# taz.de -- YouTuber im Gefängnis: „Resozialisiert euch selber!“ | |
> Ein Inhaftierter sendet seit über einem Monat unerlaubt Videos aus der | |
> JVA Berlin-Tegel. Sein Argument: Das hilft bei seiner Rückehr nach | |
> draußen. | |
Bild: Der „Knast-Vlogger“ erzählt Geschichten aus dem Gefängnisalltag | |
BERLIN taz | Nur drei Tage hat es gedauert, bis die Justiz den Inhaftierten | |
identifiziert hatte, der seit Anfang Juli aus dem Gefängnis Berlin Tegel | |
[1][den „Knast-Vlog“ betreibt]. In seinen meist wenige Minuten langen | |
Videobotschaften erzählt der mit Tuch und Kappe vermummte Mann, wie viele | |
andere YouTuberInnen auch, Anekdoten aus seinem Alltag und bespricht | |
politische Themen – und das, obwohl Handys und Internet in Haft eigentlich | |
streng verboten sind. | |
Sich dessen bewusst, verkündet der Inhaftierte großspurig: „Wenn die mich | |
erwischen, ist das nur eine Frage der Zeit, bis das Ganze weitergeht!“ Und | |
damit behielt er bis jetzt recht: Nach Zellendurchsuchungen, Verlegung und | |
weiteren Disziplinarmaßnahmen durch die Gefängnisleitung bloggt der junge | |
Mann weiterhin in unregelmäßigen Abständen auf YouTube. In seinen Beiträgen | |
spricht der Gefangene über den Tagesablauf in der Haft, Suizid hinter | |
Gittern, soziale Probleme und über Gefängnismythen. | |
In seinem jüngsten Beitrag fordert er die Justiz auf, sich an ihre eigenen | |
Regeln zu halten. Er prangert die Klassenjustiz an (ohne sie so zu nennen). | |
„Wer sich die besseren Anwälte leisten kann, der kommt vor dem Gesetz | |
besser davon“, sagt er beispielsweise. Er habe von mehreren AnwältInnen | |
versichert bekommen, dass einzelne Berliner RichterInnen grundsätzlich | |
nachteilig für Inhaftierte entscheiden würden. Und die können sich aus | |
seiner Sicht nicht dagegen wehren. Denn: „Hier im Knast gibt es viele arme | |
Leute, die können sich einfach keinen Anwalt leisten, die können sich vor | |
der Willkür und den Repressalien hier nicht schützen. Die sind am Arsch.“ | |
Also fordert er süffisant: „Resozialisiert euch selber!“ | |
Ziel des Videoblogs sei es, die verbliebenen fünf Jahre seiner zehnjährigen | |
Haftstrafe in regelmäßigen Videos zu dokumentieren. Er wolle seine | |
Vergangenheit „selbstkritisch aufarbeiten und reflektieren“, sagt der Mann. | |
Seine Vergangenheit: Das sollen mehrere Banküberfälle sein, im Jahr 2012 | |
gar einer mit Geiselnahme. Seine Selbstkritik: Na ja, Kritik ist relativ. | |
Dass an seinen Videos allerdings reges Interesse besteht, beweisen die | |
85.000 Follower, die der Knast-Vlogger innerhalb nur weniger Wochen sammeln | |
konnte. | |
## Weitere Strafen möglich | |
Auf Nachfrage beim Senator für Justiz, Verbraucherschutz und | |
Antidiskriminierung des Landes Berlin, Dirk Behrendt, wusste man direkt | |
Bescheid: „Natürlich kennen wir den, unseren YouTube-Star“, sagt Büroleit… | |
Alexander Klose. Er betont aber auch, dass der betreffende Inhaftierte mit | |
weiteren Zellendurchsuchungen und Verlegung in andere Gefängnistrakte | |
rechnen müsse, falls er weiter Videos ins Internet stelle. | |
Der Knast-Vlog wirft jedoch ganz generelle Fragen auf, die die Inhaftierung | |
