# taz.de -- Widerspruchslösung für Organspender: Der Mangel wird bleiben | |
> Eine Organspende soll zum „Normalfall“ werden. Eine Debatte über ethische | |
> Fragen, wie etwa über das Hirntodkonzept, findet nicht mehr statt. | |
Bild: Bisher gilt noch die Zustimmungslösung in Deutschland | |
BERLIN taz | In Sachen Bioethik prescht die Union nach vorne. Nicht nur die | |
von Gesundheitsminister Jens Spahn b[1][ei der Organspende ins Spiel | |
gebrachte Widerspruchslösung] mache eine breite parlamentarische Debatte | |
erforderlich, ließ der jetzt abgewählte Fraktionsvorsitzende Volker Kauder | |
kürzlich wissen, auch Abgeordnete aller Parteien drängten darauf, sich mit | |
dem nicht-invasiven pränatalen Bluttest, der „grundsätzliche Fragen unserer | |
Werteordnung“ aufwerfe, zu befassen. | |
Die beiden Sachthemen haben zunächst einmal nichts miteinander zu tun, es | |
sei denn, man würde die Qualität der bioethischen Debatten des Jahres 2018 | |
ins Verhältnis setzen zu den parlamentarischen „Sternstunden“ vor zehn oder | |
20 Jahren, von denen Spahn so begeistert schreibt, und sie als Gradmesser | |
gesellschaftlicher Normalisierungsprozesse betrachten. | |
Im Fall der Organspende reagierte der Minister, von einem Teil der | |
Ärzteschaft getrieben, auf die Tatsache, dass die Zahl der Spender | |
kontinuierlich sinkt. Im Jahre 2017 erreichte sie den bislang niedrigsten | |
Stand von 797, während gleichzeitig rund 10.000 Patienten auf den | |
Wartelisten auf ein Organ warten. Dies steht in offensichtlichem | |
Widerspruch zu der Feststellung, dass nach den Skandalen der vergangenen | |
Jahre die Spendebereitschaft wieder angestiegen ist und Umfragen zufolge 84 | |
Prozent der Bevölkerung der Organspende positiv gegenüberstehen. | |
Der Anteil derer, die einen Spenderausweis bei sich tragen, hat sich von 22 | |
Prozent 2012 auf 36 Prozent in diesem Jahr erhöht. Das spricht dafür, dass | |
die grundsätzliche Aufgeschlossenheit noch lange nicht bedeutet, dass die | |
Menschen dem aktuellen Spendersystem vertrauen und schon gar nicht, dass | |
sie bereit wären, sich auch entsprechend zu erklären. An dieser | |
Erklärungspflicht setzt der Gesundheitsminister an. | |
Nachdem Spahn das Unternehmen in der Bild-Zeitung lanciert und angekündigt | |
hatte, Organspende zum „Normalfall“ machen zu wollen, konkretisierte er | |
Anfang September [2][in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine | |
Zeitung,] was er den Bürgerinnen und Bürgern abzuverlangen gedenkt. Er | |
wolle mit der Widerspruchslösung zwar niemanden zur Organspende zwingen, | |
aber zur Pflicht zum „aktiven Freiheitsgebrauch“. Dabei verbietet es sich | |
in diesem Zusammenhang von einer „Lösung“ zu sprechen – wenn nicht schon… | |
Hinblick auf die deutsche Geschichte und die Todesabhängigkeit dieser | |
Therapie es der politische Instinkt erfordert, so doch immerhin die | |
Skepsis, damit den Organmangel definitiv beenden zu können. | |
## Nichtstun heißt Ja | |
Auf die neuerlichen Einwände einiger Kirchenvertreter und des Vorsitzenden | |
des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, setzte Spahn nach und führte aus, | |
dass es um die „Pflicht“ gehe, sich mit dem Thema zu beschäftigen und zu | |
bekunden, wenn man sich gegen eine Organspende entscheidet. Wer dies nicht | |
tut, erklärt sich mit der Entnahme seiner Organe einverstanden. | |
Einmal davon abgesehen, dass der Gesundheitsminister mit dieser Debatte | |
sein eigenes, gerade ins parlamentarische Verfahren eingespeiste „Gesetz | |
für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende“ | |
relativiert, bricht er auch mit einem Grundkonsens, denn auch die 2012 | |
eingeführte Entscheidungsregelung stellt frei, sich öffentlich zu erklären. | |
Während das Gesetz darauf abzielt, das System im Sinne der Organspende zu | |
optimieren und Anreize für die Krankenhäuser zu schaffen, potentielle | |
