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# taz.de -- Parlamentswahl in Schweden: Aus dem braunen Sumpf
> Den Umfragen zufolge werden die rechten Schwedendemokraten ihr bislang
> bestes Wahlergebnis erzielen. Wer ist diese Partei?
Bild: Parteichef Jimmie Åkesson ist den SD 1995 beigetreten, als sie noch offe…
Stockholm taz | Schwedens Sozialdemokraten erhalten bei der Parlamentswahl
am Sonntag erstmals seit 1911 weniger als 30 Prozent der Stimmen, könnten
aber mit 25 Prozent stärkste Partei bleiben. So sehen nur Tage vor dem
Urnengang die Durchschnittswerte der Messungen mehrerer Umfrageinstitute
aus. Dank einer gegenüber 2014 fast doppelt so starken Linkspartei hätte
eine rot-grüne (Minderheits-)Regierungsalternative mit 3 Prozent die Nase
vor der konservativ-liberalen „Allianz“. Die konservativen Moderaten
liefern sich demnach mit knapp 18 Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den
etwa gleichstarken Schwedendemokraten (SD) um den Rang der zweitstärksten
Partei.
Liegen diese Umfragen nicht völlig falsch, werden die SD ihr bislang bestes
Wahlergebnis erzielen. Wer ist diese Partei, die von Ministerpräsident
Stefan Löfven konsequent als „rassistische Partei mit Neonazi-Wurzeln“
charakterisiert wird?
Aus dem braunen Sumpf kommt sie tatsächlich. Sie wurde 1988 von militanten
Rassisten gegründet, um „Schweden schwedisch zu erhalten“ und alle
„ethnisch Fremden“ aus dem Land zu werfen – notfalls mit Gewalt. 2010 war
SD mit 5,9 Prozent erstmals in den schwedischen Reichstag eingezogen, vier
Jahre später mit 12,9 Prozent drittstärkste Partei geworden. Seit 2011
bezeichnet sie sich selbst als „sozialkonservative Partei mit
nationalistischer Grundhaltung“.
Eine Koalition mit SD lehnen alle anderen sieben Reichstagsparteien ab.
Konservative und Christdemokraten können sich aber mittlerweile vorstellen,
mit Hilfe von SD-Stimmen eine linke Regierung zu stürzen und eine eigene
Regierung auf deren parlamentarische Hilfe zu stützen.
## SD hoffen auf „dänische Verhältnisse“
Das trifft sich mit dem, was die SD selbst anstrebt. „Mein pragmatischer
Ausgangspunkt ist, dass ich bereit bin, die Regierungsalternative zu
unterstützen, die uns am meisten Einfluss bietet“, sagt ihr Vorsitzender
Jimmie Åkesson. Er hofft auf „dänische Zustände“. Ähnlich wie in Kopenh…
die Dänische Volkspartei möchte die SD im Stockholmer Reichstag als
Zünglein an der Waage einen steigenden Einfluss auf die schwedische Politik
ausüben. Sie will selbst erst einmal keine Regierungsverantwortung
übernehmen, denn ein solcher „Praxistest“ kann – wie in Finnland das
Beispiel der „Wahren Finnen“ zeigt – massiv Stimmen kosten.
Das eigentliche Vorbild der Partei ist aber nicht Dänemark, sondern Ungarn.
Åkesson machte erst kürzlich wieder in einem Interview keinen Hehl aus
seiner Begeisterung für Victor Orbán, „auch wenn es da Mängel gibt“.
Asyl- und Migrationsfragen beherrschen seit 2015 die politische Debatte in
Schweden. Mittlerweile kommen aber kaum noch Flüchtlinge ins Land. Die
Schwedendemokraten versuchen nun, vor allem das in weiten
Bevölkerungskreisen vorhandene Gefühl [1][einer diffusen Unsicherheit] zu
bedienen. Privatisierungspolitik und Steuersenkungen haben zu wachsenden
Problemen bei der Finanzierung des Sozialsektors und zu Engpässen bei der
Gesundheitsversorgung geführt. Die allgemeine Kriminalstatistik zeigt zwar
sinkende Tendenz, aber Zahlen haben es schwer, wenn spektakuläre Fälle von
Gangkriminalität eine ganz andere Wirklichkeit zu vermitteln scheinen.
Der 39-jährige Jimmie Åkesson, seit 2005 Parteivorsitzender und seriöses
Aushängeschild der Partei, ist ein begabter Kommunikator, wenn er über sein
Lieblingsthema, die Migrationspolitik sprechen darf. Doch so einfach machen
es die JournalistInnen einer Partei, die seit acht Jahren im Reichstag
sitzt, mittlerweile nicht mehr. Welche Lücken und Widersprüche die Partei
kennzeichnen, wurde in diesem Wahlkampf in TV- und Radiodebatten wiederholt
vorgeführt. „Armes Schweden“, kommentierte Dagens Nyheter, angesichts der
Aussicht, eine solch chaotische Partei könnte Einfluss gewinnen. Zumal mit
einem Vorsitzenden, der beispielsweise Kritik an SD-Budgetvorschlägen, die
von vorne bis hinten nicht aufgehen, mit „das ist doch etwas für
Fliegenbeinzähler“ abzutun versuchte.
## Den Kernwählern scheinen die Widersprüche egal zu sein
Noch scheint das der Kernwählerschaft der Partei recht gleichgültig zu
sein. Ebenso die Tatsache, dass SD auch bei dieser Wahl wieder Kandidaten
aufstellte, die Hitler hochleben ließen, Konspirationstheorien über das
„internationale Judentum“ verbreiteten, den Holocaust leugneten oder ein
Bild von Anne Frank mit dem Kommentar „Coolest Jew in the Shower Room“
verlinkten. Es bleibt eigentlich nur der Schluss, dass die Partei trotz
gegenteiliger Beteuerungen und einer 2012 beschlossenen „Nulltoleranz gegen
Rassismus“ gar keine konsequente Abgrenzung nach Rechtsaußen will.
Offene Angriffe auf die demokratische Grundordnung; die Forderung,
Regenbogenfahnen abzuhängen; ein Programm, das das Kultur- und
Museumsangebot an „schwedischen Werten“ ausrichten will; Journalisten als
„Feinde der Nation“ und Ausfälle gegen Public-Service-Medien (Åkesson:
„Scheiß-Sender schließen“): Die Künstler Schwedens haben nun einen Aufruf
gegen die Partei gestartet. Am Donnerstag veröffentlichten 253
Kulturpersönlichkeiten unter dem Titel „Unsere Freiheit wird von den
Schwedendemokraten bedroht“ einen Aufruf an die WählerInnen: „Wählt was
auch immer, aber keinesfalls SD.“
8 Sep 2018
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[1] /Gewalt-und-die-Wahl-in-Schweden/!5530982
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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