# taz.de -- Rechercheverbund gegen Rechts: Neue Allianzen für Europa | |
> Ein Recherchverbund berichtet bis zur EU-Wahl über die Rechte und die | |
> europäische Demokratie. | |
Bild: Die taz bildet gemeinsam mit Medien aus Ungarn, Österreich, Italien und … | |
Wer zuhört, bekommt es heute explizit gesagt. Etwa von Ungarns | |
Ministerpräsident Viktor Orbán. Das Jahr der EU-Wahl 2019 werde ein | |
„historisches Jahr“ für alle GegnerInnen von Multikulturalismus und | |
Migration, sagte er bei einer Rede vor AnhängerInnen: „Wir sagen ‚Auf | |
Wiedersehen‘ zur liberalen Demokratie in Europa.“ Deutlicher kann man einen | |
Kulturkampf kaum ankündigen. Orbán selbst ist in dieser Hinsicht schon | |
enorm vorangeschritten. | |
Geht es nun überall so weiter? Gelingt es den Rechten dieses Kontinents, | |
die liberalen Demokratien zu zerschlagen? Zweifellos sind die | |
RechtspopulistInnen im Aufwind, und das fast flächendeckend. Sie streben | |
eine Gesellschaft an, in der viele nicht leben sollen – und andere es nicht | |
wollen. | |
Das Bild der Rechten ist heute oft diffus. Es zerfasert an den Rändern; die | |
Übergänge zum Rechtsextremismus sind fließend. Gleichzeitig hat sich rechte | |
Ideologie in der gesellschaftlichen Mitte längst ausgebreitet. | |
RechtspopulistInnen stellen diese Uneindeutigkeit bewusst her – durch ihre | |
Sprache, ihre Bündnisse, ihre soziale Basis. Sie verweisen auf ihre | |
bürgerliche Seite, bilden aber ein Kontinuum, das vom entfremdeten | |
Konservatismus bis zum glühenden Hass gegen Eliten und Minderheiten tief in | |
der rechtsextremen Szene reicht. | |
Europa ist RechtspopulistInnen dabei negativer und positiver Bezugspunkt | |
zugleich: Sie dämonisieren die EU als Angriff auf die nationale | |
Souveränität – und bilden gleichzeitig auf europäischer Ebene Allianzen. | |
Eine Internationale der NationalistInnen mag in der Vergangenheit selten | |
gut funktioniert haben. Heute aber gibt es mehr als nur Parallelen unter | |
den rechten Parteien Europas: Es gibt Synergien, Kooperationen, | |
Koordination. | |
## Es bilden sich klare Achsen | |
Teils ist dies erst in Ansätzen spürbar, wie bei der Verbindung zwischen | |
AfD und dem französischen Rassemblement National, der früher Front National | |
hieß. Teils haben sich schon klare Achsen gebildet, wie jene zwischen der | |
FPÖ in Österreich und Fidesz in Ungarn. In den nächsten Monaten, bis zur | |
EU-Wahl im Mai, wird sich zeigen, welche Wirkung diese Bündnisse für ein | |
autoritäres, nationalistisches Europa haben. | |
Das wird die taz mit Partnermedien aus Ungarn, Polen, Österreich, Italien | |
und Frankreich im neuen Rechercheverbund „Europe’s Far Right“ | |
dokumentieren. | |
Unsere KollegInnen vor allem in Osteuropa können aus erster Hand davon | |
berichten, was es bedeutet, wenn RechtspopulistInnen die Macht erlangen: | |
RedakteurInnen werden von RegierungssprecherInnen angepöbelt, ReporterInnen | |
ausgesperrt, JournalistInnen von Abgeordneten offen bedroht. Alimentierte | |
Staatsmedien ringen die Konkurrenz nieder. Diese wird mit Klagen überzogen, | |
eingeschüchtert oder in die Pleite gedrängt. | |
Je näher die Europa-Wahl rückt, desto mehr werden wir veröffentlichen – in | |
