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# taz.de -- Assaf Gavron über seinen neuen Roman: „Die Gegenwart ist furchtb…
> Der israelische Autor kritisiert die Politik in seinem Heimatland offen.
> Ein Gespräch über die Siedlungen, Boykotte und sein neues Buch.
Bild: Assaf Gavron bei einer Lesung in Köln
taz am wochenende: Herr Gavron, Sie sind im Grunde englischer
Muttersprachler, Ihre Eltern sind aus England nach Israel eingewandert.
Übersetzen Sie Ihre Romane eigentlich selbst ins Englische?
Assaf Gavron: Teils, teils. Dieses neue Buch ja, genau wie mein erstes. Für
den Roman „Auf fremdem Land“ hatte ich mich entschieden, es von einem
richtigen Übersetzer machen zu lassen, weil die Sprache dort anders ist,
literarischer. Mein Englisch ist nicht zu hundert Prozent muttersprachlich.
Meine Eltern sind zwar Briten, und ich bin mit Englisch aufgewachsen, aber
meine erste Sprache ist doch Hebräisch.
Mit „Auf fremdem Land“ haben Sie bisher die meiste Aufmerksamkeit erregt.
Der Roman spielt in den besetzten Gebieten, in den jüdischen Siedlungen.
Welche Art von Diskussion kann man sich vorstellen, die in Israel der
Veröffentlichung eines Romans mit diesem Thema folgt?
Ich hatte großen Erfolg damit, habe einen wichtigen Preis dafür bekommen
und tolle Kritiken. Und das über die ganze politische Bandbreite hinweg, in
rechten wie in linken Zeitungen. Ich glaube, die Leute wussten zu schätzen,
dass das Buch kein politisches Manifest für eine Seite war. Es war einfach
eine Geschichte über die Leute, von denen es handelte.
Haben Sie sich beim Schreiben sehr bewusst für eine möglichst neutrale
Haltung entschieden?
Ich habe persönliche Ansichten, und ich verstecke sie keineswegs. Ich finde
nur nicht, dass ein Roman der Ort ist, sie zu äußern. Aber morgen zum
Beispiel nehme ich an einem Event teil, bei dem es um das Buch der
Organisation [1][“Breaking The Silence“] geht. Es ist ein Buch über die
Besatzung. Ich bin sehr stolz, daran beteiligt zu sein, und halte das für
eine wichtige Sache. Und mit „Auf fremdem Land“ ist es so – wenn man den
Roman liest, versteht man wahrscheinlich schon, woher ich komme. Ich glaube
nicht, dass man das lesen und dabei von der Sache der Siedler überzeugt
werden kann.
Und wenn man schon Siedler wäre und den Roman lesen würde?
Ich war ein paar Mal mit dem Buch auf Lesungen in Siedlungen, erst letzten
Monat wieder, ganz nah bei Jerusalem. Keine sehr extreme Siedlung, weder
politisch noch geografisch. Ich war von einer Lesegruppe eingeladen worden,
die überwiegend aus Amerikanerinnen bestand. Sie hatten den Roman in
englischer Übersetzung gelesen, und auch unser Gespräch fand auf Englisch
statt. Sie hatten gar nicht das Gefühl, dass das Buch von ihnen handelte,
weil es darin um einen viel extremeren und kleineren Außenposten geht.
Aber trotzdem: Sie sind auch Siedler – und stolz darauf. Und das Buch
gefiel ihnen. Ich habe in dem Gespräch sogar ein paar Dinge gelernt, die
ich, als ich den Roman schrieb, nicht wusste. Es gibt zum Beispiel ein
Kapitel über den Sabbat. Schon am Freitagnachmittag wird dann immer alles
ganz ruhig, irgendwie entspannt. Aber sie sagten, ja, gut, aber was ist mit
dem enormen Druck vorher? Es gibt nämlich diesen ganz bestimmten
Augenblick, wenn der Sabbat anfängt; in Jerusalem tönt dann eine Sirene.
Nach diesem Moment darf man 24 Stunden lang gar nichts mehr tun. Also muss
alles vorher vorbereitet sein, das ganze Essen, alles. Das ist großer
Stress für die Frauen, und das war mir nicht klar. Die Männer haben diesen
Druck nicht, die müssen vielleicht nur etwas schneller fahren, um
rechtzeitig zu Hause zu sein.
Stimmt es, dass Sie einen [2][Boykott] der besetzten Gebiete befürworten
würden? In Deutschland gab es eine große Diskussion darüber, ob man
Produkte aus den Siedlungen kennzeichnen sollte.
Ich bin klar gegen einen kulturellen oder akademischen Boykott von Israel.
Die einzige Art von Boykott, die ich vielleicht unterstützen würde, wäre
ein ökonomischer. Und ganz besonders, was Produkte aus den Siedlungen
betrifft. Ich weiß nicht, wie es mit den Dingen ist, die man in Deutschland
zu kaufen bekommt, aber in Tel Aviv kommt es vor, dass bewusst verschleiert
wird, wenn etwas aus den Siedlungen kommt.
Wie wird das gemacht?
Es gibt zum Beispiel einen Zwischenhändler im Scharon, einem Gebiet
nördlich von Tel Aviv, innerhalb Israels. Die Adresse dieses
Zwischenhändlers steht dann auf der Packung. Das ist nicht immer Absicht,
aber manchmal schon. Bei Wein ist es einfach, da steht drauf, woher er
stammt. Bei frischem Gemüse ist es am schwierigsten. Ich selbst versuche
möglichst keine Produkte aus den Siedlungen zu kaufen. Aber ich gucke auch
nicht jedes Mal so genau hin.
