# taz.de -- Orthodoxe Weihnachten in der Ukraine: Hass und Weihrauch | |
> In Kiew liefern sich zur orthodoxen Weihnacht zwei Kirchenfürsten ein | |
> Fernduell. Patriarch Filaret wettert heftig gegen die Moskautreuen. | |
Bild: Gottesmann und Hardliner: Filaret am Vorabend des Weihnachtsfests in der … | |
Kiew taz | „Es ist ein Wunder!“ Tetiana steht vor dem von der Dunkelheit | |
eingehüllten Hof des Kiewer Höhlenklosters. Schnee bläst ihr ins Gesicht. | |
„Den ganzen Winter waren wir ohne Schnee. Und jetzt haben wir ein | |
Weihnachtsfest, wie man es nur noch aus Bilderbüchern kennt.“ Alles ist | |
weiß an diesem 6. Januar, dem Vorabend des orthodoxen Weihnachtsfestes. Der | |
Schnee, die Klostermauern, der mächtige, fast 100 Meter hohe Glockenturm | |
und die Kirche, aus deren Fenstern warmes Licht fällt und gedämpft dringt | |
die Stimme von Metropolit Onufri aus den Lautsprechern: „Gospodi pomiluj! – | |
Herr erbarme dich!“ | |
Mag die Stimmung auch noch so fromm sein, es könnte das letzte | |
Weihnachtsfest von Onufri im Höhlenkloster gewesen sein. Der Metropolit der | |
ukrainisch-orthodoxen Kirche/Moskauer Patriarchat hat hier zwar seine | |
Residenz. Aber die Ukraine ist mit den abtrünnigen „Volksrepubliken“ von | |
Donezk und Luhansk nicht nur politisch gespalten, sondern auch kirchlich. | |
Onufri, der gerade so inbrünstig den Herrgott anruft, hat in Kiew einen | |
Erzfeind. Es ist Patriarch Filaret von der ukrainisch-orthodoxen | |
Kirche/Kiewer Patriarchat, der das Höhlenkloster – das mit Abstand | |
bedeutendste Heiligtum aller orthodoxen Christen in Russland, der Ukraine | |
und Belarus - ganz für sich und seine Kirche beansprucht und der Onufri für | |
einen Handlanger Moskaus hält. | |
Tetiana kümmert sich nicht um diesen Zwist, zückt aus ihrer Tasche einen | |
Laib Brot und legt ihn in der Kirche auf einen Tisch, der bereits voller | |
Lebensmittel ist. Diese Speisen sollen während des Gottesdienstes geweiht | |
werden. Zwischen den Säulen huschen Mönche, sie sind alle bärtig und haben | |
ihr langes Haar zu Pferdeschwänzen geflochten. An Tischchen stehend nehmen | |
sie ununterbrochen die Beichte ab. Mit Tränen in den Augen, schweren | |
Herzens und stockender Stimme blickt ein junger Mann einem Mönch in die | |
Augen, als er an der Reihe ist. Viel bringt er nicht mehr über die Lippen. | |
Vor der Bilderwand schwenkt Onufri das schwere Weihrauchfass, so wie es | |
vermutlich sein Widersacher zur selben Zeit in der Wolodimir-Kathedrale | |
auch tut, seiner Hauptkirche, die etwa zwei Kilometer von hier in der | |
Oberstadt liegt. Es ist wie das Fernduell verfeindeter Brüder. Und zu | |
Weihnachten, dem Fest des Friedens und der Familie, wird besonders | |
gegiftet. Es könne doch nicht sein, wird sich Filaret in seiner | |
Weihnachtsbotschaft im ukrainischen Fernsehen erregen, dass man mitten in | |
Kiew ein geistliches Zentrum habe, das vom Feind in Moskau kontrolliert | |
werde! | |
Filaret fordert von Onufri und seinen Getreuen, dass sie im Konflikt mit | |
Russland eine klare Position für die Ukraine beziehen. Was das ist, macht | |
dem Patriarchen, inzwischen fast 87 , kein Frommer etwas vor. „Wer sich | |
weigert, in der Armee zu dienen, liebt seine Heimat nicht. Wer seine Heimat | |
nicht liebt, der sündigt“, hat Filaret vor einem Jahr gedonnert und die | |
Jugend zu den Waffen gerufen. | |
Doch es bleibt nicht bei Worten, es wird auch handgreiflich. Erst am 21. | |
