# taz.de -- Alex Jones in Sozialen Medien gesperrt: Richter über Wahrheit und … | |
> Der Fall eines US-Verschwörungstheoretikers zeigt das Dilemma von | |
> Internetkonzernen beim Umgang mit Falschinformationen. | |
Bild: Verbreitet Verschwörungsfantasien: Alex Jones auf einer Pro-Trump-Demons… | |
BERLIN taz | Alex Jones spinnt. Das ist ein Urteil, das man nicht | |
leichtfertig über jemanden fällen sollte – aber was sonst könnte man | |
schreiben über einen texanischen Radiomoderator, der seit Jahren mit | |
hochrotem Kopf Verschwörungstheorien in seine Mikrofone schreit: [1][Die | |
Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 seien fingiert | |
gewesen], der Amoklauf in der Sandy-Hook-Grundschule ebenfalls, Impfungen | |
verursachen Autismus, und am 4. Juli wollten die Demokraten eigentlich | |
einen Bürgerkrieg starten. | |
Alex Jones war zudem eine der treibenden Kräfte hinter der kruden | |
Pizzagate-Verschwörungstheorie. Laut der soll Hillary Clinton in einen Ring | |
verwickelt gewesen sein, der dokumentierten Kindesmissbrauch organisiert. | |
[2][Regelmäßig ereifert Jones sich auf seiner Plattform „Infowars“] | |
außerdem über Muslime, Migranten und Transgender-Personen. | |
Relevant ist das alles nur, weil Jones ein großes Publikum erreicht. Seit | |
1999 hat er sich ein Onlinemedien-Imperium aufgebaut – bestehend aus einer | |
Webseite und sechs Podcasts. 2,4 Millionen Abonnenten hatte er auf YouTube, | |
eine Gefolgschaft von 1,7 Millionen auf Facebook. Jones findet Gehör vor | |
allem im Trump-nahen Spektrum der Weltwahrnehmung. Während des Wahlkampfes | |
2016 war der spätere US-Präsident bei Jones zu Gast, lobte sein Medium und | |
outete sich als Hörer. Aktivisten fordern daher seit Langem schon die | |
Plattformkonzerne auf, sich von Jones zu distanzieren. | |
In dieser Woche haben nun führende US-Tech-Unternehmen beschlossen, Jones | |
von ihren Plattformen zu werfen. Apple, Facebook, YouTube, Spotify – ein | |
Unternehmen nach dem anderen kündigte Anfang der Woche an, Jones’ Inhalte | |
zumindest mehrheitlich von seinen Seiten zu schmeißen. | |
## Richter über Wahrheit und Lüge | |
Apple wagte sich am Sonntag als erstes Unternehmen vor und putzte fünf von | |
sechs Jones-Podcasts komplett von iTunes und seiner Podcast-App runter. | |
YouTube und Facebook folgten schnell darauf am Montag, ebenso wie Spotify, | |
Pinterest und die Podcast-App Stitcher. Und am Dienstag hoppelte auch noch | |
Youporn nach. | |
Nur einer der großen Player macht nicht mit: Twitter. Der Chef des | |
Kurznachrichtendienstes, Jack Dorsey, erklärte am Mittwoch zum Fall Jones: | |
„Er hat nicht gegen unsere Regeln verstoßen.“ [3][Es sei vielmehr die | |
Aufgabe von Journalisten], unbegründete Gerüchte und aufgebauschte | |
Nachrichten zu bekämpfen, nicht die einer Plattform. Sonst „werden wir ein | |
Dienst, der von unseren persönlichen Sichtweisen geleitet wird“, sagte | |
Dorsey. | |
Die Konkurrenz sieht das anders. Die Plattformen, die Jones gesperrt haben, | |
berufen sich mehrheitlich darauf, dass Jones’ „Hate Speech“ gegen die | |
Regeln ihrer Dienste verstoße. Nicht etwa, weil er kruden Unfug verbreitet. | |
Lügen. Enten. Gezielte Falschinformationen. So genannte Fake News. | |
Gerne und wiederholt beteuern die Tech-Konzerne zwar, man wolle | |
Falschinformation natürlich bekämpfen. Tatsächlich aber, in der praktischen | |
Ausführung, scheuen sie sich dann doch davor, Richter über Wahrheit und | |
Lüge zu sein. Und das, obwohl seit der US-Wahl 2016 immer wieder offenbar | |
wird, welch zentrale Rolle Facebook, YouTube und Konsorten bei der | |
Verbreitung von Unwahrheiten und bei der daraus folgenden | |
