# taz.de -- Berliner Eritreer und die Diktatur: Streit um die Bundeslade | |
> Die orthodoxe eritreische Kirchengemeinde in Friedenau ist tief | |
> gespalten. Vordergründig geht es um Religion, dahinter stecken aber | |
> politische Fragen. | |
Bild: Singen statt streiten: Beim Gottesdienst der Gemeinde in Friedenau | |
Die gut 1.000 Mitglieder der eritreischen orthodoxen Kirchengemeinde in | |
Friedenau stehen vor der Gretchenfrage. Die heißt, ganz wie bei Goethe: | |
„Nun sag, wie hast Du’s mit der Religion?“ Dahinter verbirgt sich aber ei… | |
zweite, entscheidende: „Wie hast Du’s mit der Diktatur in Eritrea?“ Zwei | |
eritreische Priester, die einmal zusammengearbeitet haben, aber nicht mehr | |
zusammenarbeiten wollen, werben um die Gemeinde und um deren Antworten. | |
Dabei war die Gemeinde im Bezirk Tempelhof-Schöneberg lange Zeit | |
wichtigster sozialer Treffpunkt der eritreischen Berliner- und | |
BrandenburgerInnen. Hier werden neben Gottesdienst und Seelsorge | |
Erfahrungen ausgetauscht – über Job- und Wohnungssuche oder über | |
Deutschkurse. Vereinsstrukturen unabhängig von der Kirche stecken noch in | |
den Kinderschuhen. | |
Rund 1.100 EritreerInnen leben in Berlin. 83 Prozent von ihnen gehören dem | |
Christentum an. 500 bis 700 kamen vor der „Kirchenkrise“, die im Frühjahr | |
ausbrach, jedes Wochenende aus Berlin und den benachbarten Bundesländern in | |
die Kirche. Unter neuen Asylbewerbern stehen EritreerInnen nach SyrerInnen, | |
AfghanInnen und IrakerInnen an vierter Stelle. In Flüchtlingsdebatten gehen | |
die oft zurückhaltenden, schlecht ausgebildeten, aber für den Arbeitsmarkt | |
hoch motivierten Menschen meist unter. Eine Zuwanderung in großer Zahl aus | |
dem nur fünf Millionen Einwohner zählenden Land am Horn von Afrika gibt es | |
erst seit 2013. | |
Priester Tamzgi Msgun beschreibt den Konflikt: „Als sich unsere Gemeinde | |
2015 aufbaute, haben wir uns bewusst entschieden, uns nicht der Synode in | |
Eritrea anzuschließen, sondern der in Ägypten. Mit den eritreischen | |
Kirchenstrukturen wollten wir nichts zu tun haben. Der Staat regiert | |
hinein, unser Patriarch sitzt im Hausarrest.“ Gut zwei Jahre später sei der | |
Konsens jedoch von seinem Priesterkollegen aufgekündigt worden, sagt Msgun. | |
„Er teilte der Gemeinde unvermittelt mit, er wolle nicht länger mit der | |
Bundeslade arbeiten, die wir aus Ägypten bekommen haben, sondern eine aus | |
Eritrea holen.“ Eine Bundeslade berechtigt orthodoxe Gemeinden, Taufen und | |
Eheschließungen durchzuführen, und zeigt zugleich die Zugehörigkeit zu | |
einer Synode an. | |
Was wie ein religionstheoretischer Konflikt klingt, hat handfeste Folgen. | |
Denn um Mitglied der eritreischen Synode zu werden, muss man bei der | |
Botschaft unterschreiben, dass man die Flucht aus Eritrea bereut. Damit | |
verpflichten sich EritreerInnen zugleich, 2 Prozent ihres Bruttoeinkommens | |
an den eritreischen Staat abzuführen (s. Kasten). Bei einem | |
Hartz-IV-Empfänger sind das immerhin 8 Euro pro Monat. | |
Msgun weiter: „Die Leute sagten den Gemeindemitgliedern auch, unsere | |
Bundeslade aus Ägypten sei gefälscht. Damit wären alle in Berlin | |
geschlossenen Ehen und Taufen ungültig.“ Da sich EritreerInnen nur in der | |
Kirche das Jawort geben, wäre eine ungültige geschlossene Ehe | |
schwerwiegend. Msgun: „Das Gerücht konnten wir mit Unterstützung unserer | |
Synode widerlegen. Aber die Unruhe in der Gemeinde blieb.“ | |
Rezene Drar (Name geändert) gehört zu denen, die wegen des Konflikts nicht | |
mehr den Gottesdienst besuchen. „Es geht nur noch um Politik. Das belastet | |
mich.“ Natürlich will der 22-Jährige, der einen Job in der Gastronomie | |
gefunden hat, nicht 2 Prozent seines Einkommens an den eritreischen Staat | |
abführen. Als Single konnte er sich um die Zwangsabgabe bisher erfolgreich | |
drücken. Doch wer beispielsweise einen Antrag auf Familiennachzug für die | |
Ehefrau stellt, die im Sudan festhängt, muss den deutschen Behörden | |
Ehepapiere der eritreischen Botschaft vorlegen. Und die gibt es nur gegen | |
Unterzeichnung der Reueerklärung und Abgabe der 2 Prozent. Manch ein | |
Eritreer muss sogar noch mehr dafür leisten – beispielsweise andere | |
Gemeindemitglieder zu Reueerklärungen motivieren. | |
Die eritreische Gemeinde nutzt für ihren Gottesdienst die evangelische | |
Philippus-Kirche in Friedenau. „Für uns ist dieser Spaltungsprozess sehr | |
schwierig“, sagt der dortige Pfarrer Paul Klaß. „In der Gemeinde war viel | |
religiöses und kulturelles Leben. Seit die Politik da reinspielt, ist viel | |
kaputtgegangen.“ Es könnten aber nicht zwei verfeindete Gruppen in seiner | |
Kirche Gottesdienst feiern. „Wir haben uns viel externen Sachverstand | |
geholt und entschieden, unser Haus dem regimekritischen Priester Tamzgi | |
Msgun und seiner Gemeinde zu geben.“ Der andere der beiden Priester war für | |
die taz nicht erreichbar. | |
Für die Dolmetscherin Freweney Habtemariam steht die Gretchenfrage | |
symptomatisch für andere Lebensbereiche von Eritreern in Berlin. Sie sagt: | |
„Diejenigen, die schon lange in Deutschland leben, stehen dem Regime in | |
Eritrea oft nahe.“ (s. Kasten) „Es sind sehr wenige, aber sie sprechen | |
besser Deutsch als die neuen Flüchtlinge und haben hier berufliche | |
Erfahrungen. Damit kommen sie in Positionen, wo sie gegenüber den Neuen | |
Macht ausüben können.“ | |
Sie nennt Beispiele: Die „Alten“ dolmetschten bei Behörden für die „Neu… | |
2016 wurde bekannt, dass ein Dolmetscher bei einer Anhörung beim Bundesamt | |
für Migration und Flüchtlinge bewusst falsch übersetzt hatte. Inzwischen | |
hat er den Job verloren. „Das ist leider kein Einzelfall“, sagt | |
Habtemariam, „ich kenne auch Sozialbetreuer in Wohnheimen, die Kritik von | |
Bewohnern am Regime in Eritrea sanktionieren. Soziale Träger sollten ihre | |
eritreischen Mitarbeiter mit mehr Fingerspitzengefühl auswählen.“ | |
3 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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