# taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Gebt mir einen Datenspendeausweis! | |
> Angehörige dürfen die Chats von Verstorbenen einsehen. Mir ist nicht wohl | |
> bei dem Gedanken. Nicht wegen der Toten. Sondern wegen der Lebenden. | |
Bild: Wem gehört das digitale Ich, wenn das nichtdigitale nicht mehr da ist? | |
Wenn ich über Messenger kommuniziere, lasse ich gewisse Themen und | |
Reizwörter lieber weg. Der nächste Datenskandal kommt bestimmt und es soll | |
ja alles schön legal bleiben (tut es natürlich eh, IST KLAR, NE?). Was ich | |
nicht weglasse: Lästereien und Beschwerden über Kolleginnen, Bekannte, | |
Familie sowie Deep Talk über Beziehungs- und sonstige Probleme. | |
Soft-kompromittierendes Material quasi. | |
Ich sollte damit lieber vorsichtiger sein, denn der Bundesgerichtshof hat | |
vergangene Woche [1][entschieden], dass Angehörige ein Recht auf die | |
Zugangsdaten von verstorbenen Facebook-Nutzerinnen haben. Bisher wurden | |
solche Accounts, sofern Facebook vom Tod wusste, entweder gelöscht (das | |
kann man in den Einstellungen so regeln) oder quasi eingefroren. | |
„Gedenkzustand“ heißt das, ein vorher festgelegter „Nachlasskontakt“ h… | |
dann einen [2][sehr eingeschränkten Zugriff], kann etwa neue | |
Freundschaftsanfragen pietätvoll beantworten, aber eben keine | |
Nachrichtenverläufe einsehen. Facebook verkauft das als Schutz der | |
Privatsphäre, sein Interesse ist klar: Wenn die Nutzerinnen sich nicht | |
sicher sein können, dass ihre Chats privat bleiben, gehen sie vielleicht | |
lieber woandershin. | |
Mir ist nicht wohl mit dem BGH-Urteil. Weniger wegen der Toten, die sind ja | |
tot. Aber wegen der Lebenden. Denn es ist ja gut möglich, dass die | |
Chatpartnerinnen auch mit den Angehörigen bekannt sind, aber nicht | |
unbedingt auf eine gute Art. Und dass diese Angehörigen sich auf die Suche | |
nach Fremdgehgeständnissen, Drogengeschichten oder anderen kleinen | |
Schweinereien machen, halte ich für eine konkretere Bedrohung, als dass der | |
Staat oder Firmen bei uns „mitlesen“. Wenig motiviert so stark wie private | |
Verwerfungen. | |
Klar: Wenn, wie im vor dem BGH konkret verhandelten Fall, eine Person unter | |
ungeklärten Umständen ums Leben kommt, Suizid dabei nicht ausgeschlossen | |
ist und die Facebook-Chatprotokolle bei der Klärung dieser Frage | |
weiterhelfen können – ja, dann sollte es bitte eine Möglichkeit geben, | |
diese auch einzusehen. Aber warum nicht von einer neutralen Instanz, die | |
dabei nicht en passant Privates über gemeinsame Bekannte erfährt? | |
In Artikeln zum Urteil wurden die Chats gern mit Briefen verglichen, die ja | |
auch nach dem Tod gelesen werden können. Das stimmt – und auch nicht. | |
Digitale Kommunikation ist nicht einfach die Fortführung der alten | |
Schriftkorrespondenz mit anderen Mitteln. Chats ersetzen auch Telefonate | |
und Gespräche, also Verbalkommunikation, oder sie schaffen völlig neue | |
Zusammenhänge. | |
Sie werden als flüchtig und, ja, als privat wahrgenommen und es wäre | |
wesentlich entspannter, wenn das auch so bliebe. Testamentarisch löschen | |
lassen will ich meine digitalen Ichs nämlich eigentlich nicht, und einer | |
Instanz würde geradezu gern Zugriff gewähren: Linguistinnen, Soziologinnen | |
und Historikerinnen, die in 100 Jahren das Leben, Reden und Wirken unserer | |
frühdigitalen Gesellschaft erforschen. | |
Ich vermache mein Inneres der Wissenschaft. Gebt mir einen | |
Datenspendeausweis! | |
18 Jul 2018 | |
## LINKS | |
[1] /BGH-Urteil-zum-digitalen-Erbe/!5521897 | |
[2] https://www.facebook.com/help/1568013990080948?helpref=faq_content | |
## AUTOREN | |
Michael Brake | |
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