Dezember haben Filarets Schäfchen und Anhänger des Rechten Sektors Gläubige | |
des Moskauer Patriarchats mit Schlagstöcken und Molotowcocktails am | |
Betreten einer Kirche in der Westukraine gehindert. Doch auch Filaret | |
beschuldigt die „Moskauer“, mit bezahlten Schlägern gegen Gläubige | |
vorzugehen. | |
## Onufri laviert zwischen Moskau und Kiew | |
Ist es Einsicht? Ist es Unerfahrenheit? Onufri, erst im August 2014 zum | |
Metropoliten gewählt, verzichtet jedenfalls auf Kriegsrhetorik. Er versucht | |
zwischen Moskau und Kiew zu lavieren, hält zwar Kyrill, dem Patriarchen und | |
Putin-Vertrauten in Moskau die Treue, hat jedoch einen Raketenangriff der | |
Separatisten im Donbass als „terroristischen Akt“ gegeißelt. | |
Es ist erstaunlich, wie festlich und unbeeindruckt von diesem Streit sich | |
der Gottesdienst hinzieht. Tetiana hat wie alle Frauen in der Kirche ein | |
Kopftuch umgebunden. Ein orthodoxer Gottesdienst ist ein Kommen und Gehen. | |
Sitzgelegenheiten gibt es kaum. Wer gebetet, gebeichtet oder eine Kerze | |
entzündet hat, geht unter mehrfachem Bekreuzigen wieder hinaus. Andere | |
reden mit den Mönchen wie man mit einem Nachbarn schwatzt. Wieder andere | |
bitten nur um einen Segen gleich im Stehen. An einem Tischchen legt ein | |
Mönch den Gläubigen in roten Wein getunktes weißes Brot in die rechte Hand | |
– die Eucharistie. | |
Tetiana ist beseelt, als sie Kirche wieder verlässt. Sie arbeitet in einem | |
Kiosk, und der hat rund um die Uhr auf, auch an Weihnachten. „Jedes Mal, | |
wenn ich in diese Kirche gehe, bin ich schwach, depressiv und kraftlos“, | |
gesteht sie. Und jedes Mal habe sie beim Verlassen neue Kraft, neuen Mut | |
und sei gut gelaunt. | |
## Die Kraft der Mumien | |
„Hier haben wir die besten Priester der ganzen Ukraine“, ist sie überzeugt. | |
Einige könnten sogar hellsehen. „Hier finde ich immer meinen inneren | |
Frieden.“ Wahrscheinlich habe man die Aura den zahlreichen Mumien und | |
Reliquien großer Heiligen in den unterirdischen Höhlen des Klosters zu | |
verdanken, mutmaßt Tetiana. | |
Die 40-Jährige war nicht immer religiös. Vor zehn Jahren sei sie in einer | |
Krise gewesen, habe sich scheiden lassen, habe viel geraucht und getrunken. | |
Sie war als Lehrerin entlassen worden. „Damals habe ich begriffen, dass | |
mein Leben endlich ist.“ Für einen Augenblick trübt sich ihre Stimmung, als | |
sie erfährt, dass ihr Gesprächspartner auch noch die Wolodimir-Kathedrale | |
aufsuchen will. | |
„Seien Sie vorsichtig! Das ist eine Kirche vom Kiewer Patriarchat. Das ist | |
vielleicht eine Glaubensgemeinschaft, aber keine Kirche. Was die machen, | |
verletzt die Regeln der orthodoxen Kirche.“ Dass im Kiewer Patriarchat der | |
Patriarch sogar heiraten dürfte, passe nun wirklich nicht in eine orthodoxe | |
Kirche, erregt sie sich kurz. Doch dann besinnt sie sich eines anderen. | |
„Hören Sie nicht auf mich. Gehen Sie dorthin, wohin Sie Ihre Seele zieht!“ | |
## „In allen Kirchen wird viel gelogen“ | |
Ihre Begleiterin, die 85-jährige Jewgenija, nickt. „Ich glaube nicht, dass | |
es nur eine einzige seligmachende Kirche gibt“ sagt die Rentnerin, die ihr | |
ganzes Leben als Dozentin für Kybernetik an der Universität gearbeitet | |
hatte. „Wissen Sie, in allen Kirchen wird viel gelogen, werden Machtkämpfe | |
ausgetragen.“ | |
Mit der Ratio einer Naturwissenschaftlerin erklärt die alte Dame, warum sie | |
trotzdem nicht vom Glauben abgefallen ist. „In allen Kirchen kann man Gott | |
