# taz.de -- Weddinger Projekt in Gefahr: Hilfesystem in Raumnot | |
> Das Projekt „Eva’s Haltestelle“ für wohnungslose Frauen muss aus seinen | |
> Räumen ausziehen. Auch andere soziale Projekte haben mit Verdrängung zu | |
> kämpfen. | |
Bild: In „Eva’s Haltestelle“ im Wedding: eine Helferin sortiert gespendet… | |
Die Frauen haben sich um den Holztisch versammelt. Rührei, Nudeln, Gemüse, | |
paniertes Fleisch stehen darauf. „Heute gibt es chinesisch“, sagt Heidi, | |
wie sie hier alle nennen. Heidi lacht viel und redet laut, während sie | |
isst. Um die Hüfte trägt sie ein Tuch in Leopardenmuster, auf dem Kopf eine | |
Wollmütze. Neben ihr sitzt eine Frau in einer bunten Bluse, die erzählt, | |
sie habe jetzt wieder eine Wohnung, auch einen Job. „Du? Wo arbeitest du | |
denn?“, will Heidi wissen. „Sag ich nicht.“ – „Sie ist noch in der | |
Probezeit“, glaubt eine andere. Dazwischen isst schweigend eine mit dunkler | |
Sonnenbrille, die immer lächelt und winkt, sobald der Fotograf in ihre | |
Richtung schaut. | |
Ein normaler Mittag in „Eva’s Haltestelle“, einer Anlaufstelle für | |
wohnungslose Frauen in Wedding. Das Projekt gehört zum Sozialdienst | |
katholischer Frauen in Berlin. Rund zehn Klientinnen sind gerade da, die | |
meisten kennen sich, später soll noch der Malkurs stattfinden. Und doch ist | |
nicht alles wie sonst: Am gestrigen Donnerstag lief der Mietvertrag für die | |
Räume in der Bornemannstraße aus, er soll nicht verlängert werden. Bis zum | |
Beginn der Sanierung dürfen sie zwar bleiben, hat die Hausverwaltung | |
mitgeteilt. Aber wie es danach weitergeht, ist noch nicht sicher. | |
Damit ist wieder ein soziales Projekt von Verdrängung bedroht. Ob | |
Anlaufstellen für Wohnungslose, Jugendeinrichtungen, Beratungsstellen für | |
Suchtkranke oder Wohngruppen für Menschen mit Behinderungen – viele Träger | |
klagen über Raumnot. „Wir erhalten regelmäßig Hinweise auf Kündigungen od… | |
drastische Mieterhöhungen unserer Mitgliedsorganisationen“, berichtet | |
Regina Schödl, Referentin für Soziales beim Paritätischen Wohlfahrtsverband | |
Berlin. | |
Für viele soziale Träger ist es schwer, neue Räume zu finden. Wenn die | |
Projekte verschwänden, habe das ganz konkrete Auswirkungen, warnt Schödl: | |
„Dann kann Menschen eben nicht mehr so gut geholfen werden.“ Jemand, der | |
ein Suchtproblem habe, schaffe vielleicht noch schwerer den Ausstieg, | |
Obdachlosen fehle die Anlaufstelle. „Die Stadt verliert ihren sozialen | |
Zusammenhalt. Das darf nicht passieren.“ | |
## Gewalterfahrungen und psychische Erkrankungen | |
Für die Frauen in der Bornemannstraße ist „Eva’s Haltestelle“ wichtig. … | |
über zehn Jahren komme sie her, erzählt eine. Hier kann sie essen, duschen, | |
sich unterhalten. Im Winter gibt es zehn Notübernachtungsplätze. Heidi | |
sagt, sie habe vergangene Nacht am Schlachtensee geschlafen. „Die Enten | |
haben gequakt, ich habe mich auf die Bank gelegt, auf die Klamotten. | |
Ausgezeichnet.“ Seit 2016 sei sie wohnungslos, in ihrer Wohnung habe es | |
gebrannt, erzählt sie. Plötzlich wird ihr das Gespräch zu viel. Sie schaut | |
böse. „Schluss jetzt, sonst hole ich eine Pumpgun und ruf die Polizei.“ | |
Gemeinsam mit Ehrenamtlichen kümmert sich Sozialarbeiterin Claudia Peiter | |
um die Frauen. Viele hätten Gewalterfahrungen gemacht oder litten an einer | |
psychischen Erkrankung, erzählt sie. 35 bis 40 Klientinnen kämen im Schnitt | |
pro Tag, mehr als noch vor ein paar Jahren. „Die Frauen schafften es früher | |
leichter, die Wohnung zu halten oder eine neue zu finden.“ | |
Normalerweise berät Peiter die Frauen und sucht mit ihnen nach einer neuen | |
Wohnung. Jetzt muss sie für die Beratungsstelle selbst eine Bleibe finden. | |
Das ist nicht leicht. „Wenn die Vermieter erfahren, was wir machen, ist es | |
ganz schnell vorbei“, sagt sie. Viele wollten offenbar keine „sperrige | |
Klientel“. | |
Nach langer Suche hat „Eva’s Haltestelle“ nun vielleicht Glück: Ein | |
privater Eigentümer von Gewerberäumen in der Müllerstraße ist offen dafür, | |
an die Beratungsstelle zu vermieten. „Wir sind in engen Verhandlungen“, | |
sagt Ursula Snay, Sprecherin des Sozialdiensts katholischer Frauen in | |
Berlin. Allerdings sei die Miete zu hoch, sie würde sich im Vergleich zu | |
bisher mehr als verdoppeln. Das könnte der Verein, der sich über Spenden | |
finanziert, nicht stemmen, sagt Snay. | |
## Schutzmechanismen gebraucht | |
Von der Senatsverwaltung für Soziales heißt es, der Bezirk Mitte sei | |
zuständig für die Unterstützung von Tagesstätten für Wohnungslose. Zur | |
Frage, wie eine Lösung aussehen könnte, wollte sich Mittes Sozialstadtrat | |
Ephraim Gothe (SPD) noch nicht äußern. „Wir arbeiten hart daran. Ich bin | |
optimistisch, dass das klappt.“ Spruchreif sei das Ganze aber erst in | |
einigen Tagen. | |
Auch wenn es für „Eva’s Haltestelle“ gut ausgeht: Das nächste bedrohte | |
soziale Projekt kommt bestimmt. Regina Schödl vom Wohlfahrtsverband | |
fordert: „Wir brauchen besondere Schutzmechanismen für Gewerberäume | |
sozialer Träger. Insbesondere dann, wenn die Einrichtungen Leistungen im | |
Auftrag der öffentlichen Hand erbringen.“ | |
Nach dem Essen in der Bornemannstraße: Heidi steht vom Tisch auf, sammelt | |
Kleidung, die sie hier gewaschen hat, in einen Sack und wirft ihn zusammen | |
mit einer Aldi-Tasche über die Schulter. „Ich komme morgen wieder, ich freu | |
mich schon auf euch“, ruft sie den anderen von der Tür aus laut zu. Beladen | |
und mit Wollmütze tritt sie hinaus in die Mittagshitze. | |
1 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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