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# taz.de -- Bio-Discounter schlucken Naturkostläden: Vollkorn, volle Ausbeutung
> Ökoprodukte sind beliebt, doch kleine Naturkostläden verschwinden. In den
> neuen Biosupermärkten herrschen andere Arbeitsbedingungen.
Bild: Bio, öko, fair – doch die Angestellten arbeiten nicht immer zu fairen …
BERLIN taz | Viele Biokäufer wollen Gutes tun. Doch was die
Arbeitsbedingungen in den Ökoläden angeht, erfüllt sich dieser Wunsch nicht
immer. Schon seit Jahren stehen denn’s, Bio Company & Co. in der Kritik.
Eine Studie im Auftrag des Bundesverbands Naturkost und Naturwaren (BNN)
hat nun gezeigt, dass die Biosupermärkte auch immer größere Marktanteile
besetzen. Kleine Fachhändler sterben dagegen langsam aus.
„Im Bio-Bereich passiert das, was wir in den 70ern mit den Tante-Emma-Läden
erlebt haben“, sagt Ulrich Hamm, Lebensmittelmarktforscher der Universität
Kassel. Betriebswirtschaftlich hätten die kleinen Läden das Nachsehen und
viele Konsument*innen bevorzugten die umfassenderen Sortimente der großen.
Auch die Frische der Produkte im schnelllebigeren Supermarktgeschäft sei
für viele ein Argument gegen die Pioniere der Branche, die kleinen
Naturkostläden. Deshalb sei davon auszugehen, dass dieser Trend anhalte, so
Hamm.
Bundesweit ist die Zahl der Läden mit einem Bio-Anteil von mindestens 95
Prozent am Lebensmittelsortiment zwischen 2010 und 2017 „nur“ um 7 Prozent
gewachsen, zeigt die Studie im Auftrag des BNN. Die Verkaufsfläche stieg im
selben Zeitraum aber um ganze 62 Prozent, der Umsatz um rund die Hälfte.
Der Naturkosteinzelhandel wächst also kräftig.
## Bio wird billiger
Das Wachstum geht mit einem brachialen Strukturwandel einher. 2010 hatte
noch jeder zweite Bioladen eine Verkaufsfläche von unter 100 Quadratmetern,
2017 war es nur noch jeder dritte. Dagegen steht eine Anteilsverdopplung
von 13 auf 29 Prozent der Biosupermärkte mit mehr als 400 Quadratmetern
Verkaufsfläche. Die Größenzuwächse gehen dabei auf neu gegründete Filialen
sowie auf Erweiterungen bestehender Läden zurück.
Für Verbraucher*innen sei der Trend zwar insofern zu begrüßen, als dass
„Bio“ billiger werde, sagt Hamm. Doch offenbar geht diese Errungenschaft
auf Kosten vieler Angestellter in den neuen Biosupermarktfilialen: „Das ist
nicht anders, als wenn man in einem Discounter arbeitet. Nicht schlechter,
aber auch nicht besser“, erklärt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Sandra
Schmidt. Sie berichtet aus Bremen, dass der Druck strikter Umsatzvorgaben
auf die Angestellten abgewälzt werde. Teilzeitjobs, ständige Bereitschaft,
Arbeitsverdichtung und hierarchische Verhältnisse seien die Regel.
Sich dagegen etwa mit der Einsetzung von Betriebsräten zu wehren scheint
vielerorts schwer: „Die Arbeitgeberseite setzt alles daran,
Arbeitnehmermitbestimmung zu verhindern“, sagt Schmidt. Nachdem vor Gericht
erstritten wurde, bei Alnatura in Bremen einen Wahlvorstand für
Betriebsratswahlen einzusetzen, seien die Kandidat*innen so lange in
Einzelgesprächen unter Druck gesetzt worden, bis sie gekündigt hätten oder
eingebrochen seien.
Elke Röder, Geschäftsführerin des BNN, warnt davor, solche Geschichten zu
generalisieren. Die Biobranche biete flachere Hierarchien und bessere
Einbindung in Entscheidungen als der konventionelle
Lebensmitteleinzelhandel. „Dafür nehmen viele sogar in Kauf, ein paar Euro
weniger zu verdienen.“
Doch die Darstellung der Bremer Gewerkschaftssekretärin Schmidt scheint
kein Einzelfall zu sein. Eine Sprecherin des Verdi-Bezirks Berlin
berichtet, dass auch in den Biosupermärkten der Hauptstadt die Probleme des
konventionellen Einzelhandels auftreten: Kündigungsfristen würden nicht
eingehalten, Urlaube nicht bezahlt und Arbeitszeitverstöße begangen.
Rechtlich bindende Tarifverträge gebe es nicht.
## Der freie Markt hilft nicht
Eine Frau, die jahrelang in verschiedenen Biosupermarktfilialen in Münster
gearbeitet hat und in der unabhängigen Basisgewerkschaft FAU organisiert
ist, beschreibt ihren Arbeitsalltag so: „Die Schichtpläne ändern sich von
Tag zu Tag. Man hat keinen Lebensrhythmus.“ „Fair“ sei der Umgang mit den
Mitarbeiter*innen nicht, sagt die ehemalige Angestellte, die ihren Namen
nicht in der Zeitung lesen will. In den kleinen Biomärkten sei es auch
nicht immer ein „Zuckerschlecken“. Aber der direkte Kontakt zu den
Geschäftsführer*innen, die häufig im Laden mitarbeiten, ermögliche einen
besseren Umgang.
Der freie Markt scheint das Problem nicht zu lösen: „Ich glaube, unseren
Kunden ist meist vollkommen bewusst, dass die Arbeitsbedingungen nicht gut
sind“, sagt die frühere Beschäftigte eines Biosupermarktes. Die Klientel
der oberen Mittelschicht suche vor allem das Vollangebot der Läden. Dass
bio dabei mitnichten fair bedeutet, tut dem keinen Abbruch.
28 May 2018
## AUTOREN
Frederik Richthofen
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