# taz.de -- Streit um die sogenannte Thaiwiese: Das schmeckt nicht allen | |
> Die Wilmersdorfer Thaiwiese steht inzwischen in diversen Reiseführern. | |
> Den Anwohnern stinkt das illegale Spektakel seit Längerem. | |
Bild: Essenszubereitung auf der Thaiwiese | |
BERLIN taz | Samstagnachmittag. Die Sonne scheint. Im Preußenpark in | |
Wilmersdorf, den Berlins Asiaten „Thaiwiese“ nennen, wird an unzähligen | |
kleinen Ständen Essen gebrutzelt. Auf mitgebrachten Campingkochern wärmen | |
Thailänderinnen Gerichte auf, die sie zu Hause zubereitet haben. Eine Frau | |
steckt Hühnerspieße in den Topf. 1 Euro kostet einer. Ihre Standnachbarin | |
mixt Papayasalat. Papaya, Möhren und Gurken liegen fein geraspelt neben ihr | |
auf der Bastmatte. Erdnüsse, Knoblauch, Zitrone und Chili kommen in den | |
Mörser. Für 5 Euro wechselt ein solcher Salat den Besitzer. | |
Legal ist das nicht. Die Verkäufer zahlen keine Steuern. Es gibt kein | |
fließendes Wasser. Und nach deutschen Hygienevorschriften sind Zubereitung | |
und Verkauf von Lebensmitteln auf einer Grünfläche untersagt. Im Bezirk | |
Charlottenburg-Wilmersdorf ist die Thaiwiese seit etwa zwei Jahren | |
politischer Konfliktstoff. | |
Anwohner haben sich beim Bezirksamt über das zu laute Treiben und die | |
Geruchsbelästigung beschwert. Der Park sei vermüllt, die Wiese mehr | |
Staubwüste als Rasen. Und da es kaum öffentliche Toiletten gibt, | |
verrichteten viele Gäste ihre Notdurft in der Umgebung. Das stinkt den | |
Anwohnern. | |
„Wir wollen unsere Grünfläche zurückhaben. Wer asiatisch essen will, kann | |
das in Gaststätten tun“, sagt etwa Rentnerin Almuth B. Kontrolleure vom | |
Bezirksamt konnten den Verkauf noch nicht nachweisen. Preisschilder fehlen, | |
und wenn die uniformierten Kontrolleure auftauchen, geben die Verkäufer an, | |
sie würden hier lediglich für Freunde auftafeln. | |
Auch Gewerbetreibende hätten sich über die Ungleichbehandlung beschwert, | |
sagt der grüne Bezirkspolitiker Christoph Wapler. Sie selbst müssten | |
Steuern zahlen, das Gesundheitsamt würde ihre Restaurants kontrollieren, | |
hier hingegen werde alles geduldet. | |
Doch gerade das Spontane ist es, was die Attraktivität der Thaiwiese | |
ausmacht. Für Kholakhan R. aus Steglitz steht sie für das liebenswerte | |
Berlin: Hier ist es arm, aber sexy. „Wenn schönes Wetter ist, komme ich | |
jedes Wochenende hierher mit meiner Familie“, sagt der Laote. „Hier treffe | |
ich meine Freunde. Hier kann ich asiatisch essen.“ Er sitzt mit Frau, zwei | |
Kindern und mehreren Landsleuten auf einer Decke. Die Kinder dürfen eine | |
Kokosnuss austrinken. | |
Auch Andrea F. aus Köpenick hat sich mit ihren Thüringer Verwandten eine | |
Decke im Park geteilt. „Wo sonst in Berlin gibt es authentisches | |
Straßenessen?“, fragt die Mittfünfzigerin, die schon Thailand, Singapur und | |
Malaysia bereist hat. Dass die Szenerie nicht legal ist und die deutsche | |
Lebensmittelaufsicht die Brutzelei auf der Thaiwiese nicht kontrolliert, | |
weiß die Frau. „Mein Kollege wohnt hier gleich um die Ecke. Er hat noch nie | |
hier gegessen. Aber ich finde das Quatsch. Da dürfte man im Urlaub in Asien | |
gar nichts essen.“ | |
Entstanden ist die Thaiwiese in den 1990er Jahren. Damals trafen sich hier | |
Berliner Thailänderinnen an Wochenendtagen und brachte ihre heimatlichen | |
Gerichte zum eigenen Verzehr mit. Rund 5.000 Thailänder wohnen in Berlin. | |
Die Community ist sehr weiblich, gut 4.000 von ihnen sind Frauen. Es | |
