# taz.de -- Romanautor Assaf Gavron: "Alles in Israel ist fragil" | |
> Im Roman "Ein schönes Attentat" trifft das hedonistische Tel Aviv auf die | |
> Wirklichkeit. Warum er die israelische neben die palästinensische | |
> Befindlichkeit stellt, erzählt Autor Assaf Gavron. | |
Bild: Auch das ist Tel Aviv: Gemeinsames Yoga in einem Linienbus. | |
taz: Herr Gavron, Ihre Romanfigur Eitan Einoch überlebt innerhalb von nur | |
einer Woche drei Bombenanschläge in Israel. Ist das nicht ziemlich | |
übertrieben? | |
Assaf Gavron: Die Geschichte sollte extrem sein, eine Art Überhöhung der | |
Realität, mit der ich auf die tatsächliche Situation aufmerksam mache. Das | |
macht den Charakter des Buchs aus: Teils ist es eine Parodie, teils | |
realistisch, teils lustig, teils traurig und surreal. | |
Warum wird der Palästinenser Famih - neben Eitan die zweite Hauptfigur | |
Ihres Romans - zum Terroristen? | |
Famih ist sehr stark beeinflusst durch seinen Bruder und durch seinen | |
Glauben. Er ist sich allerdings nie ganz sicher, was er will - bis zum | |
letzten Moment nicht, als er beim Werfen der Bombe zögert. | |
Neben familiären und religiösen Motiven spielt auch der Zufall eine Rolle? | |
Der Zufall spielt insgesamt eine große Rolle. Zufällig jemanden zu treffen, | |
zufällig zehn Minuten früher aus dem Bus auszusteigen, in dem eine Bombe | |
hochgehen wird. Alles in Israel ist manchmal sehr fragil, man weiß nie, was | |
als Nächstes passieren wird. | |
Warum wechseln in dem Roman so oft die Perspektiven zwischen Israelis und | |
Palästinensern? | |
Die Entscheidung, aus doppelter Perspektive zu schreiben, fiel sehr früh. | |
Die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern kommt nicht aus dem Nichts. | |
Sie hat ihre Gründe, und die wollte ich beschreiben. Ein Punkt, an dem es | |
schwieriger wurde, war, die richtige Stimme für den Palästinenser zu | |
finden. | |
Wie haben Sie dafür recherchiert? | |
Während der ersten Intifada war ich Soldat und etwa fünf Monate in Gaza | |
stationiert. Dort habe ich den palästinensischen Alltag erlebt - in den | |
Dörfern, in den Häusern, in den Flüchtlingslagern. Wir sind selbst auch in | |
die Häuser eingedrungen, um nach Leuten zu suchen. Das war das erste Mal, | |
dass ich so nah am palästinensischen Leben war. Als ich anfing, das Buch zu | |
schreiben, hatte sich jedoch vieles geändert. Als ich da war, flogen | |
Steine. Bei der zweiten Intifada gab es Selbstmordattentate und | |
Schießereien, und die Reaktion der israelischen Armee war viel härter. Ich | |
bin also gereist, so gut es ging, habe dokumentarisches Material gesucht | |
und mit Palästinensern gesprochen. Zwei Lehrer haben mir sehr geholfen, die | |
Hebräisch an der Universität von Gaza unterrichten. | |
Repräsentiert Eitan die junge Generation in Israel? | |
Eitan ist ein typischer, junger hedonistischer Tel Aviver. Anfangs ist er | |
manchmal zynisch und sehr verschlossen. Dann ändert sich plötzlich alles | |
für ihn, die Realität bricht in sein Leben ein, und am Schluss öffnet er | |
sich viel stärker. | |
Und Famih? | |
Famih repräsentiert eine sehr kleine Minderheit; die meisten Palästinenser | |
sind natürlich keine Mitglieder von Terrorgruppen. Aber jenseits der | |
Tatsache, dass Famih ein Terrorist ist, hoffe ich, dass die Beschreibung | |
seines Alltags, seiner Gefühle und seiner Bemühungen, ein normales Leben zu | |
führen, in gewisser Weise schon palästinensisches Leben repräsentiert. | |
Gibt es in Ihrem Buch Opfer und Täter? | |
An der Oberfläche ist es offensichtlich: Der eine plant einen | |
terroristischen Anschlag, der andere wird attackiert. Aber genau diese | |
Stereotype will ich aufbrechen. Der Terrorist ist ein recht freundlicher | |
junger Mann, der seine Schwester und seine Musik liebt. Und das sogenannte | |
Opfer verhält sich wiederum sehr grausam gegenüber seiner Freundin. | |
Ein Journalist schrieb, Ihr Buch sei für Israelis sehr provokant. | |
Die Provokation liegt schon allein darin, eine palästinensische Figur | |
darzustellen, noch dazu Mitglied einer Terrorgruppe. Außerdem schreibe ich | |
in der ersten Person - was dazu führt, dass man sich als Leser leichter mit | |
diesem Palästinenser identifiziert. Viele Israelis denken, dass solchen | |
Leuten keine Stimme gegeben werden sollte, aber ich sehe das anders. Ich | |
kann mir vorstellen, woher die Gewalt kommt, ich kann das verstehen. Das | |
heißt ja nicht, dass ich Famih zustimme. | |
Wird Ihr Roman auch von Palästinensern gelesen? | |
Lesen ist dort leider fast schon Luxus. Es gibt kaum Buchhandlungen in | |
palästinensischen Städten. Und mein Buch wurde bisher auch nicht übersetzt. | |
Der Roman endet mit sehr viel Leid und Tod. | |
Ich konnte einfach kein Happy End schreiben, nicht in dieser Situation. Wir | |
sind in dieser Situation gefangen, obwohl niemand das so will. Vielleicht | |
schaffen wir es irgendwann, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. | |
Interview: PATRICIA HECHT | |
"Ein schönes Attentat". Luchterhand Literaturverlag, München 2008. 352 | |
Seiten, 19,95 . Assaf Gavron liest am 12. April in der Berliner | |
Volksbühne. | |
12 Apr 2008 | |
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Literatur | |
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