# taz.de -- Logopädin über Trans*-Identität: „Hochleistungssport für die … | |
> Die Stimme schränkt trans* Menschen in der Interaktion mit anderen am | |
> stärksten ein. Deshalb müssen sie sie trainieren. Maria Wilde erklärt, | |
> wie das funktioniert. | |
Bild: Es kann zu Irritationen kommen, wenn eine Frau mit einer männlichen Stim… | |
taz: Frau Wilde, Sie arbeiten als Logopädin und haben gerade ein Fachbuch | |
zum Thema „Stimme und Transidentität“ geschrieben. Inwiefern hat die Stimme | |
für trans* Personen eine besondere Bedeutung? | |
Maria Wilde: Die Stimme ist ein Kommunikationsmedium. Sobald wir in verbale | |
Kommunikation treten, hört man durch die Stimme bestimmte Faktoren. Zum | |
Beispiel ist der erste Faktor, den wir entschlüsseln: Ist die sprechende | |
Person ein Mann oder eine Frau? Auch Stimmung, Alter oder Herkunft der | |
Person werden mitgeteilt. Eine Studie hat herausgefunden, dass für trans* | |
Frauen die Stimme der Faktor ist, der die Interaktion mit anderen am | |
stärksten beeinflusst und auch einschränkt. Es kann zum Beispiel zu | |
Irritationen kommen, wenn eine Frau mit einer eindeutig männlichen Stimme | |
spricht. Je nachdem, welche Reaktion darauf vom Gesprächspartner kommt, | |
kann es für die transidente Person sehr, sehr verletzend sein, weil sie | |
nicht ihrem Wunsch entsprechend wahrgenommen wird. Es ist wie ein | |
unfreiwilliges Outing. | |
Wann wird eine Stimme als „männlich“, wann als „weiblich“ wahrgenommen… | |
Da kommt verschiedenes zusammen. Zum einen ist es die Tonlage, was aber | |
eine genauso große Rolle spielt, ist die Resonanz. Die Resonanz macht den | |
individuellen Stimmklang einer Person aus und kann zum Beispiel einen | |
helleren oder dunkleren Stimmklang erzeugen. Das ist unabhängig von der | |
Tonhöhe, sondern hängt davon ab, in welchem Körperbereich sich die Stimme | |
besonders ausbreitet. Man unterscheidet in Brustresonanz und Kopfresonanz, | |
je nachdem, in welchem Bereich man die Schwingung oder Vibration der Stimme | |
wahrnehmen kann. Männer sprechen in der Regel mit mehr Brustresonanz, | |
wodurch die Stimme voller und dunkler klingt, während die Kopfresonanz bei | |
Frauen stärker ausgeprägt ist, die einen hellen, zarteren Stimmklang | |
bedingt. | |
Und wie ist es mit Unterschieden in der Artikulation? | |
Ja, die gibt es auch. Frauen reden eher deutlicher, machen die Artikulation | |
trotzdem zarter. Bei Männern ist die Artikulation weiter hinten im | |
Mundraum, dadurch wird der Klang ein bisschen dumpfer. Und sie bewegen die | |
Lippen nicht so stark. Frauen spitzen und spreizen die Lippen meistens viel | |
stärker, wodurch der helle Klang entsteht. Dann gibt es auch noch | |
Unterschiede im Wortschatz, in der Wortwahl und teilweise Syntax, also der | |
Satzstruktur. | |
Warum sprechen Männer* und Frauen* so unterschiedlich? | |
Es gibt Theorien, die das in der Anatomie begründen. Männer haben einen | |
breiteren Hals, sodass der Vokaltrakt – also der Raum vom Kehlkopf bis nach | |
vorne zu den Lippen, in dem die Stimme entsteht, sich ausbreitet und | |
verstärkt wird – länger und größer ist. Dadurch benutzen sie zum Beispiel | |
die Zunge für die Artikulation auch anders. Eine andere Erklärung ist, dass | |
man sich diese sprachlichen Muster unterbewusst aneignet. Zum Beispiel ist | |
die Sprechmelodie ein entscheidender Faktor dafür, wie die Person | |
eingeschätzt wird. Frauen sprechen sehr melodiös, gehen viel mehr hoch und | |
runter, betonen auch über die Tonhöhe, während Männer laut werden, um etwas | |
zu betonen. Hier wird auch vermutet, dass das ein unbewusster | |
Erziehungsaspekt ist, weil Mädchen eben ihre Mutter oder andere weibliche | |
Vorbilder imitieren und sich somit ein Muster einschleift. | |
Gibt es auch eine genderneutrale Tonlage? | |
Ja. Es gibt einen Tonbereich, der sich überschneidet, in dem sowohl Männer | |
als auch Frauen sprechen. Der ist dann oft ein erstes Therapieziel. In der | |
Therapie von trans* Frauen strebt man zum Beispiel nicht an, dass sie den | |
Normbereich von weiblichen Stimmen erreichen, weil das oft viel zu hoch ist | |
und unnatürlich klingt, sondern dass man in einen genderneutralen | |
Tonbereich reingeht und da dann zusätzlich die anderen Faktoren bearbeitet. | |
Es gibt auch ganz bekannte weibliche Stimmen wie Edith Piaf, Marlene | |
Dietrich oder Gundula Gause, die sehr tiefe Stimmen haben oder hatten und | |
trotzdem als Frau wahrgenommen werden – das liegt eben an den genannten | |
anderen Faktoren. | |
Trans* Männer können im Rahmen ihrer Transition, also der Phase der | |
Geschlechtsangleichung, das Hormon Testosteron einnehmen, was die Stimme | |