der Zeitung, auf taz.de, in Videos, Podcasts und bei Veranstaltungen. Als | |
europäisches Projekt wollen wir das Bild dessen, was gerade entsteht, | |
schärfen – auch und gerade an den Rändern. Es ist unser Beitrag zur | |
politischen Auseinandersetzung in einer schwierigen Zeit. | |
## Diese Medien gehören zum Rechercheverbund „Europe’s Far Right“: | |
## | |
## Internazionale – Das Fenster zur Welt aus Rom | |
Die Jüngste war gerade mal 23 Jahre alt, der Älteste 28. Obwohl nur einer | |
von ihnen von Beruf Journalist war, beschlossen diese vier jungen Menschen | |
im Jahr 1993, ZeitungsgründerInnen zu werden, – schlicht, weil sie mit dem | |
Printangebot in Italien unzufrieden waren. Internazionale heißt das | |
Wochenmagazin, das sie aus der Taufe hoben, es sollte einen Blick auf die | |
Welt öffnen, der in Italiens Medien in der Regel viel zu kurz kommt. 48 | |
Seiten, schwarz-weiß, kaum Fotos: So sah das Produkt damals aus. | |
Doch langsam ging es aufwärts, die LeserInnen mehrten sich. Der Durchbruch | |
kam im Jahr 2001, erst mit dem G8-Gipfel in Genua, dann mit der | |
Berichterstattung zum 11. September. Binnen weniger Wochen verdoppelte sich | |
die Auflage. Und während so gut wie alle anderen Printmedien Italiens in | |
die Krise gerieten, konnte das Wochenmagazin seither kontinuierliche | |
Zuwächse auf nunmehr 100.000 Exemplare verzeichnen. | |
Reportagen, die zuerst in den großen Tages- und Wochenzeitungen weltweit | |
erschienen– von Le Monde zur Washington Post, von der Zeit zu El País – und | |
nun in Internazionale stehen, sind ein Fenster zur Welt und den Medien der | |
Welt. Dazu steuert die Redaktion mittlerweile viel Eigenes bei: | |
Reisereportagen ihrer RedakteurInnen, Kultur, Fotostrecken, Graphic Novels. | |
Die Website von Internazionale bietet zusätzlich tagesaktuelle | |
Berichterstattung und Kommentare. Auf Facebook und Twitter haben die | |
Auftritte von Internazionale jeweils über eine Million Follower. | |
Und jedes Jahr im Oktober lädt die Zeitschrift ihre Leser zu einem | |
dreitägigen Festival in Ferrara ein, Tausende verfolgen dort | |
Diskussionsveranstaltungen und Workshops, deren Themen vom Trump-Amerika | |
bis zu den Umbrüchen in Afrika, von der Krise der EU bis zum Krieg in | |
Syrien reichen. Michael Braun, Rom | |
## Libération – Die Patin in Paris | |
Wie die taz in Deutschland nimmt die Libération in der französischen | |
Presselandschaft einen speziellen und unersetzbaren Platz ein. | |
Unvergleichlich ist die „Libé“, wie die LeserInnen ihre Zeitung nennen, | |
durch die politisch linke Ausrichtung, die damit verbundene Themenwahl, | |
auch hinsichtlich der Optik und dem frechen Tonfall – auch wenn die 1973 | |
von Jean-Paul Sartre und Serge July gegründete Libé mit den Jahren spürbar | |
braver, wenn nicht sogar konventioneller geworden ist. | |
Für die taz war die indirekt aus der Bewegung des Pariser Mai 1968 | |
hervorgegangene Tageszeitung ein Vorbild, fast eine journalistische Patin. | |
Kaufen sich konservativ Eingestellte jeden Morgen beim Kiosk Le Figaro, | |
outet sich ein Libé-Kunde allein schon wegen der Geschichte des Blattes als | |
Linker. Nicht nur Sartres maoistische „Gauche prolétarienne“, sondern auch | |
