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# taz.de -- Ukraines bekanntester Talkmaster: Ein cleverer Dirigent
> Sawik Schuster ist der bekannteste Talkmaster der Ukraine. Er hat die
> Gesprächskultur zivilisiert. In die Politik will er nicht. Das glaubt ihm
> niemand.
Bild: Nur ein gelegentliches Zucken in den Mundwinkeln verrät noch die Anspann…
Kiew taz | Aufgeregt nehmen die Zuschauer im Studio von „Schuster live“ in
Kiew Platz. Sie kommen aus allen Teilen der Ukraine und haben lange auf die
Einladung gewartet. Oben lassen sich die Podiumsgäste umständlich die
Sessel zuweisen. Nur einer steht unschlüssig im Raum – Sawik Schuster.
Langsam geht er den Rand der halbkreisförmigen hölzernen Bühne ab. Sein
Blick schweift zum Boden, zum Publikum, zur Decke. Er lässt keinen
Zentimeter aus, als wollte er die Energie einsammeln, die im Saal vorhanden
ist.
Schuster ist Moderator, Regisseur und Drehbuchautor seiner Show. „Schuster
live“ ist in der Ukraine so populär wie in Deutschland der Sonntagabend mit
Anne Will, sichtbarer Unterschied: Schuster steht während der Sendung, wie
ein Dirigent. Abwesend sieht er in das Publikum hinein, dann dreht er sich
ruckartig zum Podium. Scheinwerfer flammen auf, sein Kopf mit dem silbrigen
Haar taucht in gleißendes Licht. „Unser Territorium ist die gesamte
Ukraine“, behauptet Schuster, als würde ihm jetzt das Land zu Füßen liegen.
Applaus.
Der Anzug ist maßgeschneidert, jedes Härchen getrimmt, alles stimmt, wären
da nicht die riesigen Lackschuhe. Auf ihnen gleitet er über die Bühne, mal
zu den Polstern, in denen seine Gäste hocken, mal zum Publikum. Manchmal
wirkt er wie ein Emissär. Nur das gelegentliche Beben in den Mundwinkeln
lässt die Erregung erahnen. Schuster hat mit seinem Stil die
Gesprächskultur zivilisiert. Nicht wenig in einem Land, wo oft genug die
Fäuste „reden“ – auch im Parlament.
Noch bis vor wenigen Jahren ist es auch in seiner Show immer wieder zu
Tätlichkeiten gekommen. Jetzt befehden sich die Gäste meist nur noch verbal
– und das in der Regel auf Ukrainisch. Schuster selbst spricht hingegen
konsequent Russisch. Das wird akzeptiert. Es ist etwas Aristokratisches,
was der Moderator ausstrahlt, was er offenbar aus seiner Wahlheimat Italien
mitgebracht hat – und was ihn von vielen anderen Moderatoren unterscheidet,
erst recht von den ehemaligen Kollegen aus dem russischen Staats-TV. Der
63-Jährige ist kein Hitzkopf und kein Propagandist, er ist Weltbürger.
Schuster besitzt die kanadische und italienische Staatsbürgerschaft.
## Eine Schießerei in Kiew
Trotzdem ist es nicht nur die große Politik, die Schuster im Studio
ausrollt. Er behandelt auch Aufreger, die in Bussen und der U-Bahn die
Runde machen. Halb Kiew hat tagelang gekocht, weil ein Polizist bei einer
nächtlichen Verfolgungsjagd das Feuer eröffnete und einen 17-Jährigen auf
dem Autorücksitz erschoss. Schuster hat heute Freunde des Opfers
eingeladen, dazu den Parlamentsabgeordneten Anton Geraschtschenko, der auch
Berater des Innenministers ist. Die lautstarken Vorhaltungen der Freunde
bringen den massigen Geraschtschenko völlig aus der Fassung. Der entgegnet
erregt, dass der Polizist nicht habe wissen können, wer im Wagen sitzt. „Es
hätte ja auch ein Terrorist sein können!“
Für die Verteidigung der Schießerei bemüht der Politiker den Westen. Wenn
man so leben will wie im Westen, müsse man auch dessen Maßstäbe
akzeptieren, in den USA greife die Polizei schließlich auch immer wieder
zum Schießeisen. „Aber nein!“, fährt Schuster Geraschtschenko an und
taxiert ihn kurz. Man könne nicht zulassen, dass ein Polizist zur Waffe
greift, nur weil ein Autofahrer durch Kiew rast. „Westen ja, aber bitte
nicht den Wilden Westen!“, ermahnt Schuster und legt Verwunderung in seinen
Blick.
