# taz.de -- Vorwurf zum Kopftuchprotest im Iran: Ein Retweet ist noch kein Femi… | |
> Ein „Zeit Online“-Autor wirft deutschen Feministinnen fehlende Haltung | |
> gegenüber den Protesten im Iran vor. Doch er schaut nicht genau genug | |
> hin. | |
Bild: Studentinnen an der Universität in Teheran | |
Seit Ende Dezember finden im Iran feministische Proteste statt. Auf der | |
Straße nehmen Frauen demonstrativ ihr Kopftuch ab. Die 31-jährige Vida | |
Movahed ist Vorreiterin dieser Bewegung – am 27. Dezember stieg sie auf | |
einen Stromkasten an einer belebten Teheraner Kreuzung und schwenkte ihr | |
Kopftuch an einem Stock gen Himmel. | |
Die Nachahmerinnen von Movaheds Aktion posten unter dem Hashtag | |
[1][#GirlsOfRevolutionStreet] Videos ihres Widerstands im Netz. Die Polizei | |
in der iranischen Hauptstadt Teheran hat wegen Verstößen gegen die | |
„öffentliche Ordnung“ mindestens 29 protestierende Frauen festgenommen. | |
Seit knapp 40 Jahren ist der Kopftuchzwang Gesetz im Iran. | |
In deutschen Medien wurde in den vergangenen Wochen [2][vielfach über den | |
iranischen Protest gegen den Verhüllungszwang geschrieben] – einer der | |
jüngsten Beiträge stammt vom 7. Februar und [3][erschien auf Zeit Online]. | |
Der Autor Jochen Bittner nennt das Kopftuch ein ambivalentes Symbol, das | |
sowohl für Unterdrückung als auch für religiöse und emanzipatorische | |
Freiheit stehen kann. | |
Das Ende seines Artikels sorgt im Netz seit einem Tag für Diskussionen. | |
Bittner schreibt hier: „Einige prominente Frauen in Deutschland, die sich | |
Feministinnen nennen“ würden auf ihren „Twitter-Kanälen zu den Protesten … | |
Iran […] auffällig schweigen