# taz.de -- Wahlkampf im Kongo: Die Hoffnung stirbt zuletzt | |
> Chrispin Mvano aus Ostkongos Masisi-Bergen hat alle Kriege überlebt. | |
> Jetzt will er etwas verändern und ins Parlament einziehen. | |
Bild: Chrispin Mvano in seiner bergigen Heimat | |
SHONGA taz | Erschöpft lässt sich Chrispin Mvano ins Gras fallen. | |
Schweißperlen rinnen ihm von der Stirn. Der 40-jährige Kongolese keucht: | |
„Dieses Bergsteigen – das stresst mich richtig“, sagt er und japst nach | |
Atem. Die Luft hoch oben in seinem Wahlkreis Masisi in den Bergen des | |
Ostkongo ist dünn, die Wege steil und holprig – kein einfaches Terrain für | |
Wahlkampf, gibt er zu: „Ich muss wohl noch etwas fitter werden, bevor es | |
richtig losgeht.“ | |
Chrispin Mvano ist eigentlich Journalist, er hat die UN-Mission beraten und | |
mit Hilfswerken und internationalen Reportern zugearbeitet. Aber jetzt hat | |
er sich als Kandidat für die Wahlen am 23. Dezember in der Demokratischen | |
Republik Kongo aufstellen lassen. Für seinen Heimatbezirk Masisi will er | |
ins Parlament im fernen Kinshasa einziehen. | |
Masisi – das sind grüne Almen, dichte Wälder und hohe Berge mit | |
atemberaubenden Ausblicken. An den Steilhängen stehen erntereife Maisfelder | |
und Bananenstauden. Die Gegend rund um die aktiven Vulkane ist aufgrund des | |
Lavabodens extrem fruchtbar. Hier wächst fast alles, was in Ostkongos | |
Millionenstadt Goma konsumiert wird. Die Almen Masisis sind landesweit | |
bekannt für ihren Käse. Im Inneren der Berge lagern Mineralien wie Zinn und | |
Coltan. „Wir haben so viel Potenzial und doch stagniert Masisi in Armut“, | |
sagt Mvano. | |
Und Masisi ist Dauerkriegsgebiet, ein Mikrokosmos für die unzähligen | |
Konflikte des kongolesischen Teufelskreises. Rund zwei Dutzend in- und | |
ausländische Rebellengruppen tummeln sich hier. Mittlerweile hat fast jeder | |
Hügel, jedes Dorf seine eigene Bürgerwehr. Manche sind schwer bewaffnet, | |
manche haben nur Gartengeräte wie Macheten. Mvano kennt sie alle, er hat | |
von jedem Kommandeur an jeder Straßensperre eine Telefonnummer. | |
Wahlen in Masisi – das ist etwas Besonderes. Beim letzten Mal im Jahr 2011 | |
war Mvano Wahlbeobachter in der umkämpften Kleinstadt Kitchanga. Er bekam | |
mit, wie ruandische Hutu-Rebellen die Bevölkerung mit Waffengewalt zwangen, | |
ihre Stimmen für Präsident Joseph Kabila abzugeben. Anderswo stahlen | |
Soldaten die Wahlurnen und Stimmzettel. Letztlich annullierte die | |
Wahlkommission die Abstimmung in Masisi. | |
Für den Wahlkreis sitzen also immer noch die 2006 gewählten acht | |
Abgeordneten im Parlament. Einer, François Samvura Ayobangira, vererbte bei | |
seinem Tod vor zwei Jahren seinen Sitz an seinen ein Sohn Safari Ayobagira | |
Nshuti. Der tritt jetzt wieder an – für Kongos Regierungspartei PPRD | |
(Volkspartei für Wiederaufbau und Entwicklung). | |
„Politik ist für die meisten Kandidaten im Kongo ein Weg, sich zu | |
bereichern, indem sie ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzen“, | |
erläutert Mvano. „All diese Politiker wollen das Land nicht verändern. Sie | |
profitieren vom Konflikt.“ | |
## Das unbewältigte Erbe von Ruandas Völkermord | |
Die meisten Kriegsherren kennt Mvano seit seiner Jugend. Bei Konflikten, | |
angefacht vom Völkermord an Ruandas Tutsi 1994, flohen aus Masisi die dort | |
heimischen Tutsi, ließen ihre Farmen und Kühe zurück. Die Volksgruppen der | |
