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# taz.de -- Schwierige Regierungsbildung in Italien: Für Europa gefährlich
> Nach der Absage an den Wirtschaftsminister Paolo Savona steht Italien vor
> einer Neuwahl – und die EU vor erheblichen Hürden.
Bild: Wird es Carlo Cottarelli gelingen, eine Mehrheit im Parlament zu finden?
ROM/BRÜSSEL taz | Italiens neue Regierung ist geplatzt, bevor sie zustande
kam. Das Land steht nach dem Zusammenstoß zwischen den beiden verhinderten
Regierungsparteien Movimento5Stelle (M5S) und der Lega einerseits und dem
Staatspräsidenten Sergio Mattarella andererseits vor einer schweren
institutionellen Krise – und vermutlich vor [1][Neuwahlen.]
Die Krise begann am Sonntag gegen 20 Uhr, als der designierte
Ministerpräsident, der parteilose Juraprofessor [2][Giuseppe Conte], nach
einem letzten Gespräch mit Mattarella erklärte, er habe den Auftrag zur
Regierungsbildung zurückgegeben. Zuvor hatte Mattarella die Kabinettsliste,
die Conte ihm vorgelegt hatte, beinahe komplett abgesegnet – mit einer
Ausnahme: Er legte sein Veto gegen die Berufung des Ökonomen Paolo Savona
zum Schatzminister ein, in vollem Bewusstsein, dass Lega und Fünf Sterne
dieses Veto nie und nimmer akzeptieren würden.
Die beiden Parteien werfen Mattarella nun vor, mit seinem Machtwort seine
verfassungsmäßigen Rechte zu missbrauchen und die inhaltliche Ausrichtung
ihrer Regierung beeinflussen zu wollen. M5S und Lega hatten die
Parlamentswahlen vom 4. März mit 32,7 Prozent bzw. 17,4 Prozent klar
gewonnen und sich in langen Verhandlungen auf ein Regierungsprogramm sowie
auf den parteilosen Conte als Regierungschef verständigt.
Bis zu diesem Zeitpunkt war der Dialog der beiden
Anti-Establishment-Parteien mit Mattarella einigermaßen spannungsfrei
verlaufen, vor allem das Verhältnis des jungen M5S-Chefs Di Maio zum
Staatschef wurde als geradezu harmonisch beschrieben.
Doch mit der Harmonie war es spätestens am Donnerstag vorbei, als
durchsickerte, dass der Vorsitzende der stramm rechtspopulistischen, so
fremden- wie EU-feindlichen Lega, Matteo Salvini, den 81-jährigen
Wirtschaftsprofessor Paolo Savona zum Schatzminister ernannt sehen wollte.
## Ein Ökonom mit hohem Ansehen
Savona ist eigentlich durch und durch ein Mann des italienischen
Establishments, der Ökonom genießt in seiner Zunft hohes Ansehen, er war
schon einmal in den Jahren 1993–1994 im Technikerkabinett unter Carlo
Azeglio Ciampi Minister, er hatte Großunternehmen genauso geleitet wie den
Einlagensicherungsfonds der Banken.
Dennoch hat der alte Herr in Mattarellas Augen einen entscheidenden Makel.
Er fiel in der Vergangenheit mit äußerst kritischen Tönen zum Euro auf, in
seinen Augen eine Fehlkonstruktion, in der Deutschland den Nutzen, Italien
den Schaden davonträgt. In einem jetzt wieder ausgestrahlten
Fernsehinterview von 2010 ist allerdings keineswegs ein geifernder
Antieuropäer zu sehen, sondern ein Mann, der für den Ausbau der EU zur
politischen Union plädiert, da nur so der Euro auf Dauer tragfähig sei.
Savona allerdings nahm sich auch das Recht heraus, über einen „Plan B“ für
Italien nachzudenken, sollte die Gemeinschaftswährung scheitern. Zu viel
für Mattarella, der fürchtete, von so einem Schatzminister könne das fatale
Signal an Europa ausgehen, Italien habe jetzt dieses Schlüsselamt mit einer
Person besetzt, die den Euro sehr skeptisch sieht.
Doch Lega-Chef Salvini blieb hart. Schon letzte Woche hatte er deutlich
gemacht, die Lega habe für die Besetzung des Schatzministeriums keinen Plan
B. Stattdessen werde die gesamte Regierungsbildung platzen und das Land
notgedrungen zu Neuwahlen schreiten, wenn Mattarella bei seinem Nein zu
Savona bleibe.
