# taz.de -- Prog-Rocker King Crimson auf Tour: Sichere Wahl in unsicheren Zeiten | |
> Disziplin macht sich bezahlt: Die Prog-Rock-Veteranen King Crimson | |
> spielen auf ihrer aktuellen Tour gleich dreimal im Berliner | |
> Admiralspalast. | |
Bild: Stets adrett mit Krawatte und Jackett: Die acht Herren von King Crimson | |
Am Anfang ist die Ansage. Durch die Lautsprecheranlage des Admiralspalasts | |
verliest eine Frauenstimme einen Text, dem man seine Übersetzung aus dem | |
Englischen anmerkt. Etwas umständlich ist die Rede davon, dass Bilder erst | |
nach dem Konzert gemacht werden dürfen, versprochen wird aber auch eine | |
Party. Dann hört man die Stimme von King-Crimson-Chef Robert Fripp mit der | |
Ansage im Original. Eine Aufnahme. | |
Wenn King Crimson, das Prog-Rock-Fossil schlechthin, aufspielt, soll es um | |
die Musik gehen, nicht um Bildmaterial für soziale Medien. Vor zwei Jahren | |
war die Band schon einmal in dieser Besetzung auf Tour, da hielt sie es | |
genauso wie jetzt am Sonntag. So weit alles normal. Die Musiker, acht an | |
der Zahl, treten sehr würdevoll an ihre Instrumente, in Anzüge gekleidet, | |
mindestens aber mit Weste und Krawatte. Ihrem seriösen Habitus gemäß stehen | |
oder, wie Fripp, sitzen sie für die folgenden knapp drei Stunden dann mehr | |
oder minder regungslos an ihren Instrumenten. | |
Bei King Crimson, vor 50 Jahren vom Gitarristen und einzigen konstanten | |
Bandmitglied Robert Fripp gegründet, muss man andere Maßstäbe anlegen als | |
etwa bei den [1][unkaputtbaren Rockfossilen, die eine Woche zuvor in Berlin | |
zu begrüßen waren]: Während die Rolling Stones gefühlt alle paar Wochen auf | |
Tour vorbeikommen, hat die unterbrechungsreiche Geschichte von King Crimson | |
mit mehrfachen Auflösungen und stetigen Umbesetzungen einen routinierten | |
Konzertbetrieb erschwert. Für die Stones hatten sie übrigens ganz zu Beginn | |
ihrer Karriere als Vorband gespielt. | |
Man konnte sich daher freuen, King Crimson innerhalb von zwei Jahren zum | |
zweiten Mal sehen zu dürfen, mit einem Personal, das wie eine Zusammenschau | |
ihrer verschiedenen Epochen wirkt: Neben Fripp war der älteste anwesende | |
Mitstreiter der Saxofonist Mel Collins, der in der ersten Hälfte der | |
siebziger Jahre zur Band gehörte. Aus der New-Wave-Quartettformation der | |
achtziger Jahre ist der Bassist Tony Levin geblieben, Schlagzeuger Pat | |
Mastelotto versieht seit den Neunzigern den Dienst an den Trommeln. | |
In diesem Jahrtausend kamen noch der Gitarrist und Sänger Jakko Jakszyk | |
hinzu, ebenso die beiden Schlagzeuger Gavin Harrison und Jeremy Stacey, die | |
mit Mastelotto ein geballtes Rhythmustriumvirat bilden. Als Keyboarder | |
unterstützt Bill Rieflin das Team, von Haus aus sonst ebenfalls Trommler. | |
Rhythmus ist eben wichtig bei dieser Band. | |
## Dazwischengrätschende Gitarren | |
Dass ihre Tour den Titel „Uncertain Times“ trägt, deutet nicht auf ein | |
neues Studioalbum hin – das bisher letzte erschien 2003 –, sondern ist wohl | |
als Kommentar zur Weltlage zu verstehen. Wie auch 2016 bieten King Crimson | |
fast ausschließlich eine Best-of-Auswahl ihres Schaffens mit einem | |
Schwerpunkt auf ihrem ersten Album, „In the Court of the Crimson King“ von | |
1969, der Platte, die dem Prog-Rock den Weg weisen sollte. | |
Bis heute haben diese frühen Stücke mit ihren Stilwechseln, schräg | |
dazwischengrätschenden Gitarren und einem gniedelfreien Technikverständnis | |
nichts an Kraft verloren, auch wenn die Darbietungen des verträumten | |
„Moonchild“, des Evergreen „The Court of the Crimson King“, mit seinem | |
großen Sehnsuchtschor im Refrain und dem gravitätischen „Epitaph“ am | |
Sonntag leicht routiniert wirkten. | |
Die Dichte der drei Trommler hat ihren Reiz, wie sehr sie tatsächlich zu | |
vertieften Hörerlebnissen führt, hängt stark von der konkreten | |
Aufgabenverteilung ab. Bei einem polyrhythmischen Flechtwerk wie | |
„Discipline“ geht die Sache auf, dank diszipliniertem Wechselspiel aller | |
Musiker mit gesteigerter Verschachtelung. In diesen Momenten ist man als | |
alter Fan dann einfach sehr zufrieden. Apropos: Mit unter 50 konnte man im | |
Publikum signifikant zur Verjüngung der demografischen Struktur beitragen. | |
Die Fans wachsen bei King Crimson anscheinend nur spärlich nach. | |
In den Songs im engeren Sinn jedoch war die Aufstockung nicht nötig. King | |
Crimson wird von ihren Verächtern ja ohnehin das dezidiert Verkopfte | |
vorgeworfen. Wogegen sich erst mal wenig sagen lässt. Die Stücke sind | |
kompliziert, mitsingen ist nicht die Regel. Dafür schafft die Band etwas, | |
das in dieser Konsequenz sehr wenigen gelungen ist: einen Groove zu bauen, | |
der eigentlich gar keiner ist. | |
Wer kann schon von sich behaupten, ernstlich im 13/8-Takt gerockt zu haben? | |
„Starless“, die einzige Zugabe des Konzerts, ist der schönste Beweis dafü… | |
dass das geht. Manche im Publikum versuchen sogar verzweifelt, im Sitzen | |
dazu zu tanzen oder zu headbangen. Das Stück legt los als Ballade, in der | |
alles noch übersichtlich nach 4/4-Verhältnissen geordnet ist. Dann kommt | |
der ungerade Mittelteil, dessen unaufgelöst zerrende Struktur für Spannung | |
sorgt, sich steigert, bis am Ende wieder Ruhe einkehrt. Und die Band sich | |
verabschiedet. Ist eben ein geregelter Betrieb, diese Party. | |
2 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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