Die Personen in Ihrem neuen Roman, „Achtzehn Hiebe“, trinken einen Wein aus
den Siedlungen, der immer wieder sehr gut gelobt wird. Es ist fast so eine
Art Running Gag.
Ja, das ist so ein kleiner satirischer Einschlag im Buch, dass die Personen
jedes Mal sagen, oh, der kommt zwar aus den Siedlungen, aber es ist so ein
guter Wein! Her damit!
„Achtzehn Hiebe“ ist eine Art Krimi mit historischem Hintergrund. Wie kamen
Sie auf die Idee, ein Buch über die Zeit des britischen Mandats in
Palästina zu schreiben?
Ich hatte den Wunsch, eine israelisch-britische Geschichte zu schreiben.
Das sind die zwei Teile meiner Identität, und diese Dualität wollte ich in
mein Schreiben einbringen. Die Mandatszeit ist die historische Periode,
die sich dafür anbietet. Aber ich wollte von ihr aus der
Gegenwartsperspektive erzählen. Mir gefällt der Gedanke, dass unter uns
immer noch Menschen sind, die damals gelebt haben, die diese Erinnerungen
in ihren lebenden Körpern tragen. Ich wollte, dass die Geschichte von alten
Menschen handelt, die damals jung waren.
Über Menschen zu schreiben, die jetzt alt und Zeitzeugen für frühere
Geschehnisse sind, hätte ja auch bedeuten können, über
Holocaust-Überlebende zu schreiben.
Das gibt es natürlich sehr oft, und natürlich ist das sehr wichtig. Aber es
ist nicht mein Thema. Ich habe zur Holocaust-Thematik keine starke
Beziehung. Meine Eltern waren damals in England, sie haben nicht direkt
unter der Judenverfolgung gelitten. Ohne den Holocaust wären sie zwar keine
Zionisten geworden, hätten sich nie getroffen, und ich würde jetzt gar
nicht existieren, aber trotzdem. Ich bin nicht mit diesen Geschichten, in
dieser Atmosphäre aufgewachsen. Ich kannte das allerdings über Freunde, bei
anderen Familien. Und natürlich wird es immer wieder hochgekocht, besonders
von Netanjahu.
Der das Thema gezielt politisch nutzt?
Oh ja, ständig. Um Ängste zu schüren und Israel in der Opferrolle
darzustellen.
Wie sehen Sie die politische Zukunft Israels?
Natürlich mache ich mir Sorgen. Vor allem über die Gegenwart, die furchtbar
ist. Ich möchte gern glauben, dass es unmöglich ist, einen solchen Zustand
wie den jetzigen – die Besatzung zum Beispiel – noch sehr viel länger
aufrechtzuerhalten. Aber das ist sehr schwer vorauszusagen. Wir haben eine
gefährliche Regierung, aber gleichzeitig haben die Leute nicht das
dringende Bedürfnis, sie abzuwählen, weil sie gerade in relativ großer
Sicherheit leben – und in relativ großem Wohlstand. Es ist eine merkwürdige
Situation. Wir Linken haben das Gefühl, wir rufen ins Leere, und niemand
hört zu. Wir halten die Besatzung für falsch, wir halten die Art, wie man
Flüchtlinge behandelt, für falsch. Aber die meisten Leute haben mit alldem
kein größeres Problem, und das ist beängstigend.
Ist die Wahrnehmung richtig, dass die israelische Linke an
gesellschaftlichem Einfluss verliert?
Ja, wir werden weniger. Und im großen Spiel mit der politischen Macht gibt
es niemanden mehr, der eine echte Alternative anbieten würde. Die Labour
Party ist keine Alternative mehr zu Netanjahu. Und die Parteien der Mitte
unterstützen ihn.
In Berlin hat sich in den eine Art israelischer Community gebildet. Meinen
Sie, dass manche Leute auch aus politischer Frustration auswandern?
Das ist wahrscheinlich eine Minderheit. Ich glaube, die meisten gehen nach
Berlin, weil es billiger ist. Außerdem ist die Atmosphäre ziemlich
freundlich. Die Deutschen sind nett zu Israelis, verglichen mit Franzosen
oder Briten. Der einzige Ort, wo es wirklich leicht ist, Israeli zu sein,
ist New York. New York ist sehr jüdisch, man fühlt sich dort zu Hause. Aber
danach kommt gleich Berlin. Es ist hier viel offener als in anderen
europäischen Ländern. Was Sie vorhin über den Boykott sagten, ist ein
Beispiel: dass es hierzulande kontrovers ist, auch nur das Westjordanland
zu boykottieren. In [3][Frankreich] oder England hat man damit kein
Problem.
Haben Sie selbst schon darüber nachgedacht, wie es wäre, dauerhaft
anderswo zu leben?
Oh, ich habe an etlichen Orten gelebt, in England, Amerika, auch ein Jahr
in Berlin. Aber ich fühle mich dort nicht zu Hause. Ich habe einen
britischen Pass, ich spreche die Sprache, habe Familie dort – und trotzdem.
Zu Hause fühle ich mich nur in Israel.
4 Jun 2018
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## AUTOREN
Katharina Granzin
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