| # taz.de -- Strafvollzug Berlin: 50 Jahre „Lichtblick“ | |
| > Deutschlands einzige unabhängige Gefangenenzeitung feiert Jubiläum. Warum | |
| > aber hat der grüne Justizsenator dem Blatt noch nie ein Interview | |
| > gegeben? | |
| Bild: Die Gefangenen-Zeitschrift Lichtblick wird in der JVA Tegel produziert | |
| Der Lichtblick hat Geburtstag. 50 Jahre gibt es Deutschlands einzige | |
| unabhängige Gefangenenzeitschrift nun. Das ist ein halbes Jahrhundert oder, | |
| nach Knastzeitrechnung, dreimal lebenslänglich plus 5 Jahre – gute Führung | |
| vorausgesetzt. In Berlin sitzen die meisten Gefangenen deutlich länger als | |
| 15 Jahre ein, wenn sie „LL“ haben. Nicht nur für sie ist der Lichtblick ein | |
| wichtiges Medium. | |
| In der JVA Tegel, wo das Heft von einer Gefangenenredaktion produziert | |
| wird, wird heute gefeiert. Am 25. Oktober 1968 erschien die Zeitung zum | |
| ersten Mal. Wilhelm Glaubrecht, damals erst seit Kurzem Anstaltsleiter von | |
| Tegel, hatte das genehmigt. „Letztendlich war der Lichtblick das Ergebnis | |
| der gesellschaftlichen Diskussionen von 1968,“ erzählt Ralph Günther Adam. | |
| Adam ist einer von Glaubrechts Nach-Nachfolgern in Tegel gewesen. Seit 2013 | |
| ist er selbst im Ruhestand. Für den Mut zolle er Glaubrecht nach wie vor | |
| großen Respekt, sagt Adam. „Ich bin mir nicht sicher, ob es heute noch | |
| möglich wäre, eine unzensierte Gefangenenzeitung ins Leben zu rufen.“ | |
| Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) wird bei der Veranstaltung in Tegel ein | |
| Grußwort sprechen. „Es ist Sinn und Zweck der Pressefreiheit, dass der | |
| Politik das Geschriebene nicht gefallen muss“, so Behrendt vorab zur taz. | |
| Große Erwartungen der Gefangenen hatten auf Behrendt geruht, als der Ende | |
| 2016 ins Amt kam. In seiner Zeit als grüner Abgeordneter hatte er die | |
| Zustände in den Knästen stets scharf kritisiert. In den zwei Jahren, die er | |
| jetzt Justizsenator ist, hat er sich der Lichtblick-Redaktion allerdings | |
| noch nicht blicken lassen. | |
| Zweimal habe man Behrendt zum Interview nach Tegel eingeladen, teilt die | |
| Redaktion mit. Es sei Tradition, dass Justizsenatoren dem Lichtblick „von | |
| Auge zu Auge“ Rede und Antwort stünden. Frühere Justizsenatoren wie Thomas | |
| Heilmann (CDU) und Gisela von der Aue (SPD) hätten das getan. Behrendt aber | |
| habe nur ein Interview per E-Mail angeboten. Der Lichtblick habe dankend | |
| abgelehnt. | |
| Sebastian Brux, Sprecher des Justizsenators, sagt, es habe nur eine | |
| Einladung gegeben. Eingegangen sei diese am 8. Februar 2017. Weil Behrendt | |
| da „noch nicht richtig in den Regierungsgeschäften“ gewesen sei, habe man | |
| dem Lichtblick abgesagt. Als ausgesprochen ärgerlich habe der Senator das | |
| Titelbild der darauf folgenden Lichtblick-Ausgabe empfunden, sagt Brux. | |
| Abgebildet ist eine Karikatur, die Behrendt sein soll. Die Figur, die ein | |
| Einhorn auf der Schulter hat, stimuliert sich die Brustwarzen. „Das ist | |
| eindeutig homophob“, sagt Brux. Dass das Cover der Grund ist, weshalb es | |
| noch zu keinem Treffen mit dem Lichtblick kam, wie die Redaktion vermutet, | |
| weist der Sprecher zurück. „Das war keine Absage für die Ewigkeit“. | |
| 376-mal ist der Lichtblick in den 50 Jahren herausgekommen. Heute erscheint | |
| die bundesweite Auflage von 5.000 Exemplaren etwa sechsmal im Jahr. Was | |
| jetzt ein Hochglanzmagazin ist, startete als auf Schreibmaschine getipptes | |
| Heftchen. 1968 das erste Mal erschienen, waren in Tegel 1.600 Männer | |
