die | |
| Koalition jederzeit platzen kann. Joachim Herrmann, der bayerische | |
| Innenminister, hat einen Wechsel ins Berliner Kabinett unlängst | |
| ausgeschlossen. | |
| Dennoch halten sich in der CSU die Stimmen, die bekräftigen, es wäre wenig | |
| geholfen, wenn Seehofer nur als Parteichef ginge – und in Berlin weiter für | |
| Negativschlagzeilen sorgte. Würden sich diese Kräfte durchsetzen, hätte | |
| Seehofer tatsächlich alles verloren. | |
| Der Angeschlagene selbst will davon offenbar nichts wissen. Am Montag – dem | |
| Tag nach der Aussprache mit dem CSU-Vorstand – will Seehofer nach Bautzen | |
| fahren und dort ein neues Fahndungszentrum der Bundespolizei einweihen, | |
| tags darauf in Berlin Bundesverdienstkreuze verleihen. Normales | |
| Alltagsgeschäft. Wenn man ihn dann noch lässt. | |
| 10 Nov 2018 | |
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| Konrad Litschko | |
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