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# taz.de -- Kolumne Balkongespräche: Eine Mauer in der Stadt
> Leipzigs Osten gilt manchen als unsicher, anderen als weniger
> gentrifiziert als der Westteil. Trennt eine Mauer die ostdeutsche Stadt?
> Wohl nicht mehr lange.
Bild: Aus alt mach teuer: Leipzigs Altbauten werden nicht mehr lange erschwingl…
Meine Nachbarin sagt, der Leipziger Osten wird sich selbst überlassen: „Der
Politik sind wir egal, bei uns gibt’s eben nüscht zu holen“, schimpft sie
an einem Sommertag, nachdem es um die Ecke wieder eine Razzia gegeben hat.
Mehrmals im Monat passiert das mittlerweile. Viele im Viertel sind
beunruhigt – was passiert da Kriminelles hinter den zugeklebten Scheiben
der Shishabars und Spielhöllen?
Trotz oder gerade wegen der hohen Polizeipräsenz ist das subjektive
Sicherheitsempfinden in den östlichen Stadtgebieten denkbar schlecht:
Kürzlich fragte die Leipziger Volkszeitung, [1][ob die Zweinaundorfer
Straße die neue Eisenbahnstraße werde]. Gleich zwei „gefährlichste Straßen
Deutschlands“ in einer Stadthälfte? Wird der Leipziger Osten vergessen,
weil hier die Armen wohnen? Geht eine unsichtbare Mauer nicht nur durch
Gesamtdeutschland, sondern auch durch die Stadt?
[2][Das Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung hat kürzlich eine
Studie zur sozialräumlichen Spaltung in deutschen Städten veröffentlicht.]
Ergebnis: Reiche bleiben in der Stadt unter sich, Arme werden an den Rand
gedrängt. Keine große Überraschung, aber: Besonders in Ostdeutschland, das
sonst für seinen hohen Leerstand und billige Mieten bekannt ist, nimmt die
Spaltung zu. Die Forscher nennen die ostdeutsche Spaltungsdynamik
„historisch beispiellos“ und sprechen von „amerikanischen Verhältnissen�…
Die Segregation, also die soziale Entmischung von gesellschaftlichen
Schichten, liegt auch in Leipzig über dem Durchschnitt. Auch hier ist die
Ballung sichtbar, allerdings in Himmelsrichtungen: In Leipzig schlägt das
junge, weiße Hipsterherz vor allem im Westen, in Plagwitz und Schleußig,
und Süden mit Connewitz und der Südvorstadt. Der „Rand“ ist im Moment vor
allem der zentrumsnahe Osten und Nordosten. „Zieh nicht da hin, da ist
nichts los“, sagte mir eine Freundin, als ich meinen Mietvertrag für meine
Wohnung in Anger-Crottendorf unterschreiben wollte.
Das Prekariat wohnt hier im günstig sanierten Altbau
Man kann die Mauer, die den Süden und Westen vom Nordosten trennt, auf den
farbigen Statistiken der Stadt Leipzig ablesen. In den (nord-)östlichen
Stadtbezirken gibt es die geringsten Wahlbeteiligungen und die meisten
Erwerbslosen, fast jeder dritte Leistungsempfänger in der Stadt wohnt dort.
Das Prekariat wohnt hier nicht in der Platte, sondern in unfertigen
Straßenzügen nahe dem Zentrum, in günstig sanierten Altbauten mit Laminat
und den Standardtüren und -Einbauküchen aus Buchennachbildung. Daneben
stehen oft leere, verrottende Gebäude mit eingeworfenen Fenstern, um die
sich die Eigentümer nicht kümmern. Noch.
Denn schon seit Jahren wird Leipzigs Osten eine Zukunft mit hippen Läden
und hohen Mieten prophezeit. Auf der Eisenbahnstraße steigen die Mieten
trotz des schlechten Images, Großinvestoren haben ganze Straßenzüge
gekauft. Natürlich passiert das nicht nur im Osten der Stadt – im
ehemaligen Arbeiterbezirk Plagwitz ist die Gentrifizierung bereits weit
vorangeschritten.
Besonders die CG-Gruppe baut hier derzeit Eigentumswohnungen und
Mietwohnungen – zum doppelten örtlichen Quadratmeterpreis. [3][In der
gerade ausgestrahlten, dreiteiligen WDR-Dokuserie „Ungleichland“] kann
können Zuschauer den Unternehmensgründer Christoph Gröner dabei begleiten,
wie er die neuen Wohnblöcke besichtigt und die hohen Mieten rechtfertigt:
„Das hat Ausdruck, das hat Stil, hat Qualität, das hat 'ne Seele.“ Die
Kamera schwenkt ironisch auf die geklonten Balkons am Neubau, und man weiß
vor dem Fernseher nicht, ob man lachen oder weinen soll.
Die Mieten sind in fünf Jahren um ein Viertel gestiegen
Nach eigenen Angaben baut die Unternehmensgruppe jedes zweite neue Gebäude
in Leipzig. Und auch der berüchtigte Aktienkonzern Vonovia begegnet
Wohnungssuchenden in jeder dritten Anzeige. Für die Anwohner bedeutet das:
Die Mieten in der Stadt steigen rasant, allein in den letzten fünf Jahren
um ein Viertel. Und der Osten, so kann man prophezeien, ist als nächstes
dran, denn in den zentrumsnahen Stadtteilen gibt es noch viel zu holen.
Reudnitz, das mit dem Rad unter zehn Minuten von der Uni entfernt liegt,
ist schon mittendrin in der Aufwertung, hier stehen bestens angebundene,
luxussanierte Wohnungen seit Monaten bei den Immobilienportalen – die
Mieten sind dann doch zu hoch. Zumindest für die, die schon länger hier
wohnen und Ostlöhne beziehen.
Doch wenn die Stadt weiter so rasant wächst, werden sich Leute finden, die
diese Mieten bezahlen werden. Zum Beispiel Studierende, die aus anderen
Städten noch höhere Mieten gewohnt sind, und die ohnehin deutschlandweit
den gleichen Bafögsatz oder Unterhaltsanspruch haben. Aber auch
Besserverdienende werden die Mieten für Altbauwohnungen, von denen es in
kaum einer westdeutschen Großstadt so viele gibt, gern bezahlen.
Während es derzeit also noch ein ablesbares, spürbares Gefälle zwischen Ost
und West in Leipzig gibt, deutet sich die Veränderung schon an: In wenigen
Jahren werden sich die zentrumsnahen Bezirke in allen Himmelsrichtungen,
West wie Ost, Nord wie Süd, in Sachen Gentrifizierung immer mehr
angleichen. Die Prekarisierten werden dann verdrängt, weiter ins westliche
Grünau oder ins östliche Paunsdorf. Die unsichtbare Mauer würde dann die
Stadt nicht mehr länger in Ost und West teilen – sondern, wie fast überall
in Deutschland, in Zentrum und Rand.
25 Jun 2018
## LINKS
[1] http://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Drogen-Raub-G…
[2] https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2018/p18-001.pdf
[3] https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/die-story/video-ungleichland-…
## AUTOREN
Helke Ellersiek
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Gentrifizierung
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soziale Ungleichheit
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