tiefer werden lässt. Ist eine logopädische Therapie also nur für trans* | |
Frauen relevant? | |
Bei trans* Männern wird oft angenommen, dass durch den hormonell | |
eingeleiteten Stimmbruch alles geregelt ist. Sie werden bei dem Thema also | |
oft vernachlässigt. Was ich häufiger höre, wenn trans* Männer sich bei mir | |
zur Logopädie anmelden, ist, dass Leute von ihnen denken, sie wären | |
homosexuell – und das eben wegen der Stimme. Der Eindruck der Stimme | |
entsteht, weil sie noch die weiblichen Sprechmuster haben, also mehr | |
Sprechmelodie und mehr Kopfresonanz in der Stimme. Wenn man viel | |
Brustresonanz in der Stimme hat, also der Brustraum beim Sprechen | |
mitschwingt, dann klingt die Stimme eher voll. Frauen haben eine Mischung | |
aus Brustresonanz und Kopfresonanz. Dadurch klingt die Stimme automatisch | |
heller. trans* Männer haben diese weiblichen Intonationsmuster noch inne. | |
Also arbeitet man an der Sprechmelodie und daran, mehr in der Brustresonanz | |
zu sprechen. Außerdem ist es möglich, an der Kehlkopfposition beim Sprechen | |
zu arbeiten. Eine tiefere Kehlkopfposition bewirkt, dass die Stimme | |
dunkler, dumpfer klingt, während eine hohe Kehlkopfposition den Stimmklang | |
heller, femininer klingen lässt. | |
Inwiefern ist eine Angleichung einer als männlich wahrgenommenen Stimme an | |
eine als weibliche wahrgenommene möglich? | |
Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste ist die Stimmoperation. Oder man kann | |
sich entschließen, die Stimme zu trainieren, zum Beispiel bei der | |
Logopädie. Da wird zuerst eine Diagnostik gemacht. Also geschaut, wie eine | |
Person ihre Stimme einsetzen kann, was sie für Möglichkeiten hat, wie hoch | |
und wie tief sie gehen kann, wie sie in hohen und tiefen Lagen klingt. | |
Dementsprechend werden dann Übungen gemacht. | |
Wovon hängt der Erfolg ab? | |
Das Üben ist das A und O. Man merkt einen großen Unterschied, ob die Person | |
wirklich jeden Tag die Übungen macht oder ob sie das nur einmal die Woche | |
oder gar nicht macht. Man muss sich vorstellen, dass die Stimme durch das | |
Zusammenspiel verschiedener Muskeln entsteht. Die Stimmlippen – wir sagen | |
nicht Stimmbänder, sondern Stimmlippen – sind wie ein Muskel. Der zieht | |
sich mal länger, wenn man zum Beispiel hoch singt. Wenn man ganz tief singt | |
oder spricht, wird er ganz dick und kurz. Ich sage den Leuten immer: „Das | |
ist wie Hochleistungssport für die Stimme, was Sie wollen. Denn Sie wollen, | |
dass die Stimme dauerhaft höher ist und dass sie dabei auch gesund bleiben | |
kann.“ Das ist, als würde man einen Waschbrettbauch wollen. Da muss man | |
auch jeden Tag seine Sit-ups machen. | |
Was heißt denn überhaupt Erfolg – wann ist die Therapie fertig? | |
Wenn die Klient*innen mit ihrer neuen Stimme zufrieden sind. Es geht nicht | |
darum, dass ich vorschreibe, wie die Stimme klingen soll. Sondern sie | |
entwickeln eine ganz neue Stimme, die aber zu ihnen passt. Ich frage | |
deshalb am Anfang immer, ob die Person eine Stimme hat, die sie toll findet | |
und die sie gern hätte. Da kann es natürlich sein, dass eine sehr große | |
trans* Frau vor mir sitzt, die sich eine sehr zarte, hohe Stimme vorstellt. | |
Was vermutlich nicht so gut passen würde. Oft ist es dann aber so, dass | |
sich das reguliert und die Klient*innen ganz schnell ein Gefühl dafür | |
kriegen, was für sie gut klingt und womit sie sich wohlfühlen. Das kann | |
sich auch noch mal ändern. Es ist ein Prozess. | |
Also Identitätsfindung über die Stimme? | |
Genau das ist es. Deswegen ist es auch sehr sensibel. Ich merke auch immer | |
wieder, dass man mit Klient*innen an Punkte kommt, an denen sie zweifeln, | |
wo es hingeht und ob das so zu ihnen passt. | |
Wie lange dauert es, bis eine Therapie abgeschlossen ist? | |
Ich würde sagen: ein halbes Jahr bis ein Jahr ungefähr. In der Zeit kommen | |
sie ein- bis zweimal die Woche. trans* Männer eher ein bisschen kürzer. | |
Welche Auswirkungen hat denn die Veränderung der Stimme auf das | |
Wohlbefinden der Patient*innen? | |
Es gibt Studien dazu, dass eine trans* Frau, wenn sie sich mit ihrer Stimme | |
wohlfühlt, also im wahrsten Sinne im Einklang ist, auch als weiblicher von | |
anderen wahrgenommen wird. Das ist ihnen natürlich wichtig, denn sie wollen | |
ja nicht geoutet sein, sie wollen nicht als trans* Frau verstanden werden, | |
sondern als das, was sie sind, als Frau. Durch die Therapie der Stimme kann | |
man also viel für das Wohlbefinden der Trans* tun. | |
6 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Maike Brülls | |
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