# taz.de -- Debatte Populismus in Europa: Die Rückkehr der Eurokrise | |
> Drohende Neuwahlen in Italien bringen den Euro ins Wanken. Reformen | |
> müssen her und mehr Spielraum für progressive Politik schaffen. | |
Bild: Die unsichere Regierungsbildung in Italien ließ auch Aktienkurse in Peki… | |
Die Eurokrise ist zurück. Nachdem der italienische Staatspräsident Sergio | |
Mattarella am Freitag die Bildung einer euro-skeptischen Regierung aus der | |
Lega und der M5S-Bewegung [1][abgelehnt hatte], schossen die Risikoprämien | |
auf italienische Staatsanleihen so schnell in die Höhe wie nicht einmal | |
während der heißen Phase der Eurokrise 2012. Die Investoren machten sich | |
Sorgen, dass das Land nun auf Neuwahlen zusteuert, die aller Voraussicht | |
nach erneut eine Mehrheit für die Populisten bringen werden.Jetzt läuft | |
sogar doch [2][ein neuer Verhandlungsversuch] zur Regierungsbildung. | |
Tatsächlich ist der Euro heute so stark in seiner Existenz bedroht wie seit | |
2012 nicht. Was wir gerade in Italien erleben, ist eine Reinkarnation der | |
Eurokrise in einer neuen Form, auf die es mit den existierenden | |
wirtschaftspolitischen Instrumenten keine Antwort gibt. | |
In Italien sind euroskeptische Populisten nun so greifbar in die Nähe der | |
Macht gekommen, dass die Investoren erneut Angst vor einem | |
Auseinanderbrechen der Eurozone haben. Mehr noch als die – durchaus | |
unverantwortlichen – fiskalpolitischen Pläne dürften die Anleger ein | |
Szenario fürchten, in dem eine Populistenregierung entweder direkt den | |
Austritt aus dem Euro vorantreibt oder ein Referendum zum Euroaustritt | |
ansetzt. | |
Zwar mögen Euroaustritt und Euroreferendum gegen EU-Recht und die | |
italienische Verfassung verstoßen; die Anleger haben aber erkannt, dass die | |
rechtlichen Grundlagen weitgehend irrelevant sind, wenn im Land | |
währungspolitische Fakten geschaffen werden. Darum ziehen sie gerade | |
Milliarden von Euro aus Italien ab. | |
Reformen fahrlässig verschleppt | |
Gefährlich wird es, wenn die normalen italienischen Bürger auch noch | |
anfangen, ihre Bankeinlagen ins Ausland zu schaffen. Dank dem | |
Europäischen Binnenmarkt kann heute jeder Italiener vom heimischen | |
Computer aus seine Ersparnisse auf ein Konto in Deutschland überweisen. | |
Wenn das in großem Stil passierte, gerieten die italienischen Banken unter | |
Druck und müssten bei der Notenbank um Hilfskredite betteln – ohne | |
allerdings noch die eigentlich dafür notwendigen Sicherheiten zu haben. | |
Die Europäische Zentralbank und die europäischen Partner hätten in einer | |
solchen Situation keine guten Optionen: Sie können den Italienern schlecht | |
versprechen, dass ihre Bankeinlagen auf jeden Fall in Euro zurückgezahlt | |
werden – denn das würde einen Austritt aus dem Euro gerade noch attraktiver | |
machen, der ja die Verbindlichkeiten entwerten, die Ersparnisse schützen | |
würde. Und letztendlich können sie auch nicht damit drohen, dass bei einem | |
Euroaustritt auch die Ersparnisse in die neue Währung konvertiert würden – | |
denn das würde die Kapitalflucht beschleunigen. | |
Jetzt rächt sich, dass die Bundesregierung unter Angela Merkel das drohende | |
Problem der Eurozonenreform seit Jahren fahrlässig verschleppt hat. Seit | |
Beginn der Bankenunion 2014 hat es keine weiteren Reformen der | |
Eurozonenstruktur gegeben, obwohl auf Hunderten Seiten von Reports die | |
Notwendigkeit weiterer Schritte bei der Bankenunion und einer | |
Fiskalkapazität für die Eurozone dargelegt wurde. | |
Auch auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron von | |
vergangenem Herbst ist die Bundesregierung bislang eine echte Antwort | |
schuldig geblieben. Dabei wären gerade Macrons Vorschläge ein Weg gewesen, | |
die gefährliche Mischung aus politischer und Finanzkrise zu entschärfen. | |
Denn anders als viele Papiere der EU-Kommission oder der meisten Ökonomen | |
fokussieren Macrons Vorschläge nicht enge Fragen der Staatsverschuldung | |
oder des Bankensystems, sondern die politischen Grundlagen der Eurozone. | |
Eine herbe Enttäuschung | |
Und gerade dies hätte den Einfluss der Populisten begrenzen können. Viele | |
der Wähler von M5S sind keine europafeindlichen Reaktionäre. M5S hat – wie | |
andere Populisten in anderen europäischen Staaten – vielmehr einen | |
beträchtlichen Teil des Mitte-links-Spektrums aufgesogen, das in den | |
vergangenen Jahren das Vertrauen in den Euro verloren hat. Für viele dieser | |
Wähler bedeutete das europäische Projekt einst die Verheißung, | |
globalisierten Märkten auf europäischer Ebene etwas entgegenzusetzen, was | |
neuen Politikspielraum für progressive Politik schafft. | |
Für diese Wähler war das vergangene Jahrzehnt eine herbe Enttäuschung. | |
Nicht nur liegen die Pro-Kopf-Einkommen in Italien heute niedriger als vor | |
zehn Jahren, auch herrscht der Eindruck vor, wichtige Politikparameter | |
würden aus Brüssel oder durch die Finanzmärkte diktiert. Die Entscheidung | |
des Präsidenten, der Lega Nord und M5S trotz einer parlamentarischen | |
Mehrheit den Regierungsauftrag zu verweigern, wird dieses Gefühl nur weiter | |
stärken. | |
Macrons Vorschläge gehen genau auf diese Sorgen ein. Seine Ideen von | |
Wachstums- und Innovationspolitik, von europäischer Besteuerung von | |
Konzernen und Internetriesen versuchen europäische Souveränität und | |
Politikspielraum zu schaffen, wo nationaler Spielraum verloren gegangen | |
ist. Vielleicht hätte eine solche Politik nicht direkt viel | |
Wirtschaftswachstum in Italien gebracht. Es hätte aber zumindest den | |
Wählern das Gefühl vermittelt, dass ihre Sorgen und Wünsche ernst genommen | |
werden – und damit vielleicht den ein oder anderen davon abgebracht, für | |
die Populisten zu stimmen. | |
Ob sich die Situation in Italien jetzt noch entschärfen lässt, ist | |
fraglich. Es gibt aber auch wenige Anzeichen, dass die deutsche Regierung | |
ernsthaft die Ursachen des Problem erkannt hat. Das deutsche Establishment | |
scheint derzeit vielmehr auf eine Abschreckungsstrategie wie 2015 in | |
Griechenland zu setzen: Man hofft, den Wählern klarmachen zu können, wie | |
ökonomisch schmerzhaft es für sie wird, wenn sie für die Lega Nord oder M5S | |
bei weiter nicht auszuschließenden Neuwahlen stimmen. Offen bleibt, ob | |
diese Strategie aufgeht oder ob den Italienern nicht die gefühlte | |
Entscheidungsfreiheit wichtiger ist als die ökonomischen Konsequenzen – wie | |
es bei den britischen Wählern beim Brexit-Referendum der Fall war. | |
31 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Sebastian Dullien | |
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