| eingesperrt. Die neunköpfige Redaktion saß im Zuchthaus ein. „Der | |
| Lichtblick wird oftmals harte Kritik üben, aber stets in sachlicher, fairer | |
| Form“, heißt es im Editorial. Die Zeitung sei völlig unabhängig und | |
| unterliege keiner Zensur. „Du [gemeint ist der Leser] wirst diese Zeilen | |
| jetzt mit großer Skepsis lesen“, aber: „Der Anstaltsleiter selbst hat diese | |
| Zeitung ins Leben gerufen. Er möchte nämlich genauso wie du auch durch uns | |
| informiert werden.“ | |
| Mit 800 Insassen ist Tegel heute halb so groß wie damals, inhaftiert sind | |
| dort vor allem die Schwierigen unter den Gefangenen. Sicherungsverwahrte, | |
| Langstrafer, Kurzstrafer und Drogenabhängige – Konzepte sind kaum noch | |
| erkennbar. Ersatzfreiheitsstrafer, die nur in Haft sitzen, weil sie eine | |
| Geldstrafe nicht bezahlt haben, teilen mit wegen Mordes Verurteilten die | |
| Station. Tegel sei zur reinen Verwahranstalt verkommen, kritisiert der | |
| Lichtblick. | |
| Den Finger in die Wunde legen, konstruktive Verbesserungsvorschläge machen, | |
| nach wie vor sei das das Selbstverständnis, sagt ein Redakteur zur taz. Die | |
| Enttäuschung über den Hoffnungsträger Behrendt zeigte sich in einer Ausgabe | |
| Anfang 2018. Diesmal ziert eine grüne Schlange das Titelbild. Lang und | |
| breit wird Behrendt mit seinen zu Oppositionszeiten formulierten | |
| Vorstellungen eines modernen Strafvollzugsgesetzes konfrontiert. Fazit: | |
| „Was hat sich geändert? Nichts!“ Einzig den Sicherheitsstandard in Tegel | |
| habe Behrendt verschärft. Anlass war der Ausbruch eines Gefangenen, der | |
| unter einem Essenslaster entkommen war. | |
| Fünf Gefangene bilden heute die Redaktion. Über einen redaktionseigenen | |
| Telefon- und Internetanschluss kann diese unbeschränkt mit „draußen“ | |
| kommunizieren. „Läuferausweise“ garantieren den Mitarbeitern im Knast | |
| Bewegungsfreiheit und Zugang zu fast allen Insassen. Die Anstaltsleitung | |
| bekommt die Zeitung erst zu Gesicht, wenn sie gedruckt ist. | |
| Dass der Lichtblick „unzensiert“ ist, heißt aber nicht, dass die Redaktion | |
| machen kann, was sie will. „Der Lichtblick darf kritisieren, aber er darf | |
| Leute nicht namentlich oder persönlich angreifen“, verweist der frühere | |
| Anstaltsleiter Adam auf die Statuten. Zu seinem Bedauern ist es in seiner | |
| Amtszeit einmal vorgekommen, dass diese Regel nicht eingehalten wurde. | |
| „Einen Artikel, bei dem die Grenzen überschritten waren, habe ich zum | |
| Schutz des Mitarbeiters, aber auch des Lichtblicks schwärzen lassen | |
| müssen.“ | |
| Adam hat 1978 als Sozialarbeiter in Tegel angefangen, die Anstalt kennt er | |
| aus jedem Blickwinkel. Adam hat sich stets für einen humanen Strafvollzug | |
| eingesetzt. Menschen wie er sind rar geworden. Seit er im Ruhestand ist, | |
| hat sich der inzwischen 70-Jährige zur JVA Tegel nicht mehr geäußert. Dass | |
| er beim Lichtblick eine Ausnahme macht, zeigt, wie sehr ihm das Blatt am | |
| Herzen liegt. Die Stärke der Zeitung sei, dass sie über Generationen hinweg | |
| für die Belange des Strafvollzugs eintrete, sagt Adam. „Nicht mit | |
| Hau-drauf-Methoden, wie es vielen Gefangenen besser gefallen würde, sondern | |
| mit großer Sachkunde.“ Die Zeitung sei wichtig für das Klima in der | |
| Anstalt, aber fast noch wichtiger für draußen: „Besonders in einer Zeit wie | |
| jetzt, wo sich kaum noch ein Mensch für Gefangene interessiert.“ | |
| 7 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
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