| # taz.de -- Prävention gegen Radikalisierung: Mit dem Koran gegen heilige Krie… | |
| > Der IS ist nicht mehr, doch die Radikalisierung bleibt. Können islamische | |
| > Institutionen junge Muslime vom Dschihad abhalten? | |
| Bild: Einladung zum Frieden – oder zum Krieg? Al-Taqwa-Moschee in Hamburg-Har… | |
| Bremen taz | Niemand will Terror. Niemandem kann es egal sein, wenn Leute | |
| an Bahnhöfen möglichst viele Menschen in die Luft sprengen wollen oder mit | |
| LKWs in Weihnachtsmärkte fahren. Der Staat antwortet darauf derzeit am | |
| lautesten mit der Ausweitung der Repression: Überwachung ausbauen, | |
| „Gefährdern“ Fußfesseln anlegen, sie ausweisen, womöglich abschieben. | |
| Kritiker argumentieren, dass so Bürgerrechte ausgehöhlt werden. Doch was | |
| soll man gegen die Bedrohung durch DschihadistInnen tun? Was sind wirksame | |
| Strategien der Prävention, und wer sollte beteiligt werden? | |
| 104,5 Millionen Euro stellte im vergangenen Jahr das | |
| Bundesfamilienministerium allein für das Programm „Demokratie Leben“ zur | |
| Verfügung, mit dem auch die Radikalisierungsprävention gefördert wird. Doch | |
| bei der Frage, ob das Geld aus diesen und anderen Töpfen auch an die | |
| Moscheegemeinden gehen soll, gehen die Meinungen in letzter Zeit | |
| auseinander. Sowohl Forderungen, sie mehr in die Präventionsarbeit | |
| einzubinden, wurden lauter – als auch die Kritik daran. | |
| Muslimischen Verbänden schlägt eine große Skepsis entgegen – nicht nur aus | |
| dem rechten Lager. Verbände wie Ditib haben Verbindungen zur | |
| nationalistisch-islamistischen türkischen Regierung, und die Schura als | |
| muslimischer Dachverband hat auch antisemitische und erzkonservative | |
| Mitglieder. | |
| Mitglieder der Hamburer Grünen haben schon öfter Diskussionen darüber | |
| begonnen, ob es nicht ein Fehler sei, Geld an das Islamische Zentrum in | |
| Hamburg zu geben, das enge Verbindungen zum Iranischen Regime unterhält und | |
| Mitgliedern der Terrormiliz Hisbollah nahe steht. Im August 2017 stellte | |
| der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck zu diesem Thema eine | |
| Kleine Anfrage im Bundestag. | |
| Aus der Antwort der Bundesregierung ging hervor, dass aus dem | |
| Bundesprogramm „Demokratie leben!“ auch 18.225 Euro an den Dachverband | |
| „Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland“ | |
| weitergeleitet werden sollten, der mit dem Islamischen Zentrum verbunden | |
| ist. Ziel den Projektes: ein bundesweites Präventionsnetzwerk gegen | |
| religiös begründeten Extremismus. | |
| Die irankritische und israelsolidarische Initiative „Stop the bomb“ lehnt | |
| eine solche Zusammenarbeit klar ab: „Das Ziel des Familienministeriums, | |
| Vielfalt und Demokratie zu fördern, wird durch eine Finanzierung dieser | |
| Verbände ins Gegenteil verkehrt“, heißt es dazu in einer Erklärung. Diese | |
| Kooperationen gefährdeten die Demokratie, indem sie für die „autoritäre, | |
| islamistische, frauenverachtende, homophobe und antisemitische Ideologie | |
| des iranischen Regimes“ Akzeptanz schafften. | |
| Auch andernorts sind Akteure der Präventionsprogramme in die Kritik | |
| geraten: Im Januar etwa schaffte es der Fall eines Mitarbeiters einer | |
| Hildesheimer Beratungsstelle gegen islamische Radikalisierung bis in den | |
| niedersächsischen Landtag, weil ihm antisemitische Äußerungen vorgeworfen | |
| wurden. | |
| Die Frage ist, wie stark die Präventionsarbeit gegen Dschihadismus | |
| politisch bewertet werden sollte. Oder ob es, in strategischer Abwägung, | |
| nicht schlicht um die Wirksamkeit hinsichtlich einer Terrorabwehr geht. | |
| ## Hotspot der salafistischen Szene | |
| Auch in Bremen, einem Hotspot der SalafistInnenszene, fließt Geld vom | |
| Bundesfamilienministerium in die Islamismusprävention. Aktuell zählt der | |
| Verfassungsschutz hier rund 490 SalafistInnen, etwa 20 Prozent werden als | |
| gewaltorientiert eingeschätzt. Mindestens 26 Personen sind von hier aus | |
| ausgereist, um sich der Terrormiliz IS anzuschließen. | |
| Gefördert werden in Bremen unter anderem die Beratungsstelle Kitab und das | |
| Projekt „Pro Islam – gegen Radikalisierung und Extremismus – Al-Etidal“, | |
| das von der Schura getragen wird. Al-Etidal, als einziges Projekt unter | |
| Trägerschaft eines muslimischen Verbandes, steht dabei politisch besonders | |
| unter Druck. Einzelne Mitglieder der Schura werden auch in Bremen vom | |
| Verfassungsschutz beobachtet. Vor einem Jahr warf ein Blog aus der | |