Hutu und der Bahunde, welcher Mvano angehört, zankten sich um die | |
Ländereien. Mvanos Familie zog in die Provinzhauptstadt Goma. | |
Ruandische Hutu-Flüchtlinge, die nach der Eroberung ihres Landes durch | |
ruandische Tutsi-Rebellen in den Kongo geströmt waren, schlugen ihre Zelte | |
nebenan auf. „Wir hausten wie die Tiere“, erinnert sich Mvano. Immerhin: | |
Sein Vater war Lehrer, er schickte ihn und seine acht Geschwister auf die | |
Schule. | |
Sein Lehrer war der heutige Gouverneur von Nord-Kivu, Julien Paluku. Für | |
dessen Partei Burec (Vereinigter Block für den Wiederaufbau und Entstehung | |
des Kongo) kandidiert Mvano jetzt. | |
Für das Rote Kreuz sammelte er als 18-Jähriger in den Lagern die | |
Choleratoten ein. Bis heute erinnert er sich an jedes Massengrab in jeder | |
Senke rund um Goma. Bis heute kennt er die Täter des Genozids in Ruanda, | |
die sich in den Bergen Masisis als Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte | |
zur Befreiung Ruandas) aufstellten, um für die Rückeroberung Ruandas zu | |
rüsten. Wenn Mvano erzählt, dann ist man mittendrin in Kongos | |
Gewaltgeschichte. | |
## 250 Straßensperren – manche zwanzig Jahre alt | |
Der kleine, untersetzte Mann blickt verträumt ins Tal. Von Weitem sieht die | |
glatte Oberfläche des Kivu-Sees, der den Ostkongo von Ruanda trennt, aus | |
wie ein gewaltiger Spiegel. Dort unten, entlang der Uferstraße unweit | |
seines Geburtsorts, hat Mvano seinen Geländewagen geparkt. Wenige Meter | |
entfernt tummeln sich Männer an einer Straßensperre und knöpfen Reisenden | |
Wegzoll ab. | |
Bis zu 250 solcher Straßensperren zählt Mvano allein in Masisi. Manche sind | |
offiziell von den Behörden errichtet, manche von Milizen, manche von | |
arbeitslosen Jugendlichen. Die Durchfahrt kostet zwischen 5 und 50 Dollar. | |
„Die meisten dieser Barrieren gibt es in Masisi schon seit über 20 Jahren“, | |
weiß Mvano. | |
Deswegen bewegt er sich lieber mit dem Motorrad auf Serpentinenwegen die | |
Berge hinauf. An einer Weide mit Hunderten Kühen ist Schluss. Von dort aus | |
kämpft sich Mvano nun zu Fuß weiter: mit Rucksack und in Wandersandalen, | |
sein Markenzeichen. „Das ist das Dorf Shonga“, sagt Mvano und zeigt auf ein | |
paar windschiefe Lehmhütten mit Strohdächern. „Wer diesen höchsten Hügel | |
besetzt, der kontrolliert das Eingangstor nach Masisi.“ | |
## Im Auftrag eines Farmers abgebrannt bis auf die Asche | |
In Shonga leben Bahunde. Aber wegen der strategischen Lage, erklärt Mvano, | |
„haben dort oben Tutsi-Rebellen immer ihre Bastion errichtet, um Masisi | |
einzunehmen“. Seit ihrer Vertreibung haben Kongos Tutsi immer wieder | |
versucht, ihre Farmen zurückzuerobern. Meist marschierten sie durch Shonga, | |
die Bevölkerung musste fliehen. | |
Als Shonga im Jahr 2016 zuletzt brannte, waren daran aber nicht Rebellen | |
schuld. Farmbesitzer Claude Kahatu, ein Hutu verheiratet mit einer | |
Tutsi-Frau, war mit Polizisten nach Shonga gekommen und hatte das | |
Gemeindeland und die Äcker beansprucht. Offenbar war er gut befreundet mit | |
dem damaligen Polizeichef in Kinshasa. Die Polizisten zündeten die Hütten | |
an, das Dorf brannte nieder bis auf ein Häufchen Asche. | |
Die über 200 Familien retteten sich zu Fuß bis nach Goma. Tage- und | |
nächtelang harrten Frauen und Kinder vor dem Amtssitz des Gouverneurs | |
Paluku aus, um ihr Leid zu klagen. | |
