# taz.de -- Ein-Mann-Lokalredaktion in Ettenheim: Einer für die Kleinstadt | |
> Klaus Fischer leitet den Lokalteil der „Badischen Zeitung“ in Ettenheim. | |
> Die Redaktion besteht nur aus ihm. Das sorgt für Selbstbestimmung – und | |
> Einsamkeit. | |
Bild: Braucht dieses hübsche Örtchen mehr als einen Journalisten? | |
ETTENHEIM taz | Es ist 9 Uhr morgens, und Klaus Fischer muss heute drei | |
Seiten füllen. Wie jeden Tag. „Ich weiß meistens nicht, was am nächsten Tag | |
im Blatt stehen wird“, sagt er. Wochenpläne sind nicht sein Ding, „Bei mir | |
fängt’s eh erst ab zwei Uhr an zu sprudeln.“ Klaus Fischer ist | |
Alleinredakteur. Schon dieser Begriff hat etwas Herzzerreißendes. Er meint: | |
Klaus Fischer ist Leiter einer Einmannredaktion. Er leitet sich selbst. | |
Fischer arbeitet für die Badische Zeitung. Seine Redaktion liegt in | |
Ettenheim, zwischen Offenburg und Freiburg. Nicht mal zehn Kilometer | |
Luftlinie bis zur französischen Grenze. 12.000 Einwohner hat Ettenheim, die | |
CDU regiert mit 36 Prozent. Es gibt vierstellige Telefonnummern hier und | |
alte Familienbetriebe. | |
Den Bericht über die Gemeinderatssitzung vom Vorabend hat Fischer schon | |
fertig, ein Pressetermin im Rathaus steht heute Vormittag an, danach ein | |
Interview mit dem Konrektor einer neuen Projektschule. Zweieinhalb Seiten | |
hat Fischer noch zu füllen. Drei Texte schreibe er im Schnitt pro Tag, sagt | |
er. Mal über die Bahntrasse der nahen ICE-Strecke, die ausgebaut werden | |
soll, mal über den neuen Priester. Die bunten Abendtermine überlässt er | |
seinen freien Mitarbeitern, die das eher als Hobby machen. | |
„Wenn ich nicht bei Presseterminen bin, schicken sie einen Boten, um mich | |
zu holen“, sagt Klaus Fischer und grinst. „Und regelmäßig schaut die | |
Politesse kurz rein, um mir zu sagen, dass meine Parkscheibe in zehn | |
Minuten abläuft.“ | |
Die Redaktion ist in einem Fachwerkhaus untergebracht. Eine typische | |
süddeutsche Barockstadt, geradezu rührend beschaulich. Im Vorraum ist die | |
Geschäftsstelle, wo eine Angestellte Tickets verkauft oder Abos – was über | |
die Zeitung eben so zu beziehen ist. Dahinter, hinter einer Glaswand, ist | |
die Redaktion. Also Fischers Schreibtisch, eine Kaffeeküche und noch ein | |
Schreibtisch für die freien Mitarbeiter. „Bis vor drei Jahren waren wir im | |
Keller einer alten Backstube“, erzählt Fischer. „Einladen konnte man | |
dorthin niemanden.“ Damals waren sie noch zu zweit, die Kollegin wechselte | |
nach Freiburg. Nachbesetzt wurde die Stelle nicht, dafür ein | |
Newsdesk-System mit der nächstgrößeren Redaktion aufgebaut. | |
„Mein größter Kritiker“, sagt Fischer auf einmal, er nickt lächelnd einem | |
älteren Herrn zu, der auf der anderen Seite der Glasscheibe bei der | |
Kollegin von der Geschäftsstelle steht. Er bringe regelmäßig Ausgaben | |
vorbei, in denen Fehler angestrichen seien. Dafür jeden Monat ein | |
Abonnement bezahlen, so die Botschaft, das müsse man sich gut überlegen. | |
## „Ich komme gerne hierher“ | |
Fischer muss los, der Pressetermin im Rathaus. Er braucht eine Minute, dann | |
ist er da, die Wege sind kurz hier. Es geht um ein Infowochenende zum Thema | |
Energie, es ist schon das elfte. Auf der einen Seite des Tischs der | |
Bürgermeister, die Kollegen vom Handwerk, die Veranstalter, drüben Fischer | |
und seine Kollegen von der Konkurrenz, vom Schwarzwälder Boten und den | |
Anzeigenblättern. Der emeritierte Forstwirtschaftsprofessor, der sich diese | |
Energietage mal ausgedacht hat, ist auch da. Es ist viel von Heizungen die | |
Rede, irgendwann sagt der Professor: „Ich komme gerne hierher, Herr | |
Fischer, weil ich Ihre kritischen Fragen schon erwarte.“ Ab da redet der | |
Professor nur noch für ihn, es ist ein professionell-frotzelnder Umgang. | |
Draußen sagt Fischer: „Das war mir peinlich“. Es ist jetzt 10.38 Uhr. | |
Eigentlich sagt Fischer natürlich: „des“ – „des war mir peinlich“. F… | |
ist Ende 50 und stammt aus der Gegend, er spricht das weiche, gelassene | |
Badisch, wie alle hier. Provozieren lässt Fischer sich nicht, das liegt | |
nicht in seinem Naturell. Er kann hier sowieso keinem aus dem Weg gehen. | |
Die Leser und die, über die er berichtet, man sieht sich ja jeden Tag durch | |
die Fensterscheiben, der Bürgermeister schaut auch mal g’schwind rein. | |
