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# taz.de -- Organisatoren zu „Welcome United“-Demo: „Das Nationale unterl…
> Tausende Menschen wollen zur antirassistischen Demo in Hamburg kommen.
> Ein Gespräch über die Bewegung gegen Rechts und ihre Veränderung seit den
> 90er Jahren.
Bild: Erst in Chemnitz, jetzt auch in Hamburg im ganz großen Stil: Demos gegen…
taz: Die [1][„We’ll Come United“-Parade] am Samstag in Hamburg soll die
größte explizit antirassistische Aktion werden, die es bislang in
Deutschland gab. Sie rechnen mit 25.000 TeilnehmerInnen. Woher kommt dieser
Optimismus, Frau Duman und Herr Kopp?
Newroz Duman: In Deutschland engagiert sich immer noch fast ein Fünftel
aller Menschen in Strukturen, die solidarisch mit Geflüchteten sind.
Außerdem sind Millionen MigrantInnen und Geflüchtete Teil unserer
Gesellschaft. Das bildet sich politisch und medial nicht ab, aber ist die
Realität, auf die wir setzen. Samstag wird der Tag, an dem wir diese
Gesellschaft der Vielen auf der Straße zeigen wollen und gegen den
Rassismus von AfD, Frontex, Ausländerbehörden und der Bundesregierung
demonstrieren. Und mit Sicherheit spielt auch die Politik von Salvini,
Seehofer oder Kurz eine Rolle.
Hagen Kopp: Wir stehen ja nicht am Anfang der Proteste gegen diese neue
Achse der Schande von Rom über Wien und Budapest nach Berlin. Schon Ende
Juni begann es zu rumoren. Da haben die ersten Städte erklärt, Gerettete
aus dem Mittelmeer aufnehmen zu wollen. Am 7. Juli dann ging es los mit den
Seebrücken-Demos, die Zehntausende auf die Straße brachten, dann in
Chemnitz, das Konzert nach dem Nazi-Aufmarsch, mit 70.000 Menschen. Der
Schwung dieser Bewegungen ist jetzt da. Und wir hoffen, dass viele Leute
verstehen, was nun an Welcome United das Besondere ist.
Was denn?
Kopp: Dass Geflüchtete und MigrantInnen dabei selbst die erste Rolle
spielen und ihre Geschichten und Kämpfe gemeinsam zur Sprache bringen.
Sie haben in den 1990er Jahren das Netzwerk „Kein Mensch ist illegal“
mitgegründet. Hätten Sie damals 25.000 Menschen auf die Straße gebracht?
Kopp: Ich würde sagen, nein. Bei der Demo gegen die Asylrechtsverschärfung
1992 in Bonn waren etwa 10.000 Menschen, danach waren die Aktionen meist
sehr viel kleiner. Ab 2013 haben sich die Kämpfe der Geflüchteten immer
weiter verdichtet und es gab einen medialen Umschwung mit dem
Lampedusa-Unglück. Und dann den Durchbruch auf der Balkanroute im September
2015. Ich hätte vorher nie geglaubt, dass Migrationsbewegungen einen so
bahnbrechenden Erfolg haben können. Es haben sich in dieser Phase viele
neue Alltagsstrukturen gebildet, zum Beispiel auch die Seenotrettung.
Die ZAG, die Zeitschrift für Antirassismus, hat die Bewegung von Anfang an
begleitet. Im Vorwort ihrer letzten Nummer zieht sie eine ernüchternde
Bilanz: Nach 20 Jahren stehe der Antirassismus wieder genau da, wo er
angefangen hat. Stimmt das?
Kopp: Ich würde dem sehr widersprechen. Das Rollback ist unbestreitbar.
Aber die Strukturen, die sich entwickelt haben, sind nachhaltig: Die
gestärkten Communities der MigrantInnen, denn Hunderttausende haben ja ihr
Bleiberecht durchgesetzt. No Border-Gruppen, Kirchenasyl,
Willkommensstrukturen und -Cafés, Flüchtlingslotsen, das sind alles Sachen,
die zählen, die heute den Alltag ausmachen. Und die jetzt eben auch die
breite Empörung über die Eskalation der Abschottung im Mittelmeer praktisch
unterfüttern.
Die Flüchtlingssolidarität ist heutzutage also so stark wie nie zuvor, aber
die Politik macht heute flüchtlingsfeindlichere Politik denn je. Wie geht
das zusammen?
Duman: Das ist Teil eines größeren Prozesses, einem autoritären Umbau der
Staaten in ganz Europa, die sich abdichten gegen soziale Bewegungen. Der
Rechtsruck, der in den letzten Jahren Politik auf Grundlage von Angst
macht, hat seine Politik von oben gegen einen großen Teil der migrantischen
und der solidarischen Bevölkerung durchgesetzt.
