# taz.de -- Debatte Verrohung der Sprache: Seehofer fördert die Dämonkratie | |
> Seehofer setzt jene Menschen herab, die im Sommer 2015 Mitmenschlichkeit | |
> gezeigt haben. Warum nehmen viele das hin? | |
Bild: Seehofer entwürdigt die Hilfsbereitschaft. Es ist Zeit dagegenzuhalten | |
Da, diese Sprache, die wir sprechen – für alles hat sie ein Wort. Hat sie | |
keins, darf, wer eines braucht, es erfinden. Viele Sprachen umschreiben, | |
das Deutsche trifft. Es trifft beim Wort Menschlichkeit – denn der | |
Menschlichkeit ist die Mitmenschlichkeit zur Seite gestellt. Für das Wort | |
gibt es kein Äquivalent in anderen geläufigen westlichen Sprachen. | |
Mitmenschlichkeit, das ist, als gingen zwei Menschen nebeneinander, als | |
nähme das Ich ein Du an die Hand. | |
Allerdings ist das nicht alles: Auf der Schattenseite der Menschlichkeit | |
lauert die Unmenschlichkeit. Neuerdings nagt sie wie ein Biber am | |
Sprachgerüst. Denn dies ist eine Geschichte des Verlusts, die Worte sollen | |
umgedeutet und um ihre Resonanz gebracht werden, sie sollen nicht mehr | |
schwingen. Jetzt gilt: Ein Opfer, wer Mitmenschlichkeit gut findet. | |
Ein Held, wer sich traut, sich auf die Seite der Unmenschlichkeit zu | |
stellen. Das ist der Grundton, seit der AfD das Sprachfeld überlassen wird. | |
Und es ist das Echo der CSU und von Seehofer darauf. Ihn lassen die anderen | |
PolitikerInnen seit Wochen seine infamen Phrasen aus dem Mund schießen, | |
ohne gegen den Egomanen anzubrüllen, ohne lauter zu sein, ohne sein Getöse | |
mit Weltzugewandtheit zu übertönen. | |
Gerade wieder hat [1][Seehofer sich zu Wort gemeldet]. Auf einer | |
Pressekonferenz am Dienstag, auf der er seinen „Masterplan zur Migration“ | |
vorstellte, über Wochen durfte niemand vorher das Papier sehen. Dort sagte | |
er, und es klang beiläufig: „Ich nehme jetzt mal Afghanistan. Ausgerechnet | |
an meinem 69. Geburtstag sind 69, das war von mir nicht so bestellt, | |
Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, | |
was bisher üblich war.“ Einer der Abgeschobenen hat sich [2][in Kabul am | |
Dienstag das Leben genommen]. Das Statement Seehofers müsste eigentlich für | |
seine Entlassung reichen. Oder für die Einweisung in die geschlossene | |
Anstalt. Heilt ihn von seiner Hybris. | |
## Viel Körper, viel Alkohol, viel Sex | |
Mit Hybris – und dieses Mal ist es ein altgriechisches Wort – wird genau | |
jener Zustand benannt, an dem Seehofer krankt. Es „bezeichnet“, so steht es | |
auf Wikipedia, „eine extreme Form der Selbstüberschätzung oder auch des | |
Hochmuts. Man verbindet mit Hybris häufig den Realitätsverlust einer Person | |
und die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, Leistungen und Kompetenzen.“ | |
Vor allem Personen in Machtpositionen seien betroffen. Und Karl Popper, | |
österreichisch-britischer Philosoph, sagte es so: „Die Hybris, die uns | |
versuchen lässt, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, verführt uns | |
dazu, unsere gute Erde in eine Hölle zu verwandeln.“ | |
Wenn das stimmt, dann müsste doch eingegriffen werden. Aber nichts da. Der | |
sozialpsychiatrische Dienst übernimmt nicht und steckt Seehofer – trotz | |
Selbst- und Fremdgefährdung – nicht in die Anstalt. Und seine | |
KopolitikerInnen der Koalition sind wie weggetreten, als steckten | |
Kopfhörer in ihren Ohren, als lauschten sie den Sommerhits des vergangenen | |
Jahres. | |
Die heißen „Ok“ oder „Tuesday“, „Got a little drunk“ oder „Despa… | |
immer langsam. Viel Körper, viel Alkohol, viel Sex. Die Schlager, die zum | |
Sommerhit 2018 avancieren könnten, möchten sie lieber nicht hören: „Pray | |
for me“, „End game“, „Get out“, „Hurricanes“ und „Flames“ sin… | |
den Titel. Zufall? Vielleicht. | |
## Möchtegerns deuten die Sprache um | |
Das verstehe, wer will, dass sich gestandene, der Demokratie verbundene | |
PolitikerInnen so in die Enge treiben lassen von ein paar Möchtegerns wie | |
Seehofer und den AfDlerInnen. Dass sie zulassen, dass die Sprache | |
umgedeutet wird, dass die großartige Leistung der Deutschen im Jahr 2015, | |
als sie Mitmenschlichkeit zeigten und es auch meinten, jetzt mit Füßen | |
getreten wird. | |
Dass Leute, die bereit waren, Solidarität zu leben, und Barmherzigkeit, | |
Empathie, Großzügigkeit, Anstand, Menschenfreundlichkeit, Nächstenliebe, | |
Edelmut, Hingabe, Wohlwollen, Toleranz – all diese Bedeutungen hat | |
Mitmenschlichkeit –, sich jetzt womöglich für ihre Bereitschaft, dies zu | |
