# taz.de -- Gastbeitrag: Dürfen Berlins Lehrer streiken? | |
> Nicht dürfen – die Lehrer müssen streiken, solange der Senat sich nicht | |
> bewegt, schreibt der ehemalige Schulleiter Wolfgang Harnischfeger. | |
Bild: Schon mehrfach streikten die Lehrer, hier im Sommer diesen Jahres. | |
Das Unbehagen, das mit einem Lehrerstreik verbunden ist, kommt von dem | |
schwer erträglichen Gedanken, die Schüler könnten die Leidtragenden eines | |
solchen Ausstands sein. Das hat man jedoch in Kauf genommen, als man den | |
Lehrern den Beamtenstatus nahm. Sie sind jetzt normale Arbeitnehmer, mit | |
allen Rechten, einschließlich Streik, und man darf an sie keine höheren | |
moralischen Anforderungen stellen als an andere Berufsgruppen. Von der | |
Gewerkschaft kann man Kompromissbereitschaft fordern, nicht aber den | |
Verzicht auf ihr einziges ernsthaftes Kampfmittel. | |
In der gegenwärtigen Berliner Situation sind deshalb drei Fragen zu | |
stellen: Rechtfertigt das Anliegen der angestellten LehrerInnen einen | |
Streik? Wurden Verhandlungen mit dem Arbeitgeber gesucht, und: Nimmt die | |
Gewerkschaft ihre Verantwortung wahr? | |
Die Antworten sind klar: Bis zu 400 Euro weniger für dieselbe Tätigkeit | |
sind ein hinreichendes Streikargument, der Senat verweigert alle | |
Gesprächsangebote, die die GEW schon fast flehentlich an ihn richtet, | |
selbst nachdem ein Gericht die Zulässigkeit von Streikmaßnahmen bescheinigt | |
hat, und während der Streiks wurden bislang immer und überall Notdienste | |
eingerichtet, kein Kind blieb unbetreut, keine Abiturprüfung fiel aus. | |
Selbst die steigenden Pensionslasten rechtfertigen die Verweigerungshaltung | |
des Senats nicht, denn er hätte längst Pensionsfonds gründen können. Wer | |
Lehrkräfte als Angestellte beschäftigen und den Schulfrieden erhalten will, | |
muss drei Maßnahmen einleiten: tariflich abgesicherte gleiche | |
Nettoentlohnung wie bei Beamten, Funktionszulagen bei Übernahme | |
entsprechender Ämter, perspektivische Zuwächse bei zunehmender | |
Berufserfahrung. | |
Das Nettogehalt eines ledigen dreißigjährigen angestellten Lehrers mit | |
Studienratsstatus beträgt in Berlin etwa 2.500 Euro pro Monat. Was für | |
einen Berufsanfänger akzeptabel ist. Das Problem ist, dass ein | |
fünfzigjähriger Angestellter mit Familie kaum mehr verdient, und dann liegt | |
er bei einer siebenjährigen akademischen Ausbildung am untersten Ende | |
vergleichbarer Berufe. | |
Der Finanzsenator erklärt, er sei für Verhandlungen mit den Junglehrern | |
nicht zuständig. Das ist inakzeptabel, weil der Berliner Senat immer | |
zuständig ist für die elementaren Belange der Stadt, wozu eine | |
funktionierende Schule gehört. Nach allen Untersuchungen hängt das Gelingen | |
von Schule entscheidend an den Lehrkräften, ihrer fachlichen Qualifikation | |
und ihrer Motivation. Deshalb würde kein Unternehmen seine Mitarbeiter so | |
planvoll gering schätzen und auflaufen lassen, wie der Berliner Senat das | |
tut. | |
Mit dieser Haltung wird die Gewerkschaft zwangsläufig in Kampfmaßnahmen | |
beim Mittleren Schulabschluss, beim Abitur oder den Zeugnissen im nächsten | |
Jahr getrieben. Dann wird der Konflikt tatsächlich auf dem Rücken der | |
Schüler ausgetragen, was verhindert werden muss. Der Senat hat sich lange | |
genug weggeduckt wie ein Hase in der Ackerfurche. Er muss jetzt aktive | |
Politik betreiben und Verhandlungen anbieten. | |
17 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Harnischfeger | |
## TAGS | |
Bildung | |
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Lehrer | |
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