Spender zu melden und die Entnahme von Organen durchzuführen, scheint es | |
sich bei der Debatte um die Widerspruchsregelung vor allem um eine | |
Diskursstrategie zu handeln, die austestet, wie weit die bislang geltenden | |
bioethischen Prämissen ausgehebelt werden können. Flankiert wird sie von | |
dem von allen Seiten wiederholten Hinweis auf die prekäre Lage der | |
wartenden Patienten und der potentiellen Betroffenheit jedes Einzelnen, der | |
irgendwann einmal ein Organ benötigen könnte. | |
Dass die Widerspruchsregelung selbst nicht ohne Widersprüche ist, scheint | |
dabei kaum jemandem aufzufallen. Denn weshalb ist es bei der unterstellten | |
stillschweigenden Spendebereitschaft der sich nicht Erklärenden eigentlich | |
notwendig, die Angehörigen nach dem „mutmaßlichen Willen“ des hirntoten | |
Patienten zu fragen, wie es inzwischen auch in Österreich der Fall ist? | |
Weshalb bringt man Verwandte und das enge soziale Umfeld wieder in die in | |
dieser Situation so schreckliche Entscheidungsbredouille? Geht es um die | |
Selbstentlastung des Systems? Um die Ärzte, die letztlich die Verantwortung | |
doch nicht übernehmen wollen? Um die Abwehr von Schadensansprüchen? Oder | |
wird das Einverständnis abgefordert, dass es sich beim Spender nicht um | |
einen hirntoten, also sterbenden Patienten handelt, sondern um einen | |
Leichnam? Auch wenn einem Leichnam gar kein Organ mehr zu entnehmen ist. | |
## Ein Art Offenbarungseid | |
Spahn präferiert, zusammen mit seinem SPD-Kombattanten Karl Lauterbach, ein | |
ähnliches Verfahren wie in Österreich, wo sich diejenigen, die einer | |
Organspende widersprechen, in ein Register eintragen müssen. Wenn aber | |
heute die Menschen fürchten, mit einem Organspenderausweis in der Tasche | |
nicht mehr in der notwendigen Weise intensivmedizinisch betreut zu werden, | |
könnte es den Widersprechenden künftig passieren, dass der Blick ins | |
Register nachteilige Folgen für sie hat. Die Erklärungspflicht ist eine Art | |
Offenbarungseid, der schon im Rahmen des Schufa-Eintrags dramatisch wirken | |
kann; wie erst, wenn es um Leben und Tod geht. | |
Dies alles betrifft nur die Seite der Organspender und ihre Angehörigen, | |
und noch gar nicht Wartelisten-Manipulationen, therapeutisch fragwürdige | |
Eingriffe wie derzeit in Essen. Nicht die Rede ist von Patienten, die auf | |
eine Transplantation angewiesen sind und sie nicht bekommen und andere, die | |
auch anderweitig überleben würden. Warum etwa bekommt ein Fußballspieler | |
wie Ivan Klasnic, der bei Anne Will offenherzig erzählt, mit seiner dritten | |
Niere herumzulaufen, in Deutschland zwar kein Organ, wohl aber, weil er | |
auch einen kroatischen Pass besitzt, im Eurotransplant angeschlossenen | |
Kroatien? | |
Insofern ist die angestoßene Debatte über die Widerspruchsregelung zunächst | |
nur ein bewusster Vermeidungsdiskurs. Vermieden wird, überhaupt noch über | |
den selbst von Wissenschaftsinstitutionen wie dem amerikanischen | |
President’s Council of Bioethics angezweifelten Hirntod zu reden. Nicht | |
kritisch gesprochen wird über Patientennutzen, Geld und das übliche | |
„Standort“-Argument, das der Unions-Gesundheitspolitiker Georg Nüßlein in | |
Anschlag bringt, wenn er behauptet, die deutsche Hochleistungsmedizin würde | |
sonst abgehängt werden. Und nicht geredet wird darüber, was es für | |
Organspender und -empfänger, medizinisches Personal und den Markt für | |
Körperteile bedeutet, wenn Organspende „Normalfall“ wird, wie Spahn es | |
will. Wenn die Union es schaffe, diese Debatte in vielen differenzierten | |
„Sternstunden“ zu forcieren, würde sie tatsächlich Ehre einlegen können. | |
30 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Widerspruchsloesung-fuer-Organspende/!5532813 | |
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gastbeitrag-von-gesundheitsminist… | |
## AUTOREN | |
Ulrike Baureithel | |
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