# taz.de -- Antiziganismus in den Medien: „Ungehemmter Rassismus“ | |
> Obdachlosigkeit, Betteln, Kriminalität – immer wieder werden Roma in | |
> Berliner Medien damit in Verbindung gebracht. Sagt Andrea Wierich von | |
> Amaro Foro. | |
Bild: Kundgebung von Sinti und Roma gegen Antiziganismus in Berlin, 2013 | |
taz: Frau Wierich, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Antiziganismus in | |
den Berliner Medien. Haben Sie Beispiele? | |
Andrea Wierich: Da kann ich gleich etwas aus der taz nehmen: Es gab vor | |
nicht langer Zeit einen guten Artikel über Fälle der Diskriminierung von | |
Roma. Und was zeigte das Bild dazu? Frauen mit Kopftüchern und ganz vielen | |
Kindern. Ein anderes Bild zu einem Artikel über die Räumung eines | |
Zeltlagers zeigte eine Frau, die auf dem Boden kniet und bettelt. In der | |
Bildunterschrift stand dann: „Das Betteln ist nur ein antiziganistisches | |
Klischee, sagen Romaverbände“. Was bleibt aber hängen: das Klischee oder | |
die Aussage in der kleinen Bildunterschrift? | |
Wie steht es um die Inhalte der Artikel? | |
Was uns viel beschäftigt, ist die Nennung der Zugehörigkeit zu den Roma in | |
Berichten über Obdachlosigkeit, Kriminalität und andere soziale Phänomene. | |
Häufig sind das nur Zuschreibungen, die gerade beim Thema Obdachlosigkeit | |
und Betteln auf jahrhundertealten Stereotypen beruhen. Das wirkt sich dann | |
aber auf die gesamte Minderheit aus. | |
Inwiefern? | |
Ein Beispiel ist der sogenannte U-Bahn-Treter, der 2016 am Hermannplatz | |
eine junge Frau die Treppe runtergetreten hatte. In einer Art | |
Öffentlichkeitsfahndung wurde überall genannt, dass es sich um einen | |
bulgarischen Rom handelt. Im Herkunftsland hat das eine große Hetze gegen | |
Roma verursacht mit dem Tenor: „Diese Roma schon wieder, das sind gar keine | |
echten Bulgaren, die sorgen für unser schlechtes Image im Ausland“. | |
Aber der U-Bahn-Treter war tatsächlich ein Rom? | |
Genau das sagen die Journalisten dann immer: Das stimmt doch, das haben wir | |
recherchiert. Wir bestreiten auch gar nicht, dass es im Einzelfall so war. | |
Aber die Leitfrage sollte immer sein: Warum wird die Zugehörigkeit in | |
diesem Zusammenhang genannt, gibt es einen Sachbezug? Häufig besteht der | |
Zusammenhang eben nur in dem nichtreflektierten Klischee, dass die Kultur | |
der Roma etwas mit Obdachlosigkeit, Kinderreichtum, Betteln und | |
Kriminalität zu tun habe. | |
Gilt das auch für Berichte über Schrottimmobilien? | |
Die heißen in den Medien dann gern „Romahaus“ oder „Horrorhaus“. In den | |
Artikeln finden sich Sätze wie „Dann kamen die Roma und mit ihnen Dreck, | |
Lärm, Müll und Kriminalität“. Da wird – bewusst oder unbewusst – ein | |
Kausalzusammenhang hergestellt. | |
Welche Folgen haben diese Darstellungen für die Roma? | |
Das ist ganz gut durch Studien belegt. Bei der Mitte-Studie 2016 etwa haben | |
zwei Drittel der Befragten gesagt, dass Sinti und Roma zur Kriminalität | |
neigen würden. Es gab auch vergleichbare Zustimmungswerte dafür, alle Roma | |
aus dem Innenstadtbereich zu verbannen. Antiziganismus ist heute die | |
virulenteste Form von Rassismus, die am ungehemmtesten geäußert wird. Die | |
Folge sind vielfältige Diskriminierungen in Behörden, durch die Politik, im | |
Alltag. | |
Zum Beispiel? | |
Es gibt alle Jahre wieder die Debatte über die angeblich kinderreichen | |
Osteuropäer, die nur nach Deutschland kämen, um hier Kindergeld zu | |
beziehen. Diese Debatte wäre gar nicht denkbar, gäbe es nicht das | |
jahrhundertealte Klischee der kinderreichen Roma-Familie. Das führt dann | |
tatsächlich in den Behörden zu immer mehr Restriktionen. Etwa, dass | |
Menschen teilweise den Impfpass ihrer Kinder vorlegen müssen, bevor sie | |
Kindergeld ausgezahlt bekommen. | |
Versuchen Sie selbst auch Stereotype zu widerlegen? | |
Um die Debatte geradezurücken, weisen wir auch hin und wieder darauf hin, | |
wie viele Rumänen und Bulgaren in Deutschland sozialversicherungspflichtig | |
beschäftigt sind. Unser Ansatz ist aber ein grundsätzlicher: Ein Stereotyp | |
ist immer eine Pauschalisierung und die ist gefährlich. | |
Wie lernbereit sind da die Medien? | |
Wir machen seit Jahren Pressearbeit, aber die Resonanz ist häufig gering. | |
Das betrifft vor allem positive Darstellungen von Sinti und Roma. Es gab | |
Ende September eine Bundesjugendkonferenz unseres Bundesverbands in Berlin, | |
da haben junge Sinti und Roma aus dem ganzen Bundesgebiet politische | |
Forderungen erarbeitet. Kein einziges Medium war da. Das bleibt dann | |
einfach unsichtbar. Stattdessen bekommen wir Anfragen vom Privatfernsehen, | |
die uns um die Vermittlung einer Familie mit vielen Kindern bitten. | |
Wie sollen wir denn jetzt dieses Interview bebildern, ohne Stereotype | |
fortzupflanzen? | |
Das ist tatsächlich schwierig, es gibt so wenig geeignete Bilder. | |
Perspektivisch wollen wir selbst Bilder für Medien anbieten. Für diesen | |
Artikel fände ich ein Bild geeignet, das auf selbst organisierte Kämpfe | |
gegen Diskriminierung aufmerksam macht. | |
23 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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