| # taz.de -- Debatte Baukindergeld und Wohnungsnot: Nur ideologische Kosmetik | |
| > Für Familien mit geringerem Einkommen bedeutet das Baukindergeld nicht | |
| > mehr Freiheit. Die Kluft zwischen Miet- und Wohneigentum wird nur größer. | |
| Bild: Wohnungsbesichtigung in Berlin: In den Großstädten ist die Wohnungssuch… | |
| Das Wohnen, heißt es seit einigen Jahren, sei die soziale Frage unserer | |
| Zeit. Es ist auf jeden Fall eine der drängenderen. Es gibt immer weniger | |
| bezahlbare Wohnungen in den Städten, die Immobilienkosten explodieren, | |
| Investor*innen basteln fleißig an der nächsten Spekulationsblase, während | |
| in strukturschwachen Regionen der Leerstand zunimmt. | |
| Für immer mehr Menschen wird es schwer, ein bezahl- und bewohnbares Zuhause | |
| zu finden und behalten zu können. Es ist also zunächst mal gut, dass die | |
| schwarz-rote Regierungskoalition sich auf Maßnahmen und Gesetzesänderungen | |
| einigen konnte, die Abhilfe schaffen sollen. | |
| Zwei Stoßrichtungen gibt es dabei: Zum einen die überfällige Förderung des | |
| sozialen Wohnungsbaus und eine Verschärfung der Mietpreisbremse, zum | |
| anderen die Förderung von Wohneigentum, das sogenannte Baukindergeld, mit | |
| dem Familien beim Erwerb oder Bau eines Eigenheims mit bis zu 1.200 Euro | |
| pro Jahr und Kind über einen Zeitraum von zehn Jahren unterstützt werden | |
| sollen. Nach einigem Hin und Her steht seit Ende Juni fest: Das | |
| Baukindergeld kann rückwirkend vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2020 | |
| von Familien beantragt werden, sofern deren Einkommen nicht mehr als 75.000 | |
| Euro (plus 15.000 Euro pro Kind) beträgt. | |
| Seitdem tobt Kritik: Der Steuerzahlerbund bemängelt, dass die Prämie, die | |
| nach dem „Gießkannenprinzip“ verteilt wird, verpuffen wird und nur die | |
| Haushaltsausgaben steigert; der Bundesrechnungshof geht weiter und moniert, | |
| dass hier effektiv eine Umverteilung von unten nach oben stattfindet, weil | |
| auch diejenigen Haushalte die Maßnahme über Steuergelder mitfinanzieren, | |
| die sich selbst kein Eigenheim leisten können; und schließlich merkt das | |
| Institut der Deutschen Wirtschaft an, dass das Baukindergeld letztlich | |
| dafür sorgen wird, dass Immobilien noch unerschwinglicher werden, weil die | |
| Bauwirtschaft die Preise einfach nach oben anpassen wird – eine Kritik, die | |
| auch von Linken und Grünen laut wird. | |
| Um es kurz zu machen: Sie alle haben recht. Das Deutsche Institut für | |
| Wirtschaftsforschung hat nachgerechnet und prognostiziert, dass | |
| Immobilien-, Boden- und Baupreise weiter steigen und dass diejenigen | |
| Haushalte, die sowieso ein Haus bauen oder kaufen wollen und können, durch | |
| sogenannte Mitnahmeeffekte profitieren, während Familien mit geringerem bis | |
| mittlerem Einkommen besonders in Städten leer ausgehen: Hier wirkt das | |
| Baukindergeld nämlich nicht als Bau-, sondern als Kaufanreiz, was höchstens | |
| die gegenwärtigen Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen weiter | |
| befeuert. | |
| ## Symbolpolitik par excellence | |
| Gleichzeitig wird durch die Begrenzung der Förderung bis Ende 2020 der | |
| Schaden so gering wie bei einem faulen Kompromiss eben möglich gehalten, so | |
| dass sich argumentieren lässt, dass das Baukindergeld vor allem eines ist: | |
| Symbolpolitik par excellence. Gerade weil die Einführung des Baukindergelds | |
| kaum spürbare tatsächliche Auswirkungen auf die Struktur des Wohnungsmarkts | |
| haben wird, wird der symbolische Gehalt dieser Maßnahme umso wichtiger. | |
| Um was geht es also beim Baukindergeld? Das Baukindergeld ist eine | |
| staatliche Förderung des Eigenheimerwerbs für Familien. In der Verbindung | |
| von Familie und Eigenheim steckt ein ganzes Arsenal an Assoziationen. Das | |
| eigene Haus ist Symbol individueller Freiheit und Unabhängigkeit, zugleich | |
| steht es für Stabilität und Sicherheit, schließlich für Leistungsfähigkeit, | |
| Verantwortungsbewusstsein und Erfolg. | |
| Im „Familienheim“ – ein stehender juristischer Begriff – verbindet sich | |
| damit das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie: Zwei Generationen, Eltern | |
