# taz.de -- Friedensmärsche in der Ukraine: Kreuzzug unter dem Banner Moskaus | |
> Zwei Prozessionen folgen dem Aufruf der ukrainisch- orthodoxen Kirche des | |
> Moskauer Patriarchats. Sie ziehen von Westen und Osten nach Kiew. | |
Bild: Marschieren für den Frieden | |
SHITOMIR taz | Es hat gerade geregnet. Der 37-jährige Juri sitzt | |
klitschnass auf einer Bank neben der Kirche und schaut auf seine | |
geschundenen Füße. Juri erzählt, dass er seit Tagen an einer | |
Friedensprozession teilnimmt und ziemlich müde ist. Er sei enttäuscht, dass | |
nicht so viele mitlaufen, wie er erhofft habe. „Ich hasse die Russen und | |
alles Russische nicht“, sagt der Ukrainer. „Und es ist nun mal so gekommen, | |
dass meine Familie sich immer schon zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des | |
Moskauer Patriarchats bekannt hat. Aber dennoch liebe ich meine Heimat, die | |
Ukraine.“ | |
Schytomyr, eine Kleinstadt 140 Kilometer westlich von Kiew, ist eine von | |
vielen Zwischenstationen. Juri stammt aus der Bukowina im Westen der | |
Ukraine und ist einer von tausenden orthodoxen Gläubigen, die seit über | |
zwei Wochen in einem Kreuzzug „für den Frieden, die Liebe und das Gebet für | |
die Ukraine“ mit marschieren. | |
Bei vielen Ukrainern löst die Prozession Ängste und Kontroversen aus. Der | |
Friedensmarsch bewegt sich gleichzeitig in zwei Zügen – vom westlichen | |
Ternopil und vom östlichen Charkiw aus in Richtung Kiew. Angeführt wird | |
er von Geistlichen aus 12 Diözesen. Die Gläubigen tragen Ikonen der | |
Gottesmutter, die Frieden und Liebe symbolisieren sollen. Das Ziel ist das | |
Höhlenkloster in Kiew, wo sich beide Prozessionen am 27. Juli treffen | |
sollen. Das Datum ist ebenso symbolbehaftet. Am 28. Juli wird der Jahrestag | |
der Taufe der Kiewer Rus begangen. | |
„Mit tiefer Besorgnis im Herzen erleben wir diese Tragödie – den | |
bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine, wo unschuldiges Blut unserer | |
Landsleute vergossen wird“, wendet sich Mitropolit Onufri, das Oberhaupt | |
der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, in einem Aufruf | |
an seine Gläubigen. „Das Größte, was unsere Kirche tun kann, ist für den | |
Frieden zu mahnen. Gerade das ist der Sinn des allukrainischen Kreuzzugs“. | |
## Zweifel an der Aufrichtigkeit | |
Viele Ukrainer zweifeln an der Aufrichtigkeit dieser Worte. Seit dem | |
Ausbruch des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine setzen nicht wenige | |
die – in der Ukraine zahlenmäßig größte – Kirche des Moskauer Patriarch… | |
mit der Politik des Kremls gleich. Ähnliche Kreuzzüge fanden 2014 vor dem | |
Konflikt in Donbass statt, als bewaffnete Kämpfer die ostukrainischen | |
Städte einnahmen. Sie stellten sich hinter die Frauen mit Ikonen, und der | |
Moskauer Patriarch Kyril segnete die Separatisten. „Ich gehe nicht mehr in | |
diese Kirche, meine Familie haben sie verloren. Sie geben Moskau unser | |
Geld, damit es unsere Mitbürger tötet“, sagt Olga, die den Friedensmarsch | |
kategorisch ablehnt. | |
Die Gegner argumentieren damit, dass der Kreuzzug in Wirklichkeit eine | |
politische Aktion ist, die darauf zielt, den Einfluss des Moskauer | |
Patriarchats in der Ukraine zu festigen. Gegen die Prozession tritt auch | |
die zweitgrößte ukrainisch-orthodoxe Kirche, die des Kiewer Patriarchats, | |
auf. 1991, im Zuge der Gründung des ukrainischen Staates, forderte auch die | |
ukrainisch-orthodoxe Kirche die Unabhängigkeit von Moskau. Das war der | |
Ausgangspunkt für die kirchliche Spaltung und Entstehung der Kirche des | |
Kiewer Patriarchats. Allerdings bleibt die Kirche des Moskauer Patriarchats | |
die einzige kanonisch anerkannte orthodoxe Kirche in der Ukraine. | |
Vor Kurzem hat sich das ukrainische Parlament an den Patriarchen der | |
weltlichen orthodoxen Kirchen mit den Bitte gewandt, eine einheitliche | |
autokephale orthodoxe Kirche in der Ukraine zu gründen. Ohne Genehmigung | |
des Moskauer Patriarchen Kyril ist eine solche Gründung jedoch nicht | |
möglich. In Schytomyr kam es zu Rangeleien zwischen den | |
Prozessionsteilnehmern und Vertretern des Rechten Sektors. Letztere | |
sperrten die Straße, um den Zug nicht durch die Stadt laufen zu lassen. Die | |
Begründung: der Marsch würde an einer Kaserne vorbeiziehen, wo vor Kurzem | |
ein Militärangehöriger begraben wurde, der im Osten der Ukraine gefallen | |
war. Nachdem die Route geändert wurde, durften die Gläubigen ihre | |
Prozession fortsetzen. | |
Die Teilnehmer nehmen große Strapazen auf sich. Sie marschieren trotz Hitze | |
oder Regen dutzende Kilometer täglich. Sie übernachten und essen in den | |
Kirchen oder den Häusern der Gläubigen. Die meisten sind ältere Frauen und | |
junge Familien mit Kindern. Sie tragen Ikonen, beten und singen. Weder | |
Georgsbändchen noch ukrainische Fähnchen sind zu sehen. Während die | |
Prozession an einem Dorf vorbeizieht, wird sie von knienden Gläubigen | |
begrüßt. Die Dorfbewohner versorgen die Marschierer mit Wasser und Essen. | |
„Ich laufe mit, weil ich das Bedürfnis habe. Die Verzweiflung in der | |
Ukraine soll ein Ende haben!“, sagt Oksana, eine junge Frau. „Ruhm der | |
Ukraine!“, schreit ein Mann an einer Haltestelle, als der Zug vorbeikommt. | |
„Ruhm dem Gott!“, antworten ihm mehrere aus dem Kreuzzug. Die Angst vor | |
Provokationen ist groß. Bis zu 20 Polizisten sorgen in jedem Ort für | |
Sicherheit. Die größte Sorge macht allen Seiten der Höhepunkt in Kiew, wo | |
sich die zwei Prozessionen treffen werden. | |
Aus dem Russischen Irina Serdyuk | |
21 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Anastasia Rodionowa | |
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