Wahrscheinlich kann man es auch nur hier als Einmannredaktion aushalten. Wo | |
eine Debatte über das Straßenpflaster tobt, weil die Rollatoren immer | |
hängen bleiben. Und wo ein Ort wie Rust zum Verbreitungsgebiet gehört, der | |
mit dem Europapark, wo die Pro-Kopf-Verschuldung bei 0 Euro liegt. Man darf | |
diese Einmannredaktion nicht verwechseln mit anderen Einmannredaktionen, | |
etwa in Sachsen, wo ein Alleinredakteur allein ist, um über | |
Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus zu schreiben. | |
## Kein Chef, keine Kollegen | |
Fischer sagt: „Ich vermisse schon, dass ich kein Gegenüber habe, allein um | |
die Themensetzung zu besprechen.“ Intensive Recherchen, Investigatives, das | |
ist nicht drin. Aber er sagt eben auch: „Ich bin froh, dass mir keiner | |
reinredet.“ Anfang Oktober hatte er Grippe, ein Kollege musste einspringen. | |
Er sagt, er mag seine Zeitung an diesen Tagen weniger. | |
In einem Text aus der Zeit, von 1974 ist der, steht, dass die Aussichten im | |
Journalismus nicht rosig seien und die Bezahlung auch nicht, Tarifvertrag | |
hin oder her – außer eben für Alleinredakteure. Bei der Badischen Zeitung | |
gibt es derzeit vier Einmannredaktionen, die Hälfte ist mit 1,4 Stellen | |
besetzt – damit auch mal Urlaub drin ist, oder Grippe. Sie werden nach | |
Tarif bezahlt, und das heißt nach 15 Berufsjahren mehr als 5.000 Euro im | |
Monat. | |
„Sie sind einer besonderen Belastung ausgesetzt“, sagt Holger Knöferl, | |
Leiter der Heimatredaktionen der Badischen Zeitung. Das Organisatorische, | |
die Recherche, das Produzieren, alles hänge an einer Person. „Die | |
Möglichkeit für Feedback, einen kurzen Austausch über Themen, das fehlt.“ | |
Man wolle in der Fläche präsent bleiben, auch deshalb werde man diese | |
Redaktionen nicht schließen. Und: „Ich beobachte derzeit den Trend hin zu | |
hyperlokaler Berichterstattung“, sagt Knöferl. Näher dran als Fischer geht | |
tatsächlich kaum. | |
Auch deswegen wohnt er in Lahr, eine Regionalausgabe weiter. „In Ettenheim | |
bin ich immer der Journalist“, sagt er. Er kann nicht einfach weitergehen, | |
wenn ihm jemand etwas erzählen will, auch samstags nicht. Das wäre so, als | |
wäre die Zeitung abweisend, unfreundlich. Er zuckt mit den Schultern: „Die | |
Zeitung bin hier halt ich.“ | |
## 1.500 Abonnenten in 10 Jahren verloren | |
Fischer ist seit 1982 bei der Badischen Zeitung, am 1. Oktober war sein | |
Dienstjubiläum. Er war mitten in seinem Politik- und Wirtschaftsstudium, | |
als ihm ein Volontärsvertrag angeboten wurde. Er war Sportredakteur, dann | |
Ressortleiter. Er baute die Lokalredaktion in Offenburg mit auf, vor sechs | |
Jahren wechselte er nach Ettenheim. Es war eine Hauruck-Aktion. Die | |
Kommunalwahl musste annulliert werden, nachdem am Samstag vor der Wahl noch | |
eine Wahlkampf-Pressemitteilung im Blatt gelandet war. Der Redaktionsleiter | |
musste gehen, am Donnerstag nach der Wahl trat Fischer seinen Dienst an. | |
In den ersten Monaten nach diesem Wahlskandal verlor Ettenheim etwa 50 | |
Abonnenten, das ist viel hier. „Inzwischen sind wieder einige | |
dazugekommen“, sagt Fischer. Die Regionalausgabe der Badischen Zeitung | |
hatte vor zehn Jahren laut IVW eine Auflage von 12.500 Exemplaren, heute | |
sind es 11.000. | |
Der nächste Termin. Fischer fährt am Dorfbrunnen vorbei, in dem eine Frau | |
ihre Blumenkästen schrubbt. Beim Herrgott am Kreuz biegt er links ab, zum | |
neuen Bildungshaus. Der Konrektor will ihm das Konzept erklären, es geht um | |
Kooperationen zwischen Kindergärten und Grundschulen. Fischer fragt nach, | |
will’s präziser – was Journalisten halt so machen. Und sagt in seiner | |
jovialen Art auch Sätze wie: „Wenn ich das mal sagen darf: Das klingt ganz | |
schön banal.“ | |
Zurück in der Redaktion, schließt Fischer hinter sich ab. An zwei Tagen ist | |
die Geschäftsstelle nachmittags nicht besetzt. Dass Fischer keine Zeit hat, | |
um zwischendurch Konzertkarten zu verkaufen, ist seinen Lesern nicht immer | |
leicht zu vermitteln. Es ist früher Nachmittag. Fischer hat noch | |
zweieinhalb Seiten zu füllen. Redaktionsschluss ist um 20 Uhr. Kein | |
Problem. | |
10 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
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Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
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