„Ich habe damals der UNO davon berichtet, aber sie wollten die Lage nur | |
beobachten“, schüttelt Mvano frustriert den Kopf. Letztlich entschied | |
Gouverneur Paluku, der Anspruch des reichen Farmers auf Shonga sei | |
unrechtmäßig, er müsse die Bevölkerung entschädigen: Neue Häuser und eine | |
Schule sollten gebaut werden. Doch bis heute ist dies nicht geschehen. Als | |
die Vertriebenen Ende 2016 zurückkehrten, mussten sie ihre Hütten selbst | |
wieder aufbauen. | |
## „Wir haben auf dich gewartet“ | |
Keuchend geht es weiter: über Kartoffeläcker, durch Bäche, durch Kuhfladen. | |
Frauen in bunten Stofftüchern kommen aus den Gemüsebeeten angelaufen, um | |
ihren Kandidaten zu begrüßen. Mvano muss schmutzige Hände schütteln. Als er | |
endlich in Shonga ankommt, folgen ihm Dutzende Leute. | |
Dort wird er lautstark begrüßt. „Wir haben auf dich gewartet“, mahnt | |
Dorfvorsteher Francois Maheshi. Der alte Mann mit den Zahnlücken und einem | |
kaputten Flipflop an den Füßen wirkt aufgeregt. Die beiden umarmen sich | |
herzlich. | |
Der Dorfchef führt Mvano zur Kirche auf der Spitze des Hügels, eine Hütte | |
aus Holzlatten mit gezimmerten Bankreihen. Drinnen hocken Frauen mit Babys | |
in Tragetüchern, Kinder, Alte und Männer: Sie alle wollen hören, was Mvano | |
ihnen zu sagen hat. Noch nie zuvor ist ein Kandidat nach Shonga gekommen. | |
Hier gibt es nicht einmal ein Handynetz. | |
In seiner einstündigen Ansprache macht Mvano klar, dass er Shonga nicht | |
vergessen hat. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass ihr eine Schule | |
bekommt“, verspricht der Kandidat. Dafür bekommt er Applaus. Auch um eine | |
fehlende Straße, um die kaputten Brunnen werde er sich kümmern. Dafür gibt | |
es noch mehr Applaus. | |
## „Wir Bauern brauchen einen von uns“ | |
Der Dorfvorsteher preist Mvano als „einen von uns“, der schon in Kinshasa | |
war und sogar in Europa. Alle im Saal nicken zustimmend. Ein Bauer steht | |
auf und ergreift das Wort: „Wir Bauern brauchen einen von uns, der uns | |
kennt, um in der Hauptstadt unsere Interessen zu vertreten“, wendet er sich | |
an die Gemeindemitglieder: „Ich bin mir sicher, Mvano ist unser | |
Verteidiger!“. Wieder nicken alle. | |
Es gibt keinerlei Diskussion. Es wirkt, als hätten die Menschen das alles | |
schon einmal gehört – und als glaube niemand so recht daran. | |
Auch Mvano ist klar, dass er selbst als Abgeordneter die Probleme Masisis | |
nicht lösen kann: die Landkonflikte, die Unsicherheit, die fehlenden | |
Schulen, Straßen und Krankenhäuser. Doch er ist sich sicher: Die | |
Bevölkerung ist kriegsmüde. | |
„Aber solange die Politiker in Kinshasa ihre Macht ausnutzen, um den armen | |
Leuten das Land wegzunehmen, und solange die unzähligen Straßensperren den | |
Bäuerinnen das letzte Geld abknöpfen, wenn sie zum Markt gehen, um ihr | |
Gemüse zu verkaufen“, so Mvano, „solange wird es keine Entwicklung geben.�… | |
Mvano will alles anders machen. Er weiß: Seine Chancen sind gering, ihm | |
fehlt das Geld, die Leute „mit T-Shirts und Mützen zu bestechen“. Mvano | |
gibt sich als Kandidat der kleinen Leute, wo sonst niemand hinkommt. Denn | |
auch wenn viele zweifeln am Sinn von Wahlen – Mvano ist sicher: Kongos | |
Demokratisierung muss weitergehen. „Wir müssen aufhören, Konflikte mit | |
Waffen auszutragen.“ | |
30 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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