# taz.de -- Unabhängigkeit von Russland: Kiews Kirchenkampf gegen Moskau | |
> Die Ukraine sucht auch theologisch die Unabhängigkeit vom Nachbarn. Die | |
> Regierung will, dass sich beide orthodoxen Kirchen von Russland lösen. | |
Bild: Glaubensklimbim beim Religionsmarsch der Orthodoxen Kirche des Patriarcha… | |
KIEW taz | Die orthodoxen christlichen Kirchen, denen weltweit 300 | |
Millionen Gläubige angehören, stehen vor einer Spaltung. Auslöser ist das | |
Bestreben der Ukraine nach kirchlicher Unabhängigkeit von Russland. Am 14. | |
September hatte die Russisch-Orthodoxe Kirche in Moskau, die 160 Millionen | |
Gläubige vertritt, als Reaktion auf diese Bestrebungen beschlossen, aus | |
allen Strukturen, Kommissionen und Dialogen der Weltgemeinschaft der | |
orthodoxen Kirchen auszusteigen, an denen auch das Ökumenische Patriarchat | |
von Konstantinopel beteiligt ist. | |
Für Metropolit Hilarion, dem De-facto-Außenminister der Russisch-Orthodoxen | |
Kirche, lässt sich dies mit einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen | |
zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel gleichsetzen. Der dort | |
residierende Patriarch Bartholomaios I. will die ukrainischen Kirchen | |
offenbar anerkennen. Dies war bei seinem Gespräch mit dem | |
russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill am 31. August in Istanbul deutlich | |
geworden. | |
Der Zwist zwischen Moskau und Konstantinopel dreht sich um die drei | |
orthodoxen Kirchen in der Ukraine: die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des | |
Moskauer Patriarchats mit etwa 15 Millionen Gläubigen, die 1992 davon | |
abgespaltene Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats und die | |
kleinere, 1920 gegründete Ukrainische Autokephale (also „eigenständige“, | |
die Red.) Orthodoxe Kirche. | |
Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats ist bisher als | |
Einzige der drei kanonisch, das heißt vom Ökumenischen Patriarchat in | |
Konstantinopel anerkannt. Nun sollen, geht es nach dem Willen des | |
ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und der überwältigenden Mehrheit | |
im ukrainischen Parlament, auch die anderen beiden ukrainischen orthodoxen | |
Kirchen von Konstantinopel anerkannt werden. | |
## Vorbild Estland | |
Auf den ersten Blick scheint es, als wären mit dieser Anerkennung endlich | |
alle drei ukrainischen orthodoxen Kirchen gleichberechtigt. „Als orthodoxe | |
Christin kann ich nur in die Kirche des Moskauer Patriarchats gehen, weil | |
die anderen keine anerkannten orthodoxen Kirchen sind. Aber als bewusst | |
denkende Bürgerin meines Landes kann ich nicht in eine Kirche des Moskauer | |
Patriarchats gehen, weil das Moskauer Patriarchat sehr moskaufreundlich | |
ist. Ich liebe die Ukraine und will, dass sie unabhängig bleibt. Für mich | |
wäre es eine Befreiung, wenn die Autokephale Orthodoxe Kirche und die | |
orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats von Konstantinopel anerkannt | |
würden. Ich bin für Vielfalt. Jeder orthodoxe Christ soll selbst | |
entscheiden können, in welche Kirche er gehen will“, sagt die | |
Radiojournalistin Alina Belobra. | |
Für ein friedliches Zusammenleben verschiedener von Konstantinopel | |
anerkannter orthodoxen Kirchen, wie es Belobra vorschwebt, gibt es ein | |
Vorbild. In Estland existieren eine orthodoxe Kirche des Moskauer | |
Patriarchats und eine Kirche des Konstantinopler Patriarchats | |
nebeneinander. | |
Doch vieles spricht dafür, dass es nicht so laufen wird, wie es sich | |
Belobra wünscht. Denn nach der Zuerkennung der Autokephalie durch | |
Konstantinopel, was deren Anerkennung und Unabhängigkeit bedeutet, soll in | |
der Ukraine eine einheitliche orthodoxe Kirche gegründet werden. Begründet | |
wird dieser Zwang zu einer orthodoxen Kirche theologisch und politisch. Die | |
