# taz.de -- Arbeitskampf für Beamte: Dürfen Lehrer bald streiken? | |
> Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, ob Lehrer die verbeamtet sind, | |
> streiken dürfen. Daniel Merbitz von der Bildungsgewerkschaft GEW hat | |
> Hoffnung. | |
Bild: Eine streikende Lehrerin hält die Fahne der GEW | |
taz: Herr Merbitz, am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht | |
über das Streikverbot für Beamte. Was ist der Anlass dafür? | |
Daniel Merbitz: Es geht um die Verfassungsbeschwerden von mehreren | |
verbeamteten Lehrerinnen und Lehrern, die dafür diszipliniert worden sind, | |
dass sie während ihrer Dienstzeit an Streikaktionen der GEW teilgenommen | |
haben. Wir unterstützen sie dabei. Denn die GEW macht sich schon seit den | |
1970er Jahren dafür stark, dass das Streikverbot für verbeamtete | |
Lehrerinnen und Lehrer fällt. | |
Glauben Sie an eine Erfolgschance? | |
Es gibt einen Widerspruch zwischen internationalem, auch Deutschland | |
bindendem Recht und der tradierten deutschen Rechtsprechung. Beamtinnen und | |
Beamte dürfen nicht streiken – diese konservative Rechtsauffassung herrscht | |
unter Juristinnen und Juristen in Deutschland. In der Vergangenheit sind | |
jedoch immer wieder auch verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer den | |
Streikaufrufen der GEW gefolgt und haben Disziplinarmaßnahmen in Kauf | |
genommen, aber auch Verweise oder Rügen. Um die mit internationalem Recht | |
nicht mehr vereinbare konservative Rechtsauffassung zu verändern, hat die | |
GEW immer wieder einzelne Kolleginnen und Kollegen unterstützt, wenn sie | |
gegen die Disziplinarmaßnahmen klagen wollten – teilweise mit Erfolg! Wie | |
das Verfassungsgericht jetzt entscheidet, werden wir ja sehen. | |
Das generelle Beamtenstreikverbot ist eine besondere deutsche Eigenart. | |
Worin liegt es begründet? | |
Das Streikverbot basiert auf den im Grundgesetz verankerten hergebrachten | |
Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Bei diesen handelt es sich teils um bis | |
weit ins 19. Jahrhundert zurückreichende Traditionen. Von zentraler | |
Bedeutung sind die „besondere Treuepflicht“ sowie die „amtsangemessene | |
Alimentation“. Dahinter verbirgt sich das Verständnis, dass Beamtinnen und | |
Beamte nicht für eine bestimmte Leistung bezahlt, sondern der Würde ihres | |
Amtes entsprechend ausreichend alimentiert werden, um sich unabhängig und | |
frei von Existenzsorgen ganz der Amtsführung hingeben zu können. Aus der | |
Verbindung dieser beiden Grundsätze wird von konservativen Juristen bis | |
heute das Streikverbot abgeleitet: Wer verbeamtet ist, darf und muss nicht | |
streiken. Nach Auffassung von DGB, GEW und Verdi lässt sich jedoch ein | |
generelles Streikverbot für Beamte aufgrund der Entwicklung des | |
Völkerrechts und dessen Auslegung in Deutschland nicht aufrechterhalten. | |
Fordern Sie das Streikrecht für alle Beamtinnen und Beamte oder gibt es | |
auch Einschränkungen, die Sie für richtig halten? | |
Die GEW fordert kein pauschales Streikrecht, sondern stemmt sich gegen das | |
Verwehren dieses Grundrechtes für nicht hoheitliche Tätigkeiten. | |
Einschränkungen des Streikrechts sind im internationalen Recht nur zulässig | |
auf gesetzlicher Grundlage und ausschließlich dort, wo die Beschäftigten im | |
engen Sinne hoheitlich tätig sind, wie Polizei, Justizvollzug und | |
Streitkräfte. | |
In der Bundesrepublik gibt es angestellte und verbeamtete Lehrerinnen und | |
Lehrer. Die einen dürfen streiken, die anderen nicht. Welche Auswirkungen | |
hat das auf gewerkschaftliche Arbeitskämpfe? | |
Die verbeamteten GEW-Mitglieder unterstützen ihre angestellten Kolleginnen | |
und Kollegen während der Tarifrunden. Denn in der Regel ruft die | |
Bildungsgewerkschaft auch zu Demonstrationen und Aktionen auf. An diesen | |
nehmen die Beamtinnen und Beamten teil und protestieren Seite an Seite mit | |
den Tarifbeschäftigten. Ohne Disziplinarmaßnahmen fürchten zu müssen, | |
können bei Streikaktionen in Tarifauseinandersetzungen derzeit jedoch nur | |
die angestellten Lehrkräfte einbezogen werden. Allein diese Spaltung | |
schwächt die Kampfkraft der Gewerkschaften. Es ist außerdem zu bedenken, | |
dass die zentralen Arbeitsbedingungen – wie Eingruppierung und | |
Pflichtstunden – sowohl für angestellte als auch für verbeamtete Lehrkräfte | |
unmittelbar am Beamtenrecht der Länder dranhängen. Die Folge: Für diese | |
Themen kann nicht gestreikt werden. Damit gibt es in den | |
Auseinandersetzungen mit den Ländern ein echtes Ungleichgewicht zwischen | |
Arbeitgebern und Gewerkschaften. Zulasten der Beschäftigten. | |
Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht das | |
generelle Streikverbot für Beamtinnen und Beamte kippen könnte? | |
2014 sah das Bundesverwaltungsgericht einen offensichtlichen Widerspruch | |
zwischen dem für Deutschland bindenden internationalen Recht wie der | |
Europäischen Menschenrechtskonvention und dem nationalen Verfassungsrecht. | |
Das Bundesverwaltungsgericht vertritt die Auffassung, dass dieser | |
Widerspruch nur durch den Gesetzgeber aufgelöst werden kann. Bis dahin | |
allerdings gelte das Beamtenstreikverbot fort. Als sich die Bundesregierung | |
Anfang 2015 erneut wegen des Beamtenstreikverbots vor der Internationalen | |
Arbeitsorganisation rechtfertigen musste, zog sie sich darauf zurück, sie | |
wolle dem Bundesverfassungsgericht nicht vorgreifen. Da Urteile des EGMR | |
grundsätzlich auch auf Deutschland angewendet werden, war das der richtige | |
Zeitpunkt, das Beamtenstreikrecht gerichtlich überprüfen zu lassen. Dass | |
Lehrkräfte nicht hoheitlich tätig sind, ist heute weitgehend unstrittig, | |
daher sind die Aussichten auf einen Erfolg nicht schlecht. Genaue | |
Vorhersagen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind dennoch nicht | |
möglich. | |
11 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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