| antideutschen Szene einem der Mitarbeiter von Al-Etidal eine Nähe zur | |
| radikal-islamistischen Muslimbrüderschaft vor. | |
| Mittlerweile arbeite der Mann nicht mehr für das Projekt, erklärte Ridvan | |
| Dindar, der für Al-Etidal die Pressearbeit macht. „Als muslimisches Projekt | |
| müssen wir immer doppelte Vertrauensarbeit leisten“, sagt er. „Das belastet | |
| die Arbeit.“ | |
| Aber lässt sich die Wirksamkeit dieser Projekte bemessen? Sowohl die | |
| Beratungsstelle Kitab als auch Al-Etidal erhalten jeweils 130.000 Euro vom | |
| Bund und 32.500 Euro vom Land Bremen. Kitab hat im Jahr 2016 42 | |
| Beratungsanfragen bearbeitet, 2017 waren es 32. Dazu kamen Vorträge und | |
| Fortbildungen, etwa an Schulen. Die beiden MitarbeiterInnen sind | |
| überlastet, es gibt zu viele Anfragen. | |
| Al-Etidal hat einen anderen Ansatz. Im Stadtteil Gröpelingen solle | |
| „sozialraumbezogen“ gegen Radikalisierung gearbeitet werden, erklärt | |
| Dindar. In Gröpelingen leben viele MigrantInnen, viele arme und | |
| bildungsferne Familien. Bis zu seinem Verbot 2014 wurden hier in der | |
| Moschee des „Kultur- und Familienverein“ einige Menschen für den Kampf der | |
| Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Syrien angeworben. | |
| „Der Verein ist verboten, die Menschen sind aber noch da“, sagt Dindar. | |
| Al-Etidal arbeite an der lokalen Vernetzung: Der Integrationsbeauftragte | |
| der Polizei ist Mitglied des Dialoggremiums, es würden Gesprächsrunden im | |
| Stadtteil zum Thema Radikalisierung organisiert, ein Forum für | |
| Jugendarbeiter der Moscheegemeinden geboten, Aufklärungsarbeit gemacht. | |
| 2017 fanden drei Vortragsabende statt. | |
| Einer, der in muslimischen Institutionen wie Al-Etidal einen wichtigen | |
| Partner bei der Deradikalisierung sieht, ist Samy Charchira. Der | |
| Sozialpädagoge ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für | |
| Islamische Theologie an der Universität Osnabrück und stellvertretender | |
| Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter | |
| Extremismus. | |
| Anfang März veröffentlichte die Bundeszentrale für politische Bildung einen | |
| Essay, in dem Charchira seine Position ausführte: Muslimische | |
| Institutionen, Moscheegemeinden und Islamtheologen seien lange Zeit nur | |
| zögerlich an Präventions- und Deradikalisierungsprogrammen beteiligt | |
| worden, weil die Annahme vorherrschte, dass ein enger Zusammenhang zwischen | |
| zunehmender Religiosität und beschleunigten Radikalisierungsprozessen | |
| bestünde. „Eine Annahme, die sich angesichts des aktuellen | |
| Forschungsstandes kaum halten lässt“, schreibt Charchira und verweist dabei | |
| auf Befunde, die bei Dschihadisten ein mangelndes Islamverständnis | |
| feststellten. | |
| ## Widerspruch zur Glaubenspraxis | |
| Für muslimische Institutionen stehe eine islamistische Radikalisierung | |
| hingegen im Widerspruch zu ihrer eigenen Glaubenspraxis, so Charchira. Sie | |
| hätten ein Eigeninteresse daran, sich gegen eine Radikalisierung im Namen | |
| des Islam zu stellen – und Potenzial: Moscheegemeinden verfügten über | |
| wichtige Zugänge zu den als gefährdet geltenden Jugendlichen und ihren | |
| Familien und würden mehr als 150.000 Menschen pro Woche erreichen. | |
| Programme ohne muslimische Träger könnten hingegen bei Jugendlichen den | |
| Eindruck erwecken, sie seien „staatlich verordnet“. | |
| Der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, Leiter des Bereichs Islamische | |
| Theologie an der PH Freiburg, ist da deutlich zurückhaltender. „Ich bin | |
| sehr skeptisch bei der Geldverteilung unter den Gemeinden“, sagt er, | |
| „gerade weil sich in Deutschland ein konservativer Islam etabliert hat. | |
| Keiner weiß, was mit dem Geld gemacht wird.“ Ourghi hält Aufklärungsarbeit | |
| innerhalb der Moscheen für nötig und einen Dialog mit den hiesigen Imamen. | |
| „Wir brauchen eine gute Imam-Ausbildung in Deutschland“, sagt er. | |
| Ourghi, der in Freiburg islamische Religionslehrer ausbildet, sieht in | |
| einem liberalen Religionsunterricht in den Schulen einen weiteren Baustein | |
| im Kampf gegen eine Radikalisierung. „Dieser kann über Gewaltstellen im | |
| Koran aufklären, über Körperstrafen und den politischen Islam und kann dazu | |
| beitragen, dass Kinder ihr Verhältnis zur Religion reflektieren“, sagte | |
| Ourghi. Das mache sie in den Moscheen weniger anfällig, wenn ihnen dort | |
| einer Ideologie der Unterwerfung begegne. | |
| 15 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
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