# taz.de -- Krank nach Lebendspende einer Niere: „Hypothetische Einwilligung�… | |
> Begründet eine mangelhafte Aufklärung zu Risiken einer Organspende eine | |
> Arzthaftung? Nein, sagten Richter in Hamm. Jetzt entscheidet der BGH. | |
Bild: Entnahme einer Niere bei einem Lebendspender | |
HAMBURG taz | Müssen ÄrztInnen Schadenersatz leisten, wenn sie einen | |
lebenden Organspender nicht korrekt über mögliche gesundheitliche Risiken | |
aufgeklärt haben? Gibt es ein juristisches Hintertürchen, genannt | |
„hypothetische Einwilligung“? [1][Über diese Fragen verhandelt am 13. | |
November der Bundesgerichtshof (BGH)]. Seine Entscheidung dürfte wegweisend | |
werden für das Vertrauen bei der Anbahnung freiwilliger | |
Lebendorganspenden, die hierzulande ja nur in Ausnahmefällen und ohne | |
Entgelt zulässig sind – ausschließlich unter Menschen, die sich persönlich | |
besonders nahestehen; in der Regel, aber nicht immer gilt das für Eheleute, | |
Lebenspartner, Kinder, Eltern, Freunde, Verwandte. | |
Beim Verhandlungstermin in Karlsruhe geht es um zwei Transplantationen, die | |
am Universitätsklinikum Essen stattgefunden haben. Im ersten Fall wurde | |
dort einer Frau im Februar 2009 eine Niere entnommen, die anschließend | |
ihrem Vater eingepflanzt wurde, der an einer chronischen Niereninsuffizienz | |
litt. | |
Im Mai 2014 verlor der Vater die transplantierte Niere. Danach verklagte | |
die Tochter das Klinikum sowie die an der Lebendorganspende beteiligten | |
Ärzte beim Landgericht Essen auf Schadenersatz – in eigener Sache. Die | |
Klägerin, geboren 1967 und von Beruf Arzthelferin, erklärte, dass sie | |
infolge der Nierenentnahme an einem Fatigue-Syndrom (chronische | |
Erschöpfung) und an Niereninsuffizienz leide; über solche möglichen Folgen | |
der Organspende sei sie nicht genügend aufgeklärt worden. Die Klägerin | |
forderte ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro. Das Landgericht Essen wies die | |
Klage jedoch ab und im Ergebnis genauso urteilte die zweite Instanz, das | |
Oberlandesgericht Hamm. | |
Zur Begründung veröffentlichte das OLG am 28. Oktober 2016 eine | |
Pressemitteilung, interessant nicht nur für Medien, sondern für alle, die | |
eine Lebendorganspende erwägen. Es sei zwar richtig, dass die beklagten | |
Essener Ärzte [2][§ 8 Abs. 2 des Transplantationsgesetzes (TPG)] formal | |
nicht beachtet hätten, „weil keine den inhaltlichen Anforderungen genügende | |
und ärztlicherseits unterschriebene Niederschrift zu dem | |
Aufklärungsgespräch“ existiere. Fraglich sei außerdem, ob der am Gespräch | |
beteiligte federführende Nierenarzt weder an der Entnahme noch an der | |
Übertragung des Organs beteiligt war – eine Neutralität, die das TPG ja | |
unbedingt verlangt. Dennoch führen solche Regelverstöße nach Meinung des | |
OLG Hamm „nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit“ der Operation oder zur | |
Unwirksamkeit der Einwilligung der Spenderin in die Organentnahme. | |
## „Haftungsrechtlich irrelevant“ | |
Die Hammer Richter schreiben noch mehr, was zumindest juristischen Laien | |
komisch vorkommen könnte: Zwar sei die Klägerin nach ihren Erkenntnissen | |
auch inhaltlich „nicht ausreichend aufgeklärt“ worden über die Folgen und | |
Risiken, die mit einer Lebendnierenspende verbunden sind. Doch dieses | |
„Defizit“ sei im vorliegenden Fall „haftungsrechtlich irrelevant“ – | |
Begründung des OLG: „weil der von den Beklagten (gemeint sind Klinikum und | |
in die Organspende einbezogene Ärzte, Anm. der Redaktion) erhobene Einwand | |
einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin durchgreift“. | |
Die klagende Tochter habe sich zur Lebendnierenspende entschlossen, weil | |
sie den Tod ihres Vaters gefürchtet und ihm habe ersparen wollen, von der | |
Dialyse abhängig zu sein. Nach Überzeugung der Richter habe die Klägerin | |
aber im Nachhinein nicht plausibel erklären können, dass sie bei | |
hinreichender Aufklärung von der geplanten Spende ihrer Niere abgesehen | |
hätte. Somit geht das OLG Hamm in seinem Urteil von einer „hypothetischen | |
Einwilligung“ aus, welche auch eine Lebendorganspende rechtfertigen könne | |