und das geltende Konzept der Resozialisierung mit sich bringen: Kann eine | |
Wiedereingliederung in die freie Gesellschaft in einem desozialisierenden | |
Umfeld wie dem Gefängnis funktionieren? Sind Kontakte der Inhaftierten zur | |
Welt in Freiheit dabei schlecht? | |
„Absolut nicht“, sagt Alexander Klose von der Berliner Senatsverwaltung. | |
Viele der Gespräche fänden mit Familie oder FreundInnen statt, das tue | |
vielen Gefangenen gut. Zudem seien Maßnahmen gegen die Nutzung von Handys | |
in Gefängnissen entweder nur punktuell umsetzbar oder technisch aufwendig | |
und sehr kostenintensiv. | |
Zwar gibt es in den meisten Bundesländern in Gefängnissen Kartentelefone | |
(allein in Bayern ist Telefonieren in Haft verboten – und nur in Notfällen | |
erlaubt), die Inhaftierte für genehmigte Rufnummern nutzen können. Aber: | |
Diese Geräte befinden sich häufig in viel frequentierten | |
Gemeinschaftsräumlichkeiten, private Gespräche sind also kaum möglich. | |
Marco Santos, Sprecher der von Inhaftierten gegründeten | |
Gefangenengewerkschaft (GGBO), sieht im Handy- und Internetverbot für | |
Inhaftierte eine Doppelbestrafung: Die Haft an sich sei Strafe genug. „Wir | |
sind dafür, Mobiltelefone freizugeben, solange die Preise in den | |
Justizvollzugsanstalten denen von draußen nicht angeglichen werden.“ Santos | |
spielt dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017 an, das | |
deutsche Haftanstalten rügte, die den Gefangenen viel zu hohe Telefonkosten | |
aufgebrummt hatten. | |
Auch für den ehemaligen Gefängnisdirektor Thomas Galli macht das | |
Handyverbot wenig Sinn. Der Jurist spricht von einem „ständigen | |
Katz-und-Maus-Spiel“ zwischen Gefängnisleitung und Inhaftierten um die | |
illegalen Handys. „Im Endeffekt kann man Mobiltelefone unter den Gefangenen | |
nie gänzlich verhindern“, so Galli, weswegen Inhaftierte beinahe jederzeit | |
Zugriff darauf hätten – zumindest gegen Bezahlung. Die wenigen Fälle, bei | |
denen Handys im Gefängnis tatsächlich missbräuchlich benutzt werden, könne | |
man durch ein Verbot ohnehin nicht verhindern. | |
## Auf drei Inhaftierte kommt eine Beschlagnahmung | |
Dies wird durch Zahlen der Berliner Justiz untermauert: Allein letztes Jahr | |
wurden im gesamten Bundesland 1.300 Handys beschlagnahmt – bei rund 4.000 | |
Inhaftierten eine enorme Zahl. „Durch das Handyverbot wird es allen | |
Häftlingen erschwert, den Kontakt zu ihrer Familie und Freunden | |
aufrechtzuerhalten“, sagt Galli. Weiterhin auf Handy- und Internetverbot zu | |
beharren gründe auch in der Angst der Justiz, die Deutungsmacht über das | |
Gefängnis zu verlieren, meint der ehemalige Gefängnisdirektor der JVA | |
Zeithain: „Es ist eindeutig nicht im Sinne der Justizverwaltung, wenn Infos | |
ungefiltert nach draußen dringen.“ | |
Dies führt der – laut eigener Aussage – „erste Knast-YouTuber weltweit�… | |
der JVA Berlin Tegel auch deutlich vor. Seine Hauptbotschaft | |
„Resozialisierung findet hier nicht statt“ dürfte der Justizverwaltung | |
alles andere als gefallen. | |
16 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/channel/UCRdvQkt8_Yc4pvoFZGhP6og | |
## AUTOREN | |
Christof Mackinger | |
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