trotzkistische und andere antikapitalistisch bewegte ZeitungsmacherInnen | |
der ersten Jahre wollten mit der Libé den Mai ’68 fortsetzen, wenn möglich | |
bis zur Revolution. Spätestens mit der Wahl des Sozialisten François | |
Mitterrand 1981 zum Präsidenten endete diese Phase. | |
Als „liberal-libertär“ bezeichnete July die Linie der neuen Libé, in der | |
nun auch bezahlte Werbung Platz fand. Die Libération ist eine | |
Aktiengesellschaft mit privaten KapitaleignerInnen, deren Einfluss von der | |
Gesellschaft der Redaktionsmitglieder begrenzt werden soll. Die Übernahme | |
durch den Bankiererben Édouard de Rothschild 2006 war eine unternehmerische | |
Wende, die unter dem jetzigen Hauptaktionär Patrick Drahi, der die Libé in | |
seine Kommunikations- und Mediengruppe integriert, beschleunigt fortgesetzt | |
wird. Die Seite libe.fr wird täglich von rund 450.000 Menschen besucht. Der | |
Print hat noch rund 27.000 AbonnentInnen, die digitale Ausgabe bisher erst | |
etwa halb so viele. Rudolf Balmer, Paris | |
## Der Falter – Viel Feind, viel Ehr in Wien | |
Viel Feind, viel Ehr: Dieser alte Spruch trifft auf den Falter sicher zu. | |
Die Wiener Wochenzeitung hat rund 3.000 Abos zugelegt, seit Innenminister | |
Herbert Kickl (FPÖ) sie Anfang Oktober als feindliches Medium qualifizierte | |
und seinen Pressesprecher anwies, dem Falter und zwei Tageszeitungen nur | |
mehr das gesetzlich notwendige Minimum an Information zukommen zu lassen. | |
Der Falter, vor über 40 Jahren als Wiener Programmzeitung gegründet, ist | |
seit Jahren eines der führenden Investigativmedien des Landes. | |
Chefredakteur Florian Klenk, selbst studierter Jurist, hat sich als | |
Aufdecker von Skandalen im Justiz- und Polizeisektor verdient gemacht. Für | |
Whistleblower, die darauf Wert legen, dass ihre Informationen mit | |
Sachverstand aufgearbeitet werden, ist der Falter eine der ersten Adressen. | |
Schon Kurt Waldheim, der wegen seiner Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg | |
umstrittene Bundespräsident (1986-1991), hatte dem Falter durch die | |
Beschlagnahmung der Gesamtauflage einer Ausgabe zu landesweiter | |
Aufmerksamkeit verholfen. Erwin Pröll (ÖVP), der selbstherrliche | |
Landeshauptmann von Niederösterreich, zog sich vergangenes Jahr moralisch | |
angeschlagen aus der Politik zurück, nachdem der Falter aufgedeckt hatte, | |
wie Pröll seine Privatstiftung mit öffentlichen Geldern alimentierte. Die | |
Anzahl der AbonnentInnen stieg damals um 25 Prozent. | |
Entstanden ist das Projekt aus der Besetzung der Schlachthöfe Sankt Marx in | |
Wien, die junge AktivistInnen vor dem Abriss bewahren wollten. 1976 hat | |
sich so eine bis heute nachwirkende Jugendkulturbewegung gebildet. Von der | |
Auflage von 30.000 Stück werden 18.000 in Wien verkauft. Neben 18 | |
RedakteurInnen beschäftigt der Falter sieben feste KolumnistInnen. Ralf | |
Leonhard, Wien | |
## Gazeta Wyborcza – Die bedeutendste Zeitung Polens | |
Die linksliberale Gazeta Wyborcza ist mit einer verkauften Auflage von | |
durchschnittlich 87.250 Exemplaren nach den beiden Boulevardblättern Fakt | |
und Superexpress Polens drittgrößte Tageszeitung. Gegründet wurde sie 1989 | |
als ein Ergebnis des sogenannten Runden Tisches. Hier hatten Kommunisten | |