## Vermittlung schwierig
Da nützte es wenig, dass Luigi Di Maio bis zuletzt zu vermitteln suchte,
wenig auch, dass Savona selbst am Sonntag eine Erklärung veröffentlichte,
in der es hieß: „Ich möchte ein anderes Europa, ein stärkeres, aber auch
ein gerechteres Europa“, wenig auch, dass das M5S auf den Koalitionsvertrag
hinwies, in dem sich die beiden Partner darauf festgelegt hatten, die
europäischen Vertragsverpflichtungen einzuhalten.
Mattarella blieb bei seiner kategorischen Ablehnung Savonas. Er habe die
„Unsicherheit unserer Position im Euro“, die „bei italienischen und
ausländischen Investoren Alarm ausgelöst“ habe, nicht hinnehmen können,
begründete er sein Nein zu Savona. Ihm obliege „der Schutz der
italienischen Sparer.“
Das sorgte für äußerst harsche Reaktionen der Lega und des M5S. Di Maio
äußerte sich empört darüber, dass man in Italien als Vorbestrafter Minister
werden könne, nicht aber, „wenn du den Euro kritisiert hast“, und legte
nach: „Dann sagen wir doch klar, dass es unnütz ist, wählen zu gehen, über
die Regierungen wird von den Ratingagenturen, von den Bank- und
Finanzlobbys entschieden.“ Auf einer M5S-Kundgebung ging er noch weiter und
forderte, das Parlament solle ein Impeachmentverfahren gegen Mattarella
einleiten“.
Er selbst habe sich loyal zur Verfassung verhalten, „nicht ich habe Sie
heute Abend verraten“, fügte er in offener Anspielung auf den Staatschef
hinzu. Lega-Chef Salvini drohte mit Straßenprotesten: „Morgen wollen wir
einen Termin für Neuwahlen, sonst kommen wir nach Rom.“
## Europa als Wahlkampfthema
Was für ein Wahlkampf dann auf Italien zukäme, lässt sich schon absehen.
Während das Thema Europa in der letzten Wahlkampagne keine Rolle spielte,
dürfte es in der nächsten Runde zentral werden – zusammen mit dem
Frontalangriff der beiden Antisystemparteien auf den Staatspräsidenten, der
in ihren Augen die Wähler um eine von ihnen mehrheitlich getragene
Regierung betrogen hat.
Mattarella will zunächst einem Techniker den Auftrag zur Regierungsbildung
erteilen, dem früheren IWF-Direktor und früheren Regierungskommissar für
Einsparungen im Staatshaushalt, Carlo Cottarelli. Ihm dürfte es kaum
gelingen, eine Mehrheit im Parlament zu finden, damit bliebe ihm die
Aufgabe, das Land zu Neuwahlen im September oder Oktober zu führen.
Davon verspricht sich vor allem die Lega viel. Sie konnte in den letzten
Wochen in den Meinungsumfragen auf bis zu 25 Prozent zulegen, und mit
einiger Sicherheit hätten die Anti-Establishment-Parteien auch im neuen
Parlament wieder eine Mehrheit.
## Ohne Italien keine großen Sprünge
Das sieht auf EU-Ebene anders aus: Die Populisten und Nationalisten sind
gescheitert, jetzt muss eine europafreundliche Regierung her! So lassen
sich die ersten Reaktionen aus Brüssel auf die geplatzte Regierungsbildung
zusammenfassen.
Am kämpferischsten gab sich EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Jetzt
komme es darauf an, „die Interessen des italienischen Volkes zu
garantieren, die mit denen der Europäischen Union übereinstimmen“, sagte
die sozialdemokratische Politikerin.
Außenstaatsminister Michael Roth (SPD) betonte: „Wir hoffen darauf, das es
alsbald zu einer stabilen, proeuropäischen Regierung in Italien kommt.“
Wichtig wäre dies vor allem mit Blick auf die geplante EU-Reform. Ohne
Italien sind beim EU-Gipfel Ende Juni keine großen Sprünge denkbar.
28 May 2018
## LINKS
[1] /Regierungsbildung-in-Italien/!5508483
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## AUTOREN
Michael Braun
Eric Bonse
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Italien
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