# taz.de -- Multikulti-Stadt Osnabrück: Muslime in der Defensive | |
> Osnabrück versteht sich als „Friedensstadt“, man ist dort stolz auf den | |
> Dialog zwischen den Kulturen. Doch der fällt beiden Seiten nicht immer | |
> leicht. | |
Bild: Dunkle Wolken über der Multikulti-Vorzeigestadt: Islamophobe Tiefausläu… | |
Osnabrück taz | Es gibt Städte, die sagen dir schon auf ihren | |
Ortsschildern, was du von ihnen zu halten hast. Eine dieser Städte ist | |
Osnabrück. „Friedensstadt“ steht da selbstbewusst. Und das hat nicht nur | |
mit dem Westfälischen Frieden von 1648 zu tun, der hier verhandelt und | |
verkündet wurde als Ende des Dreißigjährigen Krieges. Das signalisiert | |
zugleich: In dieser Stadt ist die Meinungsvielfalt zu Hause, die | |
Multikulturalität. | |
In letzter Zeit bekommt dieses Selbstbild allerdings Risse. So verprügelten | |
vor zwei Wochen, am 7. Juli 2018 um 1.15 Uhr, Unbekannte einen 30-Jährigen, | |
der mit seiner Freundin in der Nähe eines Springbrunnens im Osnabrücker | |
Schlossgarten saß – ein Vorfall, der in nationalistischen Internetforen | |
schnell Karriere machte: Aus Tätern, die „Deutsch mit Akzent“ sprachen, | |
wurden Migranten, aus Migranten Muslime. Erst als das Opfer sich zu Wort | |
meldete und sagte, das mit dem Migrationshintergrund der Täter könne zwar | |
stimmen, aber auch die Passanten, die ihm zu Hilfe geeilt seien, hätten | |
möglicherweise einen gehabt, war ziemlich schnell Ruhe. | |
Ein anderer Zwischenfall, der in Osnabrück zum Stadtgespräch wurde, | |
ereignete sich an einem Samstagnachmittag im April dieses Jahres an der | |
Tannenburgstraße, in der Nähe des Fußballstadions „Bremer Brücke“. Ein | |
44-jähriger Hooligan, wütend über die Niederlage des VfL Osnabrück gegen | |
den FC Carl Zeiss Jena, riss an einer Bushaltestelle einem 11-jährigen | |
türkischen Mädchen das Kopftuch herunter. Der Mann bestieg mit seinen | |
Freunden den Bus und fuhr davon. Das Mädchen, dem bei dem Übergriff Haare | |
ausgerissen wurden, lief weinend nach Hause. | |
Die Tat, deren Fremdenfeindlichkeit der Zentralrat der Muslime in | |
Deutschland (ZMD) als „Alltagsrassismus“ bezeichnete, war ein Schock für | |
die Stadt, die so stolz ist auf ihre Willkommenskultur und auf ihre | |
Weltoffenheit, auf ihre „Internationalen Wochen gegen Rassismus“, ihr „Fe… | |
der Kulturen“, ihr „Büro für Friedenskultur“, ihr „Morgenland-Festiva… | |
ihre Flüchtlingsinitiative „Exil“ und das Institut für Islamische Theolog… | |
ihrer Universität. Auf ihr eingespieltes Gutmenschen-Netzwerk, in dem jeder | |
jeden kennt, seit Jahren, oft seit Jahrzehnten, in dem die Dienstwege klein | |
sind und die Effizienz groß. | |
Eine, die in diesem Netzwerk eine wichtige Rolle spielt, ist Sabina Ide, | |
seit 2011 Dialogbeauftragte der Polizeidirektion Osnabrück. Ide kennt den | |
Fall mit dem angegriffenen Mädchen gut. Und sie weiß, dass er sich | |
wiederholen kann. Sicher, der Täter ist identifiziert. Die örtliche | |
„Koordinierungs- und Beratungsstelle gegen Radikalisierung, Islam- und | |
Demokratiefeindlichkeit“, zu deren Initiatoren Ide gehört, leistete | |
Opferhilfe. Und auf einer Kundgebung, mitten in der Innenstadt, mit | |
Infostand und Menschenkette, mitorganisiert vom städtischen „Runden Tisch | |
der Religionen“, themenerweitert zu „Osnabrück gegen Islamfeindlichkeit und | |
Antisemitismus!“, trat Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) | |
ans Rednerpult. | |
Aber je inflationärer Populisten Worte wie Radikalisierung und Islamismus | |
in die Debatte werfen, desto stärker wird das Gefühl von Bedrohung bei der | |
nicht-muslimischen Mehrheit. Und je mehr Angst, desto mehr Gewalt. | |
So war es für die Muslime in Osnabrück auch keine gute Nachricht, als Uwe | |
Kolmey, Präsident des Landeskriminalamts Niedersachsen, die Stadt im | |
November vergangenen Jahres als einen „Brennpunkt des Salafismus“ | |
bezeichnete. | |
Zwar ruderten die offiziellen Stellen später zurück – Osnabrück, sagte etwa | |
Hans Retter, Pressesprecher des LKA, stehe bei einer | |
„gesamt-niedersächsischen Betrachtung nicht an erster Stelle“ und habe im | |
Vergleich zu den anderen Salafisten-Hotspots des Landes wie Hildesheim oder | |
Wolfsburg „eine quantitativ und qualitativ geringere Bedeutung“ –, doch | |
bleibt so etwas wie ein Stempel zurück, der schwer loszuwerden ist. | |
„Personen aus dem islamistischen Spektrum haben ihre Aktivitäten an einem | |
einzelnen Objekt in Osnabrück so zentriert, dass im konkreten Einzelfall | |
von einem Brennpunkt gesprochen werden kann“, teilt die Polizeidirektion | |
Osnabrück mit. Um welches Objekt es sich handelt, sagt sie nicht. Immerhin | |
verrät Nadine Kluge-Gornig vom örtlichen Pressebüro der Polizeidirektion, | |
die Zahl der „eingestuften Personen“ beziffere sich „im einstelligen | |
Bereich“. Die Zahl der ausgereisten, mehrheitlich zurückgekehrten | |
Islamisten ebenfalls. | |
Obwohl es sich bei den Salafisten also um einen überschaubaren | |
Personenkreis handelt, tragen solche Meldungen dazu bei, dass die | |
muslimische Community in die Defensive gerät. Die Zeiten sind nicht gut für | |
Muslime, der Ton wird schrill, mitunter auch von muslimischer Seite. Wie | |
die Multikulti-Vorzeigestadt Osnabrück und die in ihr lebenden Muslime | |
damit umgehen, versuchen wir auf den folgenden Seiten zu zeigen. | |
21 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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