Treuherzigkeit ist es dennoch nicht. Ganz im Gegenteil. Neben all den
Raufbolden, korrupten Beamten und nationalistischen Heißspornen muss
Schuster nur eine tadellose Figur machen – ehrlich, bescheiden,
authentisch. Der Rest ist Suggestion. Sawik Schuster schafft es spielend,
dass man ihm alles glaubt. Manche halten ihn in solchen Momenten für einen
Freund, andere für einen Therapeuten. Dabei ist er nur Talkmaster.
## Vom Migränearzt zum Kriegsreporter
Vielleicht liegt es daran, dass Schuster von Hause aus Arzt ist,
Spezialisierung Migräneforschung. 1952 wurde er in Vilnius in Litauen
geboren, das damals zur Sowjetunion gehörte. Sein Vater war Fußballer,
anschließend Fußballtrainer. 1971 wandert die Familie nach Kanada aus. In
Montreal beendet Schuster sein Medizinstudium und geht als Wissenschaftler
nach Florenz. Doch 1978 hängt Schuster die wissenschaftliche Karriere an
den Nagel und berichtet fortan als Kriegskorrespondent aus dem Libanon, aus
Palästina, Nicaragua. Er schreibt für Newsweek, Liberation und den Spiegel,
wo er als „russisch sprechender Kanadier“ vorgestellt wurde.
In Afghanistan gelingt Schuster ein Ganovenstück. Auf eigene Faust macht er
sich in das von Moskau besetzte Land auf. Unter Sowjetsoldaten, die von den
Mudschaheddin gefangen wurden, verteilt er die Armeezeitungen Krasnaja
Swesda – eine Fälschung. Schuster will so die Kampfkraft der Sowjetarmee
schwächen. Ab 1988 arbeitet er auch für Radio Liberty und steigt zum
stellvertretenden Leiter des russischen Dienstes auf. Zwischen 2001 und
2005 arbeitet Schuster dann in Moskau. Er moderiert Sport, auch eine
Talkshow.
Nach vier Stunden ist „Schuster live“ für heute Geschichte. Schuster
betritt sein Büro – in Jeans. Zielstrebig geht er zum Schreibtisch, holt
Tabak und Papier heraus. „Das ist das Allerwichtigste nach der Sendung“,
beginnt er und dreht sich seine Erste. „Ich mache mir meine Zigaretten
immer selbst. Das ist authentischer.“ Die Selbstgedrehte als Botschaft.
Schuster will „echt“ rüberkommen. Nicht so falsch und korrupt wie viele
draußen vor der Tür.
## „Korruption im Parlament“
Doch Eigensinn hat seinen Preis. Wohl kaum ein Talkmaster hat in den
letzten Jahren so häufig den Sender gewechselt wie Schuster. Der letzte,
spektakuläre Rausschmiss war am18. September 2015: Da hatte ihn der
populäre Kanal „1+1“ kurz vor Sendebeginn vor die Tür gesetzt. Man wolle …
der angespannten Situation eine weitere Eskalation innerhalb der
Gesellschaft vermeiden, hatte das der Sender offiziell begründet. Schuster
vermutet, dass der ukrainische Präsident Petro Poroschenko persönlich
dahintersteckt. Möglicherweise habe den Senderverantwortlichen auch das
Thema „Korruption im Parlament“ nicht gefallen.
Knapp zwei Jahre zuvor sollte schon einmal eine Sendung gekippt werden, das
war am29. November 2013, als der damalige Präsident Janukowitsch im letzten
Moment die Unterschrift unter dem Assoziierungsabkommen mit der EU
verweigerte. Die Ausstrahlung von „Schuster live“ wurde 45 Minuten
blockiert. Der Mann, der ihm damals geholfen hatte, doch noch auf Sendung
zu gehen, hieß Petro Poroschenko.