gesellschaftlichen Spaltung spielen. Es ist das ewige Dilemma: Natürlich | |
richten Lügen im Netz Schaden an. | |
## Mächtige Unternehmen | |
Aber: Ist es in demokratischen Gesellschaften wirklich eine gute Idee, die | |
Beurteilung von Wahrheitsgehalten großen Privatunternehmen zu überlassen? | |
Die Unternehmen haben jedenfalls ein Interesse daran, möglichst nicht | |
inhaltlich auf ihren Plattformen einzugreifen. Weil es aufwendig ist, | |
angreifbar – und weil es in ihrem werbefinanzierten Geschäftsmodell liegt, | |
möglichst viel Content auf den Seiten zu haben – um viel Werbung ausspielen | |
zu können. Anders sieht es aus, wenn der Gesetzgeber ihnen, wie in | |
Deutschland und Europa, zunehmend schärfere Regeln auferlegt. | |
Entscheiden sich Zeitungen oder Fernsehsender, jemandem Sendezeit und | |
Plätze auf ihren Seiten einzuräumen, gilt dies als redaktionelle | |
Entscheidung. Facebook, YouTube und ihresgleichen müssen längst als | |
Mediengiganten zählen. Sie sind mächtiger und reichweitenstärker als alle | |
klassischen Massenmedienkonsortien zusammen – und ihre Entscheidung, Jones | |
auf oder über ihre Plattformen auszuspielen, müsste entsprechend | |
eingeordnet werden. Und doch ringen die Firmen weiter darum, als neutrale | |
Intermediäre dazustehen. | |
Deshalb ist es kein Zufall, dass sie gern möglichst geheim halten, wie ihre | |
Moderationspraktiken eigentlich genau ablaufen. Oder was die Algorithmen | |
tun, die sie dabei unterstützen. Das Problem daran: Ist der Prozess, nach | |
dem ein solch mächtiges Unternehmen seine Entscheidungen fällt, geheim, | |
dann ist es für Außenstehende auch nicht oder nur schwer anfechtbar. Warum | |
war Jones’ Geschrei vergangene Woche für die Plattformen tragbar und nun | |
nicht mehr? | |
Im Fall von Alex Jones ist in den vergangenen Wochen so einiges | |
zusammengekommen. Der Prozess etwa, den die Eltern einiger Opfer des | |
Schulmassakers von Sandy Hook gegen ihn angestrebt haben. Oder aber der | |
Druck der Onlineaktivistengruppe „Sleeping Giants“, die die | |
Tech-Plattformen aufforderte, alle Verbindungen zu Jones zu kappen – weil | |
er gegen ihre Geschäftsbedingungen verstoße. | |
## Abrupte Kehrtwende | |
Facebook jedenfalls vollzieht mit seiner aktuellen Entscheidung eine | |
abrupte Kehrtwende – [4][hatte doch vor wenigen Wochen noch Mark Zuckerberg | |
selbst in einem Interview erklärt], dass Jones und Infowars nicht | |
sanktioniert würden. | |
Facebook versucht sich schon seit einiger Zeit an einer Doppelstrategie: | |
als unwahr gemeldete Inhalte, die auch bei einer Überprüfung durch Facebook | |
und Partner durchfallen, dürfen zwar auf den Seiten stehen bleiben, sollen | |
Freunden aber nicht mehr angezeigt werden. Bedeutet: gefährlichen Unsinn | |
veröffentlichen ist zulässig, empfohlen wird er aber nicht. Auch die | |
Äußerungen von Twitter-Chef Jack Dorsey zum Fall Alex Jones deuten in diese | |
Richtung. Eine Reaktion, die vielen, gerade in Europa, zu lasch ist. | |
Jones selbst wird aus den Sperrungen eine neue Verschwörungstheorie | |
stricken. Dass Twitter nun als einziges Netzwerk seinen Account weiter | |
laufen lässt, hat er sich umgehend zunutze gemacht: Nachdem er auf anderen | |
Plattformen gesperrt worden war, nutzte er Twitters Livestreaming-Dienst | |
Periscope, um Solidarität einzufordern. | |
8 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] /9/11-Doku/!5195244 | |
[2] /US-Aussenpolitik-unter-Donald-Trump/!5396346 | |
[3] https://twitter.com/jack/status/1026984249960755200 | |
[4] /Kommentar-Zuckerberg-zu-Shoa-Leugnern/!5522788 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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