# taz.de -- Lokalzeitung drosselt Text zu Bettenhaus: Maßlose NS-Aufarbeitung? | |
> Die „Badische Zeitung“ hält einen Text zurück, der die NS-Vorgeschichte | |
> eines Anzeigenkunden thematisiert. Der Autor befürchtet Zensur. | |
Bild: Mängel oder Mutlosigkeit? Die „Badische Zeitung“ verteidigt es, den … | |
Berlin taz | Im Juli erscheint im Wochenendmagazin der Badischen Zeitung | |
(BZ) [1][ein Text, der sich kritisch mit der Gründungsgeschichte eines | |
Freiburger Bettenhauses auseinandersetzt]. Die Firma Betten Striebel war | |
zur NS-Zeit durch die so genannte Arisierung eines jüdischen Kaufhauses | |
entstanden und ist heute ein guter Anzeigenkunde der BZ. Auf Initiative des | |
Chefredakteurs Thomas Fricker erscheint der Text aber weder online, noch | |
werden Leserbriefe dazu abgedruckt. | |
Bernd Serger, Autor des Textes und bis zu seinem Ruhestand 2011 selbst | |
Mitglied der Chefredaktion, wirft Chefredakteur Fricker deshalb [2][auf | |
Facebook „Zensur“ vor und schreibt], er habe „sofort die Online-Version d… | |
Beitrags (…) löschen“ lassen und die Veröffentlichung von Leserbriefen | |
verboten. Aus Angst, das Bettenhaus als Anzeigenkunden zu verlieren? | |
„Der Vorwurf, ich hätte in dieser Angelegenheit vor einem unserer | |
Anzeigenkunden gekuscht, ist Humbug“, sagt Thomas Fricker, heutiger | |
Chefredakteur der Badischen Zeitung. Viel mehr enthalte der Beitrag | |
„journalistische Mängel, die leider erst nach Drucklegung unseres | |
Wochenendmagazins offenkundig geworden sind“, sagt Fricker: „Sonst hätte | |
ich ihn in dieser Form nicht freigegeben.“ Deshalb habe er sich | |
entschieden, den Text nicht auch noch im Online-Auftritt zu | |
veröffentlichen. | |
Gelöscht, wie Serger es sagt, wurde der Beitrag also nicht. Für | |
Premiumnutzer ist er im e-Paper-Archiv verfügbar. Dadurch, dass es keine | |
richtige Online-Fassung gibt, kann man ihn aber weder frei einsehen, noch | |
über andere Kanäle teilen, seine Reichweite ist deshalb deutlich kleiner. | |
„Ob das Zensur war, da kann man drüber streiten – aber wie nennt man es | |
sonst, wenn ein Text verschwindet?“, fragt Serger. Der Chefredakteur selbst | |
erklärt, gegen die Online-Veröffentlichung habe er sich entschieden, „weil | |
der Beitrag in Google-Zeiten die heutige Inhaberfamilie langfristig in ein | |
(…) falsches Licht gerückt hätte.“ Dabei geht es vor allem um die Frage, … | |
eine Familie an die NS-Vergangenheit ihrer Firma erinnern muss, auch wenn | |
sie selbst nicht daran beteiligt war. | |
Ausgangspunkt für Sergers Geschichte war eine Anzeigenbeilage von Betten | |
Striebel im Oktober 2017 zum 80-jährigen Jubiläum des Bettenhauses. Darin: | |
ein kurzer Abriss zur Geschichte des Hauses, in dem die jüdische | |
Vergangenheit nicht erwähnt wurde. Der Beitrag beginnt erst mit dem Jahr | |
1980, mit der Übernahme des Bettenhauses durch die neuen Besitzer: die | |
Familie Hamer. | |
## Aus der Arisierung entstanden | |
Serger geht in seiner Geschichte weiter zurück: Entstanden ist die Firma | |
Betten Striebel 1937, nachdem der Gründer Franz Striebel im Zuge der | |
Arisierung das jüdische Kaufhaus Julius Marx übernommen hatte. Dabei | |