– „trotz Verfahrensmängeln nach dem Transplantationsgesetz“. | |
Auch der zweite Fall, der dem BGH vorliegt, wurde in zweiter Instanz vom | |
OLG Hamm beurteilt. Der Kläger, geboren 1964, hatte sich im August 2010 im | |
Essener Uniklinikum eine Niere herausoperieren lassen, um sie seiner an | |
Niereninsuffizienz erkrankten, auf Dialyse angewiesenen Ehefrau einpflanzen | |
zu lassen. | |
Auch dieser Kläger sagt, dass er infolge der Organentnahme an | |
Niereninsuffizienz und Fatigue-Syndrom leide; durch die Nierenspende sei er | |
schwerbehindert und nur noch sehr eingeschränkt berufstätig. Der Mann, der | |
selbstständiger Unternehmer ist und Ende 2011 mit weiteren Betroffenen | |
einen Verein namens [3][„Interessengemeinschaft Nierenlebendspende“] | |
gegründet hat, verklagte das Uniklinikum und die behandelnden Ärzte | |
ebenfalls auf Schadenersatz und Schmerzensgeld (100.000 Euro) – sein | |
Vorwurf: Behandlungs- und Aufklärungsfehler. | |
## Gericht sieht Keine Behandlungsfehler | |
Das OLG fällte sein Urteil im Juli 2017, wobei die Richter bei ihrer | |
Rechtsauslegung blieben: Behandlungsfehler lägen nicht vor, etwaige | |
Verstöße bei der Aufklärung begründeten keine Haftung. Und diese folge auch | |
nicht aus der inhaltlich fehlerhaften Risikoaufklärung, da der Kläger nach | |
dem Urteil der Richter auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Entnahme | |
seiner Niere eingewilligt hätte. Die Interessengemeinschaft | |
Nierenlebendspende beschreibt in einer Pressemitteilung vom 30. Oktober | |
2017, wie das OLG Hamm dazu gekommen ist, eine „hypothetische Einwilligung“ | |
des Organspenders zu erkennen: „Der angenommene sehr schlechte | |
Gesundheitszustand der Organempfängerin (Ehefrau des Klägers und Zeugin) | |
wäre ausreichend Motivation für den Kläger gewesen. Unter Bezug auf den | |
TV-Beitrag ‚Meine Niere für dich‘ (14. April 2013, ARD), in dem der Kläger | |
äußerte, dass er ‚aus Liebe‘ die Niere gespendet habe und es für ihn | |
‚unerträglich‘ gewesen sei, seine Frau so zu sehen, wird dem Kläger | |
unterstellt, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung auch gespendet hätte.“ | |
Dabei gebe es in besagtem TV-Beitrag, der dem Gericht vorlag, „eindeutige | |
Äußerungen, die die Ablehnung der Spende bei ordnungsgemäßer Aufklärung | |
bestätigen“, schreibt die Interessengemeinschaft. | |
Die gesundheitlich beeinträchtigten LebendspenderInnen verfolgen ihre | |
Schadenersatzansprüche weiter. Der VI. Zivilsenat des BGH wird nun über die | |
beiden brisanten [4][Arzthaftungsfälle (VI ZR 495/16 und VI ZR 318/17)] | |
verhandeln. Dazu wäre es allerdings gar nicht gekommen, wäre es nach den | |
Richtern des OLG Hamm gegangen. Die hatten nämlich die Revisionen gegen | |
ihre Urteile beim BGH gar nicht zugelassen. Dagegen wehrten sich die | |
abgewiesene Klägerin und der abgewiesene Kläger mit | |
Nichtzulassungsbeschwerden, und diese hat der BGH im Frühjahr 2018 auch | |
akzeptiert. Das deutet darauf hin, dass der BGH die Rechtsfragen um den | |
Schutz von Lebendorganspendern sehr ernst und wohl auch die Bedeutung der | |
vom OLG Hamm erkannten „hypothetischen Einwilligung“ unter die Lupe nehmen | |
wird. | |
Dass nun eine höchstrichterliche Klärung ansteht, wertet die | |
Interessengemeinschaft Nierenlebendspende schon mal als Erfolg – unabhängig | |
vom endgültigen Ausgang des Verfahrens. Sollte der BGH allerdings die | |
Ansicht der Hammer Richter grundsätzlich bestätigen, kann nach Meinung der | |
Interessengemeinschaft „zukünftig nicht mehr zu einer Organlebendspende | |
geraten werden“. Der Verein von Betroffenen begründet dies wie folgt: „da | |
dann der Transplantationsmedizin Tür und Tor für falsche, verharmlosende | |
und unterlassene Risikoaufklärung geöffnet werden“. | |
21 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Termine/DE/Termine/VIZR495.html | |
[2] http://www.gesetze-im-internet.de/tpg/__8.html | |
[3] https://www.nierenlebendspende.com/ | |
[4] http://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Termine/DE/Termine/VIZR495.html | |
## AUTOREN | |
Klaus-Peter Görlitzer | |
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