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# taz.de -- Kirchenkampf in der Ukraine: Krieg unter der goldenen Kuppel
> Ein Machtkampf zerreißt das Dorf Ptitscha. Die Kirche ist dicht. Manche
> gehen zum Küster, andere nutzen eine Garage für Gottesdienste.
Bild: Stein des Anstoßes: Wer darf in der Mariä-Entschlafens-Kirche beten?
Ptitscha taz | Bei sonnigem Wetter glitzern die goldenen Kuppeln der
orthodoxen Kirche von Ptitscha schon von Weitem friedlich, höchstens dass
sie gelegentlich Autofahrer blenden, die auf der Schnellstraße von Kiew ins
westukrainische Tschop unterwegs sind. Eintausend Menschen leben in dem
Dorf mit dem türkisfarbenen Gotteshaus, sie sind orthodoxe Christen und
grüßen Fremde höflich. Wenn jemand stirbt, begleiten orthodoxe Geistliche,
die hier „Batjuschka“, Väterchen, heißen, den Toten zur letzten Ruhe auf
dem Friedhof, der etwas abseits auf einer Anhöhe liegt. Das war es dann
aber auch mit der Beschaulichkeit.
Denn die schöne Mariä-Entschlafens-Kirche dürfen die Christen von Ptitscha
nicht mehr betreten, nicht einmal zum Trauergottesdienst. Eine tiefe Kluft
trennt die Frommen. Die einen bekennen sich zum Moskauer Patriarchat, die
anderen zum [1][Kiewer Patriarchat].
Theologisch gibt es da keine Unterschiede, politisch sind sie inzwischen
allerdings gravierend. Ganze Straßenzüge sind moskautreu, andere wiederum
unterstützen das Kiewer Patriarchat, und beide Gruppen wollen die Kirche
nur für sich.
## Ein Kampf mit Fäusten und Knüppeln
Und so schlagen sich die Orthodoxen von Zeit zu Zeit vor ihrem Gotteshaus
mit Fäusten und Knüppeln. Um dem Krieg im Dorf ein Ende zu machen, haben
Gerichte im Jahr 2014 in gleich mehreren Instanzen die Schließung der
Kirche verfügt.
Im Dezember 2015 machten Videos die Runde, in denen Großmütter mit
geblümten Kopftüchern zetern, Männer Kanthölzer schwingen, Böller
explodieren, überall Rangeleien zu sehen sind, einmal ist gar ein
Molotowcocktail aufgeflammt. Männer zeigen, als wären sie Märtyrer, ihre
Platzwunden her. Von der Kirchenmauer blickten die verstörten Heiligen, und
von oben läuten die Glocken.
Wer hier zu welchem Patriarchat gehörte? Völlig aussichtslos, das
herauszufinden. Inzwischen sind schon Beobachter der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit ihren weißen
Geländewagen im Dorf gewesen. Frieden auf Erden? Er kehrt nicht ein,
jedenfalls nicht in Ptitscha. Auch kein Weihnachtsfrieden, obwohl doch alle
orthodoxen Christen am 7. Januar die Geburt Christi feiern.
## Kiew oder Moskau?
Wie das alles anfing? Vater Igor schaut bekümmert. Igor ist der Batjuschka
der Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats und für Ptitscha zuständig.
Er erzählt, schon 2013 habe sich ein Priester des Moskauer Patriarchats
geweigert, ein Kind zu beerdigen, nur weil es von einem Priester des Kiewer
Patriarchats getauft worden sei. Der Unmut im Dorf war daraufhin groß.
Dabei sei man als Kiewer Patriarchat durchaus kompromissbereit, beteuert
Vater Igor. Den Vorschlag, die Kirche gemeinsam zu nutzen wie den Friedhof,
hätten die Moskauer abgelehnt mit der Begründung, man könne sich doch keine
Kirche mit Ketzern teilen.
Das war erst der Anfang. Im Folgejahr eskalierte der Streit. Denn seitdem
bekriegen sich im fernen Osten der Ukraine prorussische Separatisten mit
ukrainischen Freiwilligen und regulären Soldaten. Auch aus Ptitscha zogen
einige in den Kampf.
Über die unentschiedene Haltung der Orthodoxen Kirche des Moskauer
Patriarchats zum Krieg waren im Dorf bald viele ungehalten. Auch
Batjuschka Igor beklagt sich bitter. Das Moskauer Patriarchat sei völlig
unbeteiligt geblieben. Als seine Kirche vorschlug, für die Soldaten im
Osten des Landes zu beten, habe ein Priester des Moskauer Patriarchats
entgegnet: „Ich habe sie nicht da hingeschickt. Sollen doch die helfen, die
das veranlasst haben.“
## Mäuse sollen die Ikonen angefressen haben
Väterchen Igor seufzt und blickt auf die Kirche. 1913 wurde sie errichtet.