und oppositionelle Freiheitskämpfer der Gewerkschaft Solidarność die | |
Bedingungen für die ersten, noch halb freien Parlamentswahlen | |
ausgearbeitet. | |
Da alle Medien in den Händen der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei | |
(PVAP) waren, wurde der Solidarność eine eigene Wahlzeitung zugestanden, | |
die Gazeta Wyborcza. Spitzendkandidat war Lech Wałęsa, der Arbeiterheld von | |
der Danziger Lenin-Werft. | |
Als die Solidarność im Juni 1989 die Wahlen haushoch gewann, wurde die | |
„Wahlzeitung“ in eine normale Tageszeitung umgewandelt. Die ersten | |
Redaktionssitzungen im Sandkasten eines Kindergartens, wo die Gazeta | |
zunächst unterkam, gehörten bald der Vergangenheit 4an. Unter Chefredakteur | |
Adam Michnik stieg das Blatt innerhalb weniger Jahre zur bedeutendsten | |
Qualitätszeitung Mittelosteuropas auf, mit einer Auflage von bis zu 500.000 | |
Exemplaren täglich. | |
Seit Beginn der weltweiten Zeitungskrise muss aber auch die Gazeta kämpfen. | |
Hinzu kommt der erklärte Wille der nationalpopulistischen Regierungspartei | |
Recht und Gerechtigkeit (PiS) und ihrer Anhänger, das ihnen verhasste | |
linksliberale „Koscher-Blatt“ wirtschaftlich zu vernichten. Noch behauptet | |
sich die Gazeta Wyborcza trotz massivem Auflageneinbruch ganz gut. Noch ist | |
sie Polens führende seriöse Tageszeitung. Doch der Kampf ist noch nicht | |
ausgestanden. Gabriele Lesser, Warschau | |
## hvg – Regierungskritisch in Budapest | |
hvg steht für Heti Világgazdaság und bedeutet so viel wie | |
Weltwirtschaftswoche. Oft der ungarische Spiegel genannt, hat sich das | |
Magazin von Anbeginn in Stil und Inhalt eher am britischen Economist | |
orientiert. Die Gründung im Jahre 1979 erfolgte noch tief in der | |
kommunistischen Staatswirtschaft und war daher ein politisches und | |
wirtschaftliches Wagnis. | |
Zehn Jahre später kam die politische Wende und die von der hvg vertretenen | |
Ideen waren plötzlich nicht mehr ketzerisch, sondern Mainstream. Trotzdem | |
gelang es, systemkritisch, investigativ und fern der Macht zu bleiben. | |
Reihenweise wurden Skandale linker wie rechter Regierungen aufgedeckt, | |
nicht wenige lösten mittlere politische Erdbeben aus. Mit der taz verbindet | |
die hvg die Vorliebe für markante, provokante und häufig satirische | |
Titelbilder. | |
2012 brachte die hvg Staatspräsident Pál Schmitt zu Fall. Der ehemalige | |
Olympiateilnehmer im Fechten trat zurück, nachdem die | |
Semmelweis-Universität ihm den Doktortitel aberkannte. Die hvg hatte | |
aufgedeckt, dass er große Teile seiner Dissertation abgekupfert hatte. | |
hvg-Recherchen zur Dissertation von Vize-Pemier Zsolt Semjén, der in seiner | |
theologischen Doktorarbeit großzügig ohne Quellenangabe abgeschrieben | |
hatte, blieben ohne Konsequenzen. | |
Mit über 30.000 verkauften Exemplaren – gegenüber 90.000 vor zehn Jahren – | |
ist die hvg mit Abstand die größte Wochenzeitung Ungarns. Die Website | |
hvg.hu ist mit 600.000 LeserInnen unter den vier größten Online-Portalen | |
des Landes. Ralf Leonhard, Wien | |
18 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
Patricia Hecht | |
Christian Jakob | |
Sabine am Orde | |
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