| und Kinder, leben als soziale Einheit in einem Raum, der maßgeblich durch | |
| die Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit charakterisiert ist. Das | |
| Familienheim ist der Inbegriff der bürgerlichen Privatsphäre. Die Familie | |
| schafft sich ihr Zuhause als Raum des Rückzugs und der Intimität, der | |
| Fürsorge und Pflege, aber auch als Investition in die Zukunft und das | |
| Fortschreiben von Familientradition durch Erbschaft. | |
| Das Familienheim ist auch der Ort, der vor den Unsicherheiten des freien | |
| Markts schützen soll: individuelles Eigentum als privates Sicherheitsnetz. | |
| Die öffentliche Förderung von privatem Wohneigentum ist daher aus | |
| wohlfahrtsstaatlicher Perspektive strategisch zu verstehen. Sie soll die | |
| Wohnungsversorgung „entstaatlichen“. | |
| ## Verlagerte Abhängigkeiten | |
| Dass das Baukindergeld dabei im Gewand einer sowohl wohnungs- als auch | |
| familienpolitischen Fördermaßnahme daherkommt, hat den Vorteil, dass sich | |
| der Rückzug des Staats rechtfertigen lässt als Befriedigung vermeintlich | |
| natürlicher Familienbedürfnisse: Der Staat unterstützt Familien dabei, frei | |
| von äußeren Zwängen, Unsicherheiten und Abhängigkeiten zu leben. Doch der | |
| Erwerb eines Eigenheims bedeutet für die Familien mit mittlerem Einkommen, | |
| denen das Baukindergeld nutzen soll, de facto nicht Freiheit, sondern nur | |
| verlagerte Abhängigkeiten: Der Zuschuss ist so gering, dass Kredite | |
| gegenüber Banken nicht verhindert werden. | |
| So entstehen nur neue Verantwortlichkeiten, das Baukindergeld ändert aber | |
| nichts an der bestehenden Wohnungsnot. Sein ideologischer Gehalt allerdings | |
| verstetigt die Kluft zwischen Wohnungen als Privateigentum und Wohnungen zu | |
| (sozial verträglichen) Mieten. Dahinter steht die Grundannahme, dass | |
| Wohnungen prinzipiell Waren sind, die auf dem Markt gehandelt werden. Der | |
| Staat sieht sich dabei nur als regulierend und unterstützend: Die Not der | |
| Schwachen wird gemildert, für die ökonomisch Stärkeren werden Anreize | |
| geschaffen, sich abzusichern. Der Markt produziert dabei weiter die | |
| Ungleichheiten, die in unregelmäßigen Abständen „neue“ Wohnungsnot | |
| hervorbringen. | |
| Die Antwort darauf kann deshalb nur sein, das Menschenrecht auf ein Zuhause | |
| radikal ernstzunehmen, Wohnen als öffentliches Gut und gesellschaftliche | |
| Verantwortung aufzufassen und damit auf kollektives statt individuelles | |
| Eigentum zu setzen. | |
| 15 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannah Wolf | |
| ## TAGS | |
| Wohnungen | |
| Wohneigentum | |
| Baukindergeld | |
| Mieten | |
| Wohnungsmangel | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Wohnungsmarkt | |
| Baukindergeld | |
| Umwandlungsverordnung | |
| Wohnungsmarkt | |
| Baukindergeld | |
| Wohngeld | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Gutachten zum Wohnungsbau: Der Markt soll's richten | |
| Laut dem Beirat des Wirtschaftsministeriums soll der Markt die | |
| Wohnungsfrage lösen. Statt billiger Wohnungen soll es Wohngeld geben. | |
| Makler-Provisionen beim Immobilienkauf: Kein Geld für Schrott | |
| Immobilienkäufer sollen nicht mehr unsinnige Makler-Provisionen zahlen | |
| müssen. Wunderbar. Aber es gäbe mehr Maßnahmen gegen Wohnwucher. | |
| Umwandlung in Eigentum: Verdrängung geht weiter | |
| Immer noch werden viele Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt. Nur selten | |
| können sich die Mieter den Kauf selbst leisten. Doch der Bund bleibt | |
| untätig. | |
| Kommentar Baukindergeld: Von Seehofer lernen | |
| Die SPD verschläft wieder einmal die Entwicklung auf dem Immobilienmarkt. | |
| Das Baukindergeld wird die Preisspirale noch zusätzlich anheizen. | |
| Kommentar Baukindergeld: Gegen Wohnungsnot hilft es nicht | |
| Eine Bezuschussung des Wohnungskaufs unterstützt auch Menschen, die es gar | |
| nicht benötigen – und treibt die Immobilienpreise in die Höhe. | |
| Beschränkung beim Baukindergeld: Nicht jede große Wohnung ist Luxus | |
| Beim Baukindergeld sollen Flächenobergrenzen eingeführt werden. KäuferInnen | |
| von großen Wohnungen gingen damit leer aus. |