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# taz.de -- Kolumne Right Trash: Ein Diskurs zum Würgen
> Rechte Medien und Twitterer sind nicht an einem Diskurs interessiert. Sie
> in Massen zu blocken, wie es Jan Böhmermann empfiehlt, ist nicht
> totalitär.
Bild: Verfolgt seine Gegner unerbittlich: Recep Tayyip Böhmermann
Ich bin von der AfD auf Twitter geblockt worden. Wenn ich beispielsweise
die Tweets von Alice Weidel, Beatrix von Storch oder Alexander Gauland
lesen will, geht das nicht. Ebenso nicht, wenn ich dem Twitter-Account „AfD
im Bundestag“ folgen möchte oder zahlreichen anderen, unwichtigeren
AfD-Accounts. Zwar twittere ich öfter kritisch über die AfD, aber
interagiert habe ich mit all diesen Konten noch nicht – wie kommt es, dass
ich von so vielen geblockt wurde? Weil [1][die AfD wahrscheinlich mit
Blocklisten arbeitet].
Seit gut einer Woche sind rechte bis rechtsextreme InfluencerInnen auf
Twitter in Aufruhr, weil seitdem eine andere Blockliste kursiert: Jan
Böhmermanns Redaktion hat [2][mehr als 1.000 Konten zusammengetragen], die
entweder Bezüge zum rechten Netzwerk „Reconquista Germanica“ haben oder
zumindest „rechte Trolle“ sein sollen – darunter auch
AfD-Bundestagsabgeordnete und rechte PublizistInnen wie Roland Tichy. Die
Listen werden unter einem Youtube-Video als in Twitter importierbare
Blocklisten angeboten. Seitdem prahlen rechte TwittererInnen wahlweise
damit, dass sie auf der Liste sind, oder beschweren sich über „Stasi 2.0“.
Eine [3][ähnliche These vertritt auch der Zeit-Autor Jochen Bittner]: Er
vergleicht die Böhmermann-Aktion mit dem Orwell-Roman 1984, mit dem
Vorgehen von Erdoğan-Freunden und US-Präsident Donald Trump, spricht von
einem totalitären Trend und von totalitärem Denken und vom Abwürgen des
Diskurses. Es ist eine steile These, die schlicht falsch ist, denn der
Autor hat weder den Totalitarismus noch die Meinungsfreiheit verstanden –
und auch nicht, dass es rechten Medien und InfluencerInnen nicht um einen
Diskurs geht.
Oder um es anders zu sagen: Es ist das gute Recht der AfD, Blocklisten
anzulegen. Es ist lächerlich und inkonsequent von einer Partei, die sonst
von „Freiheit“ und „Mut zur Wahrheit“ spricht – aber wenn sie sich vo…
genervt fühlt, kann sie mich gerne ignorieren. Dass die AfD Blocklisten
anlegt, ist nicht der Grund, warum die AfD totalitär ist.
Dass Böhmermann es Menschen einfach ermöglicht, rechten Müll auf Twitter
nicht sehen zu müssen, ist ebenfalls nicht totalitär – eher im Gegenteil:
Es ist Abwehr gegen eine seit Monaten und Jahren andauernden rechten
Propagandakampagne.
## Die Freiheit einer Demokratie
Wenn die 1968er zum Boykott des Springer-Verlages aufriefen und
anschließend ihr Leben lang keine Bild-Zeitung mehr kauften, war dies nicht
totalitär, sondern Teil der Freiheit einer demokratischen Gesellschaft.
Wenn heute „besorgte Bürger“ zu einem taz-Boykott aufrufen würden und
anschließend kein Neonazi deutschlandweit eine taz kaufen würde, wäre dies
auch kein totalitärer Trend. Es ist nicht mal besonders abwegiges Verhalten
auf einem freien Markt. Meinungsfreiheit ist eben Äußerungsfreiheit, nicht
das Recht, gehört zu werden. Und das gilt auch auf Twitter: Wenn Tausende
Leute bestimmte Inhalte nicht rezipieren wollen und sich dabei gegenseitig
unterstützen, ist das ihr Recht.
Als Grundrecht richtet sich die Meinungsfreiheit auch vor allem an den
Staat. Der Staat darf nicht in die freien Meinungsäußerung der BürgerInnen
eingreifen – weshalb es ein Problem ist, wenn der türkische Präsident
Oppositionelle in den Knast steckt und es duldet, wenn seine Unterstützer
eine passende Kampagne fahren. Ebenso problematisch ist es deshalb, wenn
der US-Präsident seine Öffentlichkeit auf Twitter nutzt, um gegen die
Medien zu hetzen. Diese Konstellation, dass Staatsoberhäupter sich
einmischen, ist es, die Erdoğan und Trump autoritär macht.