Kopp: 2016 wurde begonnen, die Grundlagen für die rechtlichen
Verschärfungen – schnellere Verfahren, Ankerzentren, Abschiebehaft,
Charter-Abschiebeflüge – zu legen. Wir hatten nicht die Kraft, dagegen zu
halten, konnten aber vieles durch Unterstützungsarbeit auffangen. Das hat
sich jetzt geändert: Der Apparat hat sich viel weiter eingespielt und nutzt
die neuen Rechtgrundlagen, um gegen Geflüchtete mit aller Gewalt
vorzugehen.
Damals saß die Antirassismus-Bewegung in einer gesellschaftlichen Nische
vor allem aus Kirchenleuten, K-Grüpplern und Autonomen. Wie ist es heute?
Kopp: Wie anders es ist, hat erst letzte Woche das Integrationsbarometer
gezeigt: Seit 2015 gab es nur minimale Änderungen der positiven Haltung
gegenüber Flüchtlingen und Migration. Das, was der veröffentlichte Diskurs
ist, was die meinetwegen 25 Prozent der Rechten sagen, und wie das dauernd
überall zum Thema gemacht wird, trifft also mitnichten eine Gesamtstimmung.
Die Rechten sind laut und mögen alles übertönen, aber das sagt nicht, dass
sie sich gesellschaftlich durchgesetzt hätten. Es gibt einen größeren
Gegenpol, der sich wieder mehr Gehör und Gewicht verschaffen muss.
Salvini, Kurz, Orban und auch Seehofer haben ganz real die Macht. Das ist
keine Frage von Übertönen mehr.
Kopp: Was Europa angeht, stimmt das natürlich. Aber es gibt auch da
Gegenstrukturen. Die reichen von dem Bürgermeister von Palermo bis hin zu
den beeindruckenden Unterstützern auf dem Alpenpass zwischen Italien und
Frankreich bei Ventimiglia. Keine Grenze schließt sich, ohne dass auch neue
Unterstützungsstrukturen entstehen.
Was tun die, wenn die, die im Zentrum der Macht sitzen, ein Europa ohne
Migration wollen?
Duman: Die Zivilgesellschaft ist heute sehr sichtbar, mit der „#ausgehetzt“
oder der „#unteilbar“-Demo; bei „Wir sind mehr“ oder eben bei We’ll C…
United. Aber das reicht nicht mehr. Es geht nicht mehr darum, Teddybären zu
verteilen oder „Herz statt Hetz“-Aufkleber. Die Bewegung muss viel
radikaler werden. Das meinen wir mit „Aufstand der Solidarität“: Radikal
Menschen schützen.
Der Ausweg ist also die kommunale Ebene, die Sanctuary Cities?
Duman: Ja, beispielsweise. Wir müssen solidarische Städte entstehen lassen.
Wir müssen die lokale und die transnationale Ebene miteinander verbinden.
So kann man das Nationale unterlaufen und gleichzeitig überspringen.
Viele Asylrechtsexperten sehen aber rabenschwarz für den Flüchtlingsschutz.
Kopp: 2014, im Oktober, haben wir mit dem Alarm-Phone angefangen. Da war in
Griechenland die Situation auf dem Meer viel schlimmer als heute. Die Dinge
ändern sich, und man kann beeinflussen, wie. 2010 war die Migration über
das zentrale Mittelmeer quasi gestoppt durch die Kooperation zwischen
Berlusconi und Gadafi. Es gab damals schon fürchterliche Situationen für
die Flüchtlinge. Dieses Grenzregime hat dann nicht mal ein Jahr gehalten.
Daraus kann man Mut schöpfen.
Die Forderungen von Welcome United am Samstag sind praktisch dieselben wie
von Kein Mensch ist illegal in den 90er Jahren. Warum ist es nicht
gelungen, weiter voran zu kommen?
Duman: Was wir fordern, ergibt sich aus dem, was wir erleben:
Dublin-Abschiebungen, verweigerte Familienzusammenführung und so weiter.
Und ja, viele dieser Gesetze habe ich viele Jahre selbst zu spüren
bekommen, nachdem ich 2002 nach Deutschland kam: Ausbildungsverbot,
Arbeitsverbot, Residenzpflicht, Abschiebung in der Familie. Aber man muss
sehen, wie viele Menschen heute daran arbeiten, Rechte von Fall zu Fall
immer wieder neu durchzusetzen.
Kopp: Die Situation ist heute grundlegend anders. Es gibt einen lauten
Rechts-Pol und einen leiseren, aber sehr wohl existierenden solidarischen
Pol in der Gesellschaft. Die offene Frage ist: Wie kommen wir wieder in die
Offensive? Wir wollen nichts schönreden, aber die Ausgangsbedingungen dafür
sind ungleich besser als in der wirklich unglaublich defensiven Situation
in den 1990er Jahren.
28 Sep 2018
## LINKS
[1] https://www.welcome-united.org/de/well-come-united/
## AUTOREN
Christian Jakob
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