überwiegen die Jahrgänge über 45 Jahren. Deutsche Parkbesucher fragten, ob | |
sie etwas kaufen dürften. So gesellte sich zur Geselligkeit der Kommerz. | |
Die Preise sind zwar immer noch günstig, aber deutlich teurer als vor zwei | |
Jahren. | |
Inzwischen steht die Thaiwiese in Berliner Reiseführern, und heute stellen | |
die Thailänder unter den Verkäufern etwa zwei Drittel. Die Verkäuferszene | |
ist größer und panasiatisch geworden. Viele Philippiner bieten ebenfalls | |
Pfannengerichte an. Vietnamesen verkaufen frische Kräuter, Suppen und | |
Drinks. An einem Stand von Kambodschanern gibt es frittierte Ameisen, | |
Grillen und Mehlwürmer. Und Koreaner bieten Maultaschen und Gemüsekuchen | |
an. Zu den kulinarischen Angeboten gesellen sich Dienstleistungen. Einige | |
Thailänderinnen massieren Interessenten auf den Decken: 30 Minuten | |
Schultern und Rücken für 15 Euro. Vietnamesinnen haben Nageldesign im | |
Angebot. | |
Eine Insiderin erzählt der taz: „Es ist längst nicht mehr so authentisch | |
wie vor acht Jahren, als ich nach Berlin zog. Heute geht es ums | |
Geldmachen.“ Sie will wissen, dass einige Verkäuferinnen jeden Sommer für | |
drei Monate mit einem Touristenvisum aus Thailand kommen, um hier Geld zu | |
verdienen. Auch die thailändische Botschaft nutze die Fläche zu | |
Propagandaveranstaltungen unter Landsleuten an nationalen Feiertagen, | |
erzählt sie. | |
Verbieten wollen die Bezirkspolitiker die Thaiwiese nicht. Dazu ist sie | |
inzwischen viel zu sehr Touristenattraktion. Aber es soll in gesetzliche | |
Bahnen gelenkt werden. „Da haben wir in der Bezirksverordnetenversammlung | |
einen überparteilichen Konsens“, sagt der Grüne Christoph Wapler. Das | |
bestätigt sein Kollege Christoph Brzezinski von der CDU. „Wir wollen die | |
Szene nicht verdrängen, sie aber in rechtlich korrekte Formen überführen.“ | |
Etwa indem es einige feste Verkaufsstände gibt, für die Verkäufer dann | |
Miete und Steuern zahlen und vom Lebensmittelamt überwacht werden. | |
Einem Antrag der Grünen zufolge, der in der Bezirksverordnetenversammlung | |
angenommen wurde, soll eine Lösung gemeinsam mit der thailändischen | |
Community gefunden werden. Doch wie soll das gehen? | |
In Berlin gibt es laut einem Verzeichnis des Berliner | |
Integrationsbeauftragten lediglich einen buddhistischen thailändischen | |
Verein. Ein Anruf der taz dort schlug fehl, weil niemand Deutsch spricht. | |
Zudem ist die Szene eben längst panasiatisch. | |
Eine Gruppe deutsch-thailändischer Ehepaare, die die fernöstliche | |
Atmosphäre genießen, sitzt am Rand der Thaiwiese auf Bänken. Sie hätten | |
gegen gesetzliche Rahmen nichts einzuwenden. „Hundertprozentig sauber kann | |
das Essen hier nicht sein, auch wenn einige Verkäuferinnen Handschuhe | |
tragen. Der Wind weht doch Staub darauf, und auch Hunde pinkeln auf die | |
Wiese“, sagt eine ältere Dame. Ein Mann pflichtet ihr bei: „Nach dem | |
Verzehr einer Hühnerkeule musste ich im Krankenhaus behandelt werden. | |
Seitdem isst nur noch meine Frau hier, ich nicht mehr.“ Die Frau zeigt ihre | |
Einkaufstüten und relativiert: „Ich kaufe nur noch Obst und Gemüse, weil | |
das wirklich lecker ist. Kein Fleisch mehr.“ | |
Eine andere Frau hingegen ist skeptisch: „Wenn die Verkäufer ein Gewerbe | |
anmelden und alles machen müssten, was das Gesundheitsamt fordert, würden | |
die Preise steigen und die Kunden wegbleiben. Das funktioniert nicht.“ | |
6 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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