Sie hat Revolutionswirren, zwei Weltkriege und die atheistische Sowjetunion
überlebt. Und jetzt? Vier Jahre nach der Schließung droht ein langsamer
Zerfall. Mäuse sollen die Ikonen angefressen haben, die Wände sollen feucht
sein, der Putz bröckeln. Hineinschauen kann keiner. Die blaue Pforte ist
mit einem dicken Schloss zugesperrt, ein amtliches Siegel prangt,
Polizisten bewachen die Kirche rund um die Uhr.
Wer ist der rechtmäßige Besitzer? Bis zum Untergang der Sowjetunion gehörte
der Bau der Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Ein Kiewer
Patriarchat gab es ja auch noch gar nicht. 1991 wurde eine neue
Eigentümerin eingetragen, die „Religiöse Gemeinschaft der
Mariä-Entschlafens-Gemeinde des Dorfes Ptitscha im Bistum Riwne der
Ukrainisch-Orthodoxen Kirche“.
Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche – dieser Begriff war damals neu, die Sache
dahinter hingegen altbekannt: So nannte sich fortan die Orthodoxe Kirche
des Moskauer Patriarchats auf dem Gebiet der unabhängigen Ukraine. Denn
inzwischen hatte sich in der Ukraine die Orthodoxe Kirche des Kiewer
Patriarchats abgespalten.
Für das Moskauer Patriarchat änderte sich zunächst nichts – bis zum Jahr
2014, als die Krim von Russland annektiert wurde, in Luhansk und Donezk von
Moskau unterstützte „Volksrepubliken“ ausgerufen wurden, junge Männer aus
Ptitscha loszogen, die Frommen im Dorf übereinander herfielen und die
Kirche geschlossen wurde.
Seitdem müssen sie die Gottesdienste anderswo feiern. Die Gläubigen des
Kiewer Patriarchats versammeln sich Sonntag für Sonntag im Haus des Küsters
auf dem Kirchengelände. Die Gläubigen des Moskauer Patriarchats treffen
sich in einer Garage neben der Kirche.
## Brot als konfessionelles Bekenntnis
Jaroslaw Vosnjuk ist der Bürgermeister des Dorfes. Am 2. November 2014, so
erzählt Vosnjuk, habe es eine Abstimmung im Dorf gegeben. 407 Bewohner
hätten sich für das Kiewer Patriarchat ausgesprochen, 305 für Moskau. Ein
eindeutiges Ergebnis. Juristisch ist das Bürgerbegehren aber bedeutungslos.
Gerichte in der Kreisstadt Dubno und in der Regionshauptstadt Riwne haben
das Referendum für ungültig erklärt.
Die Richter waren der Auffassung, dass das Eigentum von der Verfassung
geschützt sei und man den Besitzer der Kirche, die Religiöse Gemeinschaft
der Mariä-Entschlafens-Gemeinde, nicht enteignen könne. Und selbst wenn man
trotzdem enteignen wollte – ein finanzieller Ausgleich müsste geleistet
werden, und der liegt in der Höhe des Immobilienwerts der Kirche. Überhaupt
seien Referenden in einem einzigen Dorf nicht erlaubt. Um eine weitere
Eskalation zu vermeiden, verfügten sie die Schließung.
Nach vier Jahren ist nicht nur die Kirchengemeinde gespalten, sondern das
Dorf, der ganze Alltag. Selbst der Einkauf wird zum Bekenntnisakt. Wer etwa
morgens frisches Brot kaufen will, kann ins Geschäft rechts von der Kirche
gehen oder in eine kleine Holzhütte links von der Kirche. Rechts wehen über
dem Lädchen eine blau-gelbe ukrainische Flagge und ein schwarz-rote Fahne
der ukrainischen Nationalisten, „Patriotisches Geschäft“ steht auf einem
Schild. Besitzer Michajlo Woitjuk hat sich entschieden. Er will, dass „die
Moskauer“ verschwinden und die Kirche endlich dem Kiewer Patriarchat
übergeben wird.
Vieles sei schon 1991 mit der Privatisierung falsch gelaufen. „Die Kirche
gehört der Gemeinde“, sagt Woitjuk in einem kahlen Nebenraum seines
Lädchens, wo Besucher an einem Bierzelttisch Kaffee schlürfen können. „Die
Gemeindemitglieder sollen entscheiden, wem die Kirche gehört“, fordert
Woitjuk, der 2014 schon einer der Sprecher des Referendums war und heute
als Vorstand der Gemeinde fungiert.