tun, noch entschuldigen? | |
Wie konnten die Feuerwehrleute, die SchülerInnen und LehrerInnen, die | |
Hausfrauen, Pfarrer, Dolmetscherinnen und BäuerInnen, die Verkäuferinnen, | |
StudentInnen und Handwerker nur so blöd sein, sich von der Not der | |
Flüchtenden anrühren zu lassen? | |
Ist es tatsächlich schon so, dass vergessen wurde, dass Deutsche schon | |
einmal die Sprache umdeuteten und Mitmenschlichkeit diffamierten? Für die | |
„Herrenmenschen“ war es „Humanitätsduselei“, wie einer der in Nürnberg | |
hingerichteten Kriegsverbrecher zu sagen pflegte. | |
Victor Klemperer, Romanist und Politiker, zum Protestantismus konvertierter | |
Jude, unter den Nazis ausgegrenzt, hat in seinem Buch „LTI“ die Sprache in | |
der Zeit des Nationalsozialismus analysiert. Er fand heraus, dass die | |
Menschen vor allem durch die Wiederholung der immergleichen, mit | |
nationalsozialistischen Vorstellungen neu besetzten Begriffe, beeinflusst | |
wurde. Die AfD, Seehofer und die Rechten in der CSU wissen darum. | |
„Asyltourismus“, „Anti-Abschiebe-Industrie“ und „Einwanderung in die | |
Sozialsysteme“ sind nur drei Beispiele der gegenwärtigen Neuauflage der | |
Beeinflussung der Sprache von rechts. | |
## Stattdessen: Schweigen | |
Würden sich Merkel und andere der Demokratie verbundene PolitikerInnen | |
endlich hinstellen und immer wieder betonen, wie grandios das war, was die | |
Deutschen seit 2015, vor allem auch die in Bayern, in der Lage waren zu | |
stemmen, dass sie über sich hinaus gewachsen sind, dass sie das schöne Land | |
und die Seele seiner BewohnerInnen gezeigt haben, das Blatt könnte sich | |
wenden. | |
Stattdessen Schweigen. Stattdessen darf Seehofer, dieser Trump-Imitator – | |
er ist angezogen von dessen Dämonkratie –, die Hilfsbereitschaft | |
entwürdigen, ohne sich auch nur eine Sekunde darum zu scheren, dass, wer | |
Mitmenschlichkeit diffamiert, auch Menschlichkeit diffamiert – und sich im | |
Zuge dessen das Menschsein selbst abspricht. Die deutsche Sprache, die, die | |
Seehofer kennt, macht das deutlich. | |
Überraschend meldete sich inzwischen immerhin Christian Lindner von der FDP | |
zu Wort. Ihm, der gar nicht so viel gegen die Abschottungspläne von | |
Seehofer hat, ist das mit der Sprache aufgefallen. Er sagt, mit der von | |
CSU-Personal benutzten Sprache könne die Demokratie verrohen, und das wolle | |
er nicht. Was er offenbar nicht sieht: Genau so soll es sein. | |
Aber kein Einhalt weit und breit. Vielmehr verkündet Seehofer nun seinen | |
„Masterplan“, unterteilt in 63 Thesen und Forderungen. Das soll der große | |
Wurf sein, soll Luther sein, die Gesellschaft aufrütteln, Masterplan klingt | |
nach Manifest, das Kommunistische oder das der Dadaisten meint er nicht, | |
wohl aber imitiert er die Geste, greift nach dem historisch Bleibenden. | |
## „Ausgerechnet der Mensch ist unmenschlich.“ | |
Der erste Satz des Papiers: „Die Herausforderungen weltweiter Migration | |
erfordern ein System der Ordnung.“ Fünf Sätze weiter: „Ordnung braucht | |
klare Vorgaben.“ Kurz darauf: „Die vor uns liegenden Aufgaben … erfordern | |
Maßnahmen in den Herkunftsländern. Maßnahmen in den Transitländern. | |
Maßnahmen auf Ebene der Europäischen Union und Maßnahmen in Deutschland. | |
Diese vier Handlungsfelder bilden den Rahmen dieses Masterplans.“ Denn | |
Migration ist, so steht da, eine „nationale Bedrohung“. | |
Die Maßnahmen, die Seehofer weltweit getätigt sehen will, sind, das zeigt | |
das Papier, in der Zuständigkeit der Deutschen. Was es verschweigt: dass | |
der Anspruch, Maßnahmen – also politische Eingriffe – in anderen Ländern … | |
tätigen, eine Anmaßung ist, Herrenmenschentum ist. Pro Asyl hat das Papier | |
analysiert und benennt ganz klar, worum es geht: um eine | |
Internationalisierung deutscher Polizeipräsenz in Form eines | |
„Verbindungsbeamtennetzwerks in die Herkunftsländer“. | |
Die Wörter sollte man sich merken. Jeder vernünftig tickende Demokrat aber | |
sollte sich hinsetzen und ein Gegenmanifest verfassen. In dem muss erklärt | |
sein, dass Flucht nicht das Verbrechen ist, sondern dass den Fluchtursachen | |
oft Unrecht zugrunde liegt. Und das muss man bekämpfen. | |
„Ausgerechnet der Mensch ist unmenschlich.“ Thomas Bernhard, der | |
österreichische Schriftsteller, der von Nazi-Erziehungsinstituten | |
Traumatisierte, sagte das. | |
13 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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