Befürworter der Einheitskirche verweisen darauf, dass auf einem Gebiet, auf | |
dem bereits eine kanonische, also anerkannte orthodoxe Kirche bestehe, | |
keine zweite kanonische Kirche existieren könne. | |
Für die ukrainische Politik ist die Frage einer einheitlichen Kirche, die | |
die orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats zur Bedeutungslosigkeit | |
verdammen würde, existenziell wichtig. Präsident Poroschenko hatte im | |
Frühjahr Emissäre nach Istanbul geschickt, um dem Patriarchen von | |
Konstantinopel den Wunsch nach Anerkennung der beiden orthodoxen | |
ukrainischen Kirchen zu übermitteln. Vor dem ukrainischen Parlament hatte | |
Poroschenko im April erklärt, dass die Gründung einer einheitlichen | |
orthodoxen Kirche kein Instrument der Religion, sondern ein Mittel des | |
Kampfes im hybriden Krieg mit Russland sei. Erst mit der Autokephalie für | |
die orthodoxe Kirche sei die Ukraine endgültig von Russland unabhängig. | |
Mit der Anerkennung der beiden orthodoxen Kirchen in der Ukraine würden, so | |
Erzbischof Evstratiet vom Kiewer Patriarchat, viele Gläubige, Priester und | |
Bischöfe der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats zur neuen Kirche | |
übertreten. In der Folge müssten dann aber auch die Eigentums- und | |
Nutzungsrechte neu geregelt werden. Trete eine Kirchengemeinde in die neue | |
Einheitskirche ein, müsste auch das Eigentum dieser Kirchengemeinde an die | |
neue Kirche übergehen. Das könnte geschehen, wenn zwei Drittel der | |
Gemeindemitglieder so entscheiden. Gäbe es für derartige Veränderungen der | |
Besitzverhältnisse nur eine einfache Mehrheit, müssten die Gotteshäuser | |
alternierend zur Verfügung gestellt werden. Auch dafür gebe es Vorbilder, | |
wie die Grabeskirche in Jerusalem, die von Orthodoxen, Katholiken und | |
Kopten nach einem präzisen Zeitplan genutzt werde. | |
## Warnung aus Moskau | |
Die Kirchen in der Ukraine, so der Erzbischof, seien keine juristischen | |
Personen. Lediglich Kirchengemeinden, Klöster, Bruderschaften, Missionen | |
seien juristische Personen. Deswegen können Eigentumsfragen nicht | |
gesamtkirchlich, sondern immer nur im konkreten Fall mit konkreten | |
juristischen Personen geregelt werden. Das Höhlenkloster, geistliches | |
Zentrum der orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats, sei im Besitz des | |
Kultusministeriums. Die orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats habe | |
lediglich Nutzungsrechte, so der Erzbischof. | |
Evstratiet gibt sich großzügig. Auch wenn man in Konstantinopel kein | |
Nebeneinander orthodoxer Kirchen wolle, sei er bereit, eine weitere | |
Existenz des Moskauer Patriarchats zu akzeptieren, um so eine Verschärfung | |
des Konflikts zu verhindern. Um die Gläubigen jedoch nicht mit einem Namen | |
in die Irre zu führen, sei aber eine Umbenennung der „Ukrainisch-Orthodoxen | |
Kirche des Moskauer Patriarchats“ in „Russisch-Orthodoxe Kirche“ notwendi… | |
In der Russisch-Orthodoxen Kirche sieht man der Entwicklung weniger | |
entspannt entgegen. Sollten die beiden ukrainischen orthodoxen Kirchen von | |
Konstantinopel anerkannt werden, könne das schwerwiegende Folgen haben, | |
warnte Metropolit Hilarion, Chef des Amtes für Außenbeziehungen des | |
Moskauer Patriarchats, im russischen Fernsehen RT. Wenn man die | |
Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchates als Kirche des | |
Aggressors bezeichnen und sie ihrer gesetzlichen Rechte berauben werde, | |
müsse man auch damit rechnen, dass sie sich die größten Klöster aneignen | |
werde. „Dann werden orthodoxe Gläubige ihre heiligen Orte verteidigen und | |
es kann zu Blutvergießen kommen“, warnte Hilarion. | |
13 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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