## Beschimpfungen bei Kaffee und Schnaps
Auf der anderen Straßenseite blickt die 73-jährige Galina über ihren
Gartenzaun. Viel habe sie nicht zum Leben, jammert sie. Immer wieder
schalte man ihr Gas und Strom ab, weil sie nicht bezahlen könne. Was sie
aber noch mehr beunruhige, sei der kleine Laden links der Kirche. Dort, so
beteuert die Alte, seien Separatisten am Werk. Wie sie darauf komme? Die
Mutter der Verkäuferin leite im Dorf den Chor des Moskauer Patriarchats,
schimpft sie. Sie jedenfalls kaufe in dem Geschäft kein Gramm Brot. „Ich
gebe mein Geld doch nicht den Russen!“
Die Holztür des „Separatistenladens“ quietscht beim Betreten. Viel Licht
dringt nicht hinein, deswegen brennt den ganzen Tag über eine Glühbirne.
Auf zehn Quadratmetern gibt es hier alles, was man braucht – Seife,
Scheuersand, in silbriges Papier eingewickeltes Konfekt, Zigaretten und
natürlich Alkohol. Und die Kaffeemaschine läuft.
„Ich verbiete Ihnen, mein Gespräch mitzuschneiden“, raunzt die junge
Verkäuferin. Doch dann kommt sie doch ins Plaudern, erzählt, wie ungerecht
sie sich behandelt fühle. Nur weil sie die Kirche, in der sie groß geworden
sei, in der sie geheiratet habe, nicht verlassen und wechseln wolle, müsse
sie sich als Separatistin beschimpfen lassen.
## Zum Küster oder in die Garage?
Auf dem Kirchengelände haben sich unterdessen einige Gläubige eingefunden,
die meisten von ihnen Frauen mit Kopftuch, um den Vorplatz ein wenig
aufzuräumen. Sie alle bekennen sich zum Kiewer Patriarchat.
Gemeindevorstand Michajlo Vojutjuk, ein Laie, kein Priester, macht eine
einladende Geste und bittet in das Küsterhäuschen. Hier finden die
Gottesdienste der Kiewer statt. Ikonen hängen an den Wänden, Teppiche
liegen aus, in der Mitte ein Altar mit einem großen Kreuz. Höchstens
sechzig Gläubige finden hier Platz, sagt er. Aber er selbst sei noch nie so
häufig im Gottesdienst gewesen wie in den letzten vier Jahren, er sei
schließlich Patriot.
Anastasia, eine Rentnerin, geht an der Kirche vorbei, in der Hand eine
leere Tasche, und steuert den „Separatistenladen“ an. Nein, sie gehe nicht
zum Gottesdienst in das Haus des Küsters. „Ich bin ukrainische Patriotin“,
beteuert sie. „Aber die Kirche wechseln? Das kommt für mich nicht infrage.
Ich gehe jeden Sonntag in die Garage zu meinem Batjuschka, der dort die
Messe liest.“
Katerina Nakonetschna, die sich zu Hause um die kleine Landwirtschaft
kümmert, ist da ganz anderer Meinung. Sie ist auf den Weg zur Kirche, um
bei der Aufräumarbeit zu helfen. „Russland hat unsere Kirche gestohlen,
damals, als sie diese hier privatisiert haben“, klagt sie. Missbilligend
blickt sie zum Laden links der Kirche. „Da sehen Sie mal, da kommt gerade
eine Separatistin raus. Ich kenne sie.“ Grußlos gehen sie aneinander
vorbei. „Das hätte es früher nie gegeben, dass man sich aus religiösen
Gründen nicht grüßt“, versichert Nakonetschna. Aber beim Streit gehe es
nicht um Religion, sondern um Politik.
Hier sei die fünfte Kolonne Moskaus am Werk, mischt sich Mikola Novosad
ein, stellvertretender Kirchenvorsteher der Gemeinde des Kiewer
Patriarchats. „Wenn man endlich eine einheitliche Kirche in der Ukraine
hat, dann gibt es kein Moskauer Patriarchat mehr. Dann gehört die Kirche
uns“, hofft Katerina Nakonetschna.
## Poroschenko bastelt eine ukrainische Nationalkirche
In Kiew ist Präsident Petro Poroschenko schon dabei, aus drei Kirchen eine
ukrainische Nationalkirche zu formen. Die Orthodoxe Kirche des Kiewer
Patriarchats und die Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats sollen sich
mit der kleinen Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche vereinen. Doch
ganz gleich, was in der ehrwürdigen Kiewer Sophienkathedrale an Vereinigung
auch erreicht wird – bis sich die Lage in Ptitscha entspannt, können noch
viele Weihnachtsfeste verstreichen.
Die Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats besteht aus einer Vielzahl
kleiner dezentraler Strukturen, die allesamt juristische Personen sind.
Wer diese zugunsten einer Nationalkirche enteignen will, muss sich auf
einen jahrelangen juristischen Kampf durch alle Instanzen einstellen. Bis
dahin ist die Kirche in Ptitscha vermutlich schon eingestürzt.
5 Jan 2019
## LINKS
[1] /!5540204/
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Ukraine
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