mussten jüdische Kaufleute unter der Herrschaft der Nationalsozialisten | |
ihre Geschäfte deutlich unter Wert verkaufen. Ihre jüdische Vergangenheit | |
hat die Firma Betten Striebel nie öffentlich aufgearbeitet, auch nicht nach | |
der Übernahme des Ladens durch Familie Hamer in den Achzigern. | |
Serger schreibt in seinem Text: „Die Familie Hamer hat mit der ‚Arisierung�… | |
des Kaufhauses Julius Marx nichts zu tun. Das war allein die Angelegenheit | |
der Familie Striebel (…) . Umso merkwürdiger ist der Umgang der heutigen | |
Firma Striebel mit dem Thema.“ | |
Für Chefredakteur Thomas Fricker liegen die journalistischen Mängel aber | |
schon im Ausgangspunkt der Recherche, der Zeitungsbeilage, in der die | |
jüdische Geschichte nicht erwähnt wurde: „Hätte [die Inhaber-Familie] | |
tatsächlich ‚umfangreich‘ die Geschichte des Hauses dargestellt und die | |
jüdischen Ursprünge nicht erwähnt, wäre das ein Ansatz zum Nachhaken | |
gewesen.“ | |
Bei der „Jubiläumsbeilage“ habe es sich allerdings um einen „simplen | |
Bettenprospekt“ gehandelt. Die Firma Betten Striebel „alleine | |
herauszugreifen und auch noch (…) in der Gesamtauflage der BZ an den | |
Pranger zu stellen, ließ jedes Maß vermissen.“ Für viele Leser sei vor | |
allem hängengeblieben, dass die Firma Striebel „irgendwie antisemitisch“ | |
sei. „Leute sind in den Laden gekommen und haben Beschimpfungen | |
ausgestoßen.“ | |
Über Bernd Serger sagt Fricker deshalb: „Er will von der Inhaber-Familie | |
öffentliche Erinnerungsarbeit erzwingen, womit er seine Kompetenzen meines | |
Erachtens weit überschreitet.“ Bernd Serger sieht das anders: „Wie mit der | |
Geschichte umgegangen wird, auch in Zeiten der AfD – ich bin der Meinung, | |
dass das nicht im Belieben der Firma steht. BZ-Chefredakteur Fricker wirft | |
mir vor, ich hätte ‚das Ansehen unbescholtener Bürger verletzt‘. Mir geht | |
es um das Ansehen unbescholtener Bürger, die 1937 alles aufgeben mussten. | |
Ich wollte ihnen in Freiburg wieder einen Namen geben.“ | |
19 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.genios.de/presse-archiv/artikel/BADZ/20180721/jubilaeum-aus-dem-… | |
[2] https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10217927676403179&set=a.1653702… | |
## AUTOREN | |
Sophie Spelsberg | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Antisemitismus | |
"Arisierung" | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Journalismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Journalist der „Badischen“ abgesägt: Persona non grata | |
Bernd Serger schrieb für die „Badische Zeitung“ über die NS-Vorgeschichte | |
eines Anzeigenkunden. Nun darf der Autor nicht mehr für das Blatt arbeiten. | |
Psychologin über 80 Jahre Pogromnacht: „Die Gleichgültigkeit hat Bestand“ | |
1938 versagte die Welt, als sie jüdischen Flüchtlingen nicht half. Und | |
heute? Die Psychologin Marina Chernivsky warnt vor historischen | |
Vergleichen. | |
Ein-Mann-Lokalredaktion in Ettenheim: Einer für die Kleinstadt | |
Klaus Fischer leitet den Lokalteil der „Badischen Zeitung“ in Ettenheim. | |
Die Redaktion besteht nur aus ihm. Das sorgt für Selbstbestimmung – und | |
Einsamkeit. |