Worum geht es aber bei den Listen, die Jan Böhmermann offenbar hat
anfertigen lassen? Ich habe einen guten Teil des vergangenen Jahres damit
verbracht, [4][rechte Publizistik von Cicero über Compact bis „PI News“
auszuwerten] und dabei den automatisierten [5][Twitter-Account
„DieRechteBlase“ angelegt], der mehrere hundert rechte Twitterkonten
auswertet und jene Texte aus regulären Medien twittert, die dort besonders
beliebt sind.
Viele der größeren Konten, die auf Böhmermanns Liste stehen, stehen auch
auf der Liste von „DieRechteBlase“. Sie stehen ebenfalls auf der Liste
[6][von Netzpolitik und Tagesspiegel], die AfD-UnterstützerInnen auf
Twitter identifizierten und auf der Liste des Journalisten Michael Kreil,
der [7][Twitterkonten identifiziert hat, die Falschmeldungen verbreiten].
Es gibt also eine große Überschneidung zwischen den Twitterblasen, die
Falschmeldungen verbreiten, sich zu Hassposts verabreden und die AfD
unterstützen – auch wenn das nicht für jeden einzelnen Account gilt.
## Es gibt von rechts keinen Diskurs
Bei rechten bis rechtsextremen Medien wie Compact, Junge Freiheit oder „PI
News“ gilt: Sie [8][sind keine Vollmedien], die ausführlich und ausgewogen
über Nachrichten berichten. Im Gegenteil: sie haben eine deutliche Agenda.
Kernthemen sind die Gegnerschaft zum „Establishment“, Opposition zu linken
Parteien, insbesondere den Grünen, Ablehnung von Einwanderung, insbesondere
Ablehnung von Flüchtlingen und „Kritik“ am Islam. Und wenn es so etwas wie
ein [9][Schwarzbrot dieses rechten Journalismus gibt], dann ist dieses
Kriminalität von nicht-weißen Menschen.
Man kann das Prinzip auf den Punkt bringen: Seit Silvester 2015/2016 sind
Angriffe auf Frauen ein wichtiges Thema am rechten Rand, seit der Debatte
um Paragraf 219a ist auch der Schutz ungeborenen Lebens ein wichtiges
Thema, Gewaltkriminalität ist sowieso ein Dauerbrenner. Und dennoch war der
[10][Angriff auf eine schwangere Frau in Wurzen] keinem einzigen rechten
Medium keine einzige Meldung wert. Warum? Sie stammt aus Eritrea und ihre
Angreifer sind vermutlich Neonazis. In der rechten Agenda können Schwarze
nur kriminell sein, nicht von Kriminalität betroffen. Und bei allen
Bekenntnissen, dass man Linksextremismus genauso schlimm finde wie
Rechtsextremismus, gilt auch: Für rechte Medien ist Rechtsextremismus
selten eine Meldung wert.
Bei seiner Analyse von FalschmeldungsverbreiterInnen beobachtete Michael
Kreil außerdem ein interessantes Phänomen: Die rechten TwittererInnen
folgten alle Konten, die auch die Richtigstellungen der Falschmeldungen
verbreitet hatten. Sie waren also in der Lage zu wissen, dass eine Meldung
falsch gewesen war – aber sie verbreiteten die Richtigstellung nicht
weiter. Offenbar gab es also ein Interesse daran, die Falschmeldung
unkorrigiert zu lassen.
Auch das zeigt: Es gibt hier keinen Diskurs, der angestrebt wird, keine
Position, die diskutiert oder gesucht wird, kein Abrücken von
vorgefertigten Meinungen. Man kann ihn deshalb auch nicht – wie Jochen
Bittner es postuliert – „abwürgen“.
11 May 2018
## LINKS
[1] http://digitalpresent.tagesspiegel.de/afd-unterstuetzernetzwerk
[2] https://www.youtube.com/watch?v=QENgc1eNfck
[3] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-05/jan-boehmermann-reconquista…
[4] /!t5385102/
[5] /!5406889/
[6] http://digitalpresent.tagesspiegel.de/afd-unterstuetzernetzwerk
[7] /!5473411/
[8] /!5379136/
[9] /!5397178/
[10] http://www.sueddeutsche.de/news/politik/extremismus---wurzen-vermummte-sch…
## AUTOREN
Lalon Sander
## TAGS
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