Schuster nimmt einen tiefen Zug. Für ihn ist die Sache klar: Die
Fernsehlandschaft in der Ukraine sei fest in der Hand von Oligarchen. Nun
hat Schuster seine Sendung in die eigenen Hände genommen und seinen eigenen
Kanal gegründet, „3S.tv“, der über Internet und Kabel sendet. Doch auch so
ist Schuster in jeder ukrainischen Stadt und zum Teil auch auf dem Land zu
empfangen. Mit Spenden und Aktien will er die Unabhängigkeit erhalten.
## Boxhandschuhe an der Wand
Langsam zieht der Zigarettenqualm in die letzte Ecke. Das Büro ist
Schusters Rückzugshöhle. Ohne Termin kommt hier niemand rein, auch nicht
seine Mitarbeiter. Man könnte glauben, hier hält Schuster seine
Leidenschaft für den Sport versteckt. Auf Regalen und auf Tischen finden
sich Trophäen, Auszeichnungen in Form eines Fußballs. Am Haken an der Wand
hängen Boxhandschuhe. Nur die vielen Aschenbecher auf Tischen, am
Fensterbrett und im Regal passen nicht recht dazu.
Hat so ein einflussreicher Moderator nach all den Jahren nicht selbst Lust
auf Politik? Gibt es da nicht schon einen sportlichen Ehrgeiz? Schuster
überlegt. Wenn ukrainische Medien ihm politische Ambitionen unterstellten,
sei das völlig falsch, antwortet er dann. Und selbst wenn er in die Politik
ginge, fährt er fort, wäre sein Programm so radikal, dass man ihn nicht
wählen würde. Ein Beispiel? „Es kann doch nicht sein, dass die neuen
Machteliten immer ihre Vorgänger einfach enteignen. In der Ukraine ist sich
doch niemand seines Besitzes sicher, abgesehen vielleicht von den Besitzern
kleiner Wohnungen.“
Und neben der Eigentumsfrage müsste auch die Frage nach dem
Selbstverständnis des Landes angegangen werden. „Ich glaube, das Modell vom
Einheitsstaat Ukraine kann nicht Bestand haben.“ Nach dem Krieg müsse man
sich endlich an die Diskussion machen, was die Ukraine sein will. „Will sie
eine Föderation sein oder eine Republik? Und was für eine Republik?“
## Eine russischsprachige BBC
Doch letztlich sei die Frage, was er als Politiker anders machen würde,
natürlich nur eine theoretische. Sawik Schuster sagt es und lächelt
treuherzig. Er werde weder für das Amt des ukrainischen Präsidenten
kandidieren noch für das Parlament. Er wolle Journalist bleiben und aus
seinem Sender einen weltweit bekannten Kanal machen, sein Traum ist die
Gründung einer russischsprachigen BBC. „Für alle liberal denkenden
Menschen, die die russische und ukrainische Sprache lieben!“
Zunächst muss Schuster allerdings im ukrainischen Mediengeschäft überleben.
Das könnte schwierig werden. Anfang des Jahres hat die Steuerbehörde ein
Strafverfahren gegen ihn eingeleitet, Vorwurf: Steuerhinterziehung in Höhe
von 400.000 Euro. Schuster soll einen Teil der Gehälter in Briefumschlägen
ausgezahlt haben.
Noch ist der Mann gut im Geschäft. Und Politiker, die ihm wohlgesinnt sind,
holt er besonders gern in die Sendung, unter ihnen Oleg Ljaschko, den Chef
der militanten Radikalen Partei, und Julia Timoschenko. Die ehemalige
Ministerpräsidentin mit dem markanten Zopf besitzt ein äußerst flinkes
Mundwerk. Eine Weile stand es zwar still, Timoschenko galt als Verliererin
der Maidan-Revolution. Jetzt aber, wo die Regierung in der Krise steckt,
geht es für sie wieder bergauf. Und „Schuster live“ orchestriert gekonnt
den Aufstieg. Sawik Schuster ist eben ein meisterlicher Dirigent.
13 Apr 2016
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Ukraine
Fernsehen
Oligarchen
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine-Konflikt
Ukraine
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