finden“, sagt sie bestimmt. Die entscheidende Triebkraft jedes Menschen sei | |
die Energie, und nirgends finde man so viel gute Energie wie in einer | |
Kirche. „Gott ist die höchste Konzentration an guter Energie. Und wenn wir | |
beten, erhalten wir gute Energie vom Himmel und geben diese als Liebe an | |
unsere Mitmenschen weiter.“ | |
In welche Kirche man nun gehe, sei unwichtig, erklärt Jewjenija | |
überraschend. Überall sei Gott. Sie ist in vier Kirchen eingetragen, in | |
zwei orthodoxen und zwei protestantischen. Und so erhalte sie mehr Energie | |
als die Christen, die nur zu einer Kirche gingen. Übrigens lohne sich das | |
auch materiell. Als Diabetikerin komme sie mit ihrer Rente nicht aus und da | |
sei sie auch auf Hilfe ihrer Kirchen angewiesen. | |
## Wie ein Monarch | |
Warum die positive Energie ausgerechnet bei Patriarch Filaret nicht | |
anschlägt, konnte auch Jewgenija nicht erklären. Mit starrem, auf die | |
Bilderwand gerichteten Blick, ist Filaret in die Wolodimir-Kathedrale | |
eingezogen. Drinnen hat er sich vor den Gläubigen geduldig ein langes | |
Gewand überziehen lassen und unter dem Gesang des Chores auf einem Thron | |
Platz genommen. Wie ein Monarch. | |
Filaret, der Mann mit dem mächtigen Bart, dem strengen Blick und der | |
Bischofskrone auf dem Haupt, hat eine beispiellose Karriere hingelegt. Bis | |
zum Ende der Sowjetunion war er selbst Statthalter des Moskauer Patriarchen | |
in der Ukraine. Danach wandte er sich von Moskau ab und dem neuen | |
ukrainischen Staat zu. 1992 spaltete sich die ukrainisch-orthodoxe Kirche | |
von Moskau ab, um fortan als eigenständige Kirche mit eigenem Patriarchen | |
Moskau auf Augenhöhe zu begegnen. Längst ist Filaret von seinem Moskauer | |
Kollegen exkommuniziert und verdammt worden. Schlimmer wiegen aber | |
Vorwürfe, er habe zu Sowjetzeiten als KGB-Agent spioniert. | |
Doch in Kiew ist seine Position unangefochten. Der greise Filaret will mit | |
kräftiger Hilfe aus der Kiewer Politik eine ukrainische Nationalkirche | |
formen. Lange hält es Filaret nicht auf seinem Thron. Begleitet von | |
Subalternen, die Weihrauchfässer schwenken, zieht er durch die Kirche, | |
vorbei an den Fresken der berühmtesten russischen Malern ihrer Zeit – | |
Wrubel, Wasnezow, Nesterow – die vor 120 Jahren das ganze Himmelsdrama an | |
Gewölben und Wänden in Öl gebannt haben. Das irdische Drama dieser Zeit | |
findet derweil in den Köpfen statt. | |
## Mit Moskau keine Kompromisse | |
„Die Auseinandersetzung mit den Gläubigen des Moskauer Patriarchates | |
schmerzt mich sehr“, räumt eine Kerzenverkäuferin an einer der | |
Verkaufstheken in der Ecke ein. Doch eine Friedensbotschaft ist es nicht, | |
was nun folgt. Sie könne wirklich nicht verstehen, wie man sich in diesen | |
Zeiten einer Kirche zugehörig fühlen kann, die sich von Moskau Vorschriften | |
machen lasse. „Hoffentlich lässt sich meine Kirche nicht auf irgendeinen | |
Kompromiss mit dem Moskauer Patriarchat ein!“, beendet sie schroff das | |
kurze Gespräch. | |
„Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest!“, sagt plötzlich ein | |
Mütterchen vor der Kirche, die aus dem Dunkeln auftaucht. Mühsam hält sich | |
die Babuschka an einem Stock fest, schwankt und trotzt dem Schneetreiben. | |
„Und vor allem wünsche ich uns Frieden – in der Ukraine und in der Kirche!… | |
11 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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