# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Die Zeit der Moralparteien ist vorbei | |
> Jeder Nationalismus ist rechts. Planen Sahra Wagenknecht und Oskar | |
> Lafontaine eine linke oder eine rechte Sammlungsbewegung? | |
Bild: Links oder rechts? | |
Wenn man in diesen Tagen an den üblichen Berliner Orten mit Politikern über | |
den Epochenbruch der Welt spricht, in deren Mitte wir bereits sind, dann | |
wissen die Klugen, dass er logischerweise auch das Parteiensystem | |
beinhaltet. Die Zeit der Volks- und der Moralparteien, wie wir sie kannten, | |
ist vorbei. Aber es ist wie oft, man spricht indirekt, als sprächen wir | |
über eine Fernsehserie oder einen entfernten Planeten des Irrsinns. Dessen | |
Name Bayern ist. | |
Während die CSU zuletzt die Empörungsgefühle in Sachen Nationalismus | |
monopolisiert hatte, bin ich strengstens kritisiert worden, weil ich über | |
die „rechte Sammlungsbewegung“ von Sahra Wagenknecht schrieb. | |
Ob ich mich da nicht vertan hätte? Ich fürchte: Nein. „Gerechtigkeit“ soll | |
über einen nationalen Rahmen hergestellt werden, der vor Globalisierung | |
schützt und auch vor Menschen, die mit einem in Konkurrenz um | |
Arbeitsplätze, Sozialleistungen und Wohnungen treten könnten. Jeder | |
Nationalismus ist rechts. | |
Man kann auch diese Position haben und durchargumentieren – im Namen einer | |
besseren und gerechteren Gesellschaft. Ich halte sie aber für falsch, und | |
mein Hauptargument ist die furchtbare Vergangenheit Europas. Nationalismus | |
ist fatal. Egal, ob das Gauland propagiert, Dobrindt oder Wagenknecht. | |
## Union genauso zerrissen wie die SPD | |
Das Denken in alten politischen Lagern und Kategorien hilft nicht mehr | |
weiter, wenn es in nahezu allen Parteien offene Europäer gibt und andere, | |
die der Meinung sind, dass Gerechtigkeit national definiert werden müsse. | |
Und solche, die Erderhitzung für einen liberalen Schnickschnack halten. | |
Die Union ist offensichtlich keine proeuropäische Union mehr, sondern in | |
dieser entscheidenden Frage genauso zerrissen wie die SPD. Die FDP steht | |
vermutlich auch vor einem großen Konflikt. Durch die „Sammlungsbewegung“ | |
wird die Spaltung der Linkspartei faktisch vollzogen werden – das muss man | |
verstehen. Denn wer soll da gesammelt werden? Euroskeptiker, die die EU für | |
„neoliberal“ halten, und Putin womöglich für einen herzensguten Onkel. | |
Wir dürfen davon ausgehen, dass Oskar Lafontaine – der Ehemann von | |
Wagenknecht – sehr genau analysiert hat, wie sein guter Bekannter Jean-Luc | |
Mélenchon die Sozialisten (faktisch: Sozialdemokraten) bei der letzten | |
Präsidentschaftswahl in Frankreich zersplittert hat. | |
Eine Grundlage war, dass er nicht nur für die „Parti de Gauche“ antrat, | |
sondern für eine „linke Sammlungsbewegung“. Knapp 20 Prozent wählten seine | |
Politik des Nationalismus, kaum weniger als Marine Le Pen. Das zeigt das | |
Potenzial dieser Zangenbewegung. Auf der anderen Seite steht Emmanuel | |
Macron, der Präsident ist, weil er – auch mit einer „Bewegung“ – die | |
liberalen Pro-Europäer zusammenbrachte. | |
## Angriffe von allen Seiten | |
Auf der Strecke blieben die Sozialdemokraten, die auseinanderbrechen, weil | |
ihr alter Kern die beiden neuen konkurrierenden Gesellschaftsmodelle nicht | |
mehr vereinen kann. | |
Genauso kann es auch in Deutschland kommen. Auf der einen Seite greifen AfD | |
und demnächst Wagenknecht/Lafontaine an. Letztere wollen damit auch die | |
offene, internationalistische Kipping-Linkspartei marginalisieren. Auf der | |
anderen Seite hat es bisher nur Winfried Kretschmann geschafft, den | |
proeuropäischen Wählern von SPD und Union im wahrsten Sinne des Wortes eine | |
neue Heimat zu bieten. | |
Der baden-württembergische Ministerpräsident wirkt derzeit bundespolitisch | |
etwas schlapp, aber die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert | |
Habeck haben jedem, der lesen oder zuhören kann, zu verstehen gegeben, dass | |
sie die verstreuten proeuropäischen Bürger einsammeln wollen, weit über die | |
bisherige grüne Stammkundschaft hinaus. | |
[1][Wer seine Sommertour „Des Glückes Unterpfand“ nennt], um an der | |
entscheidenden Stelle mit europäischem Patriotismus gegen Nationalismus zu | |
konkurrieren, der will es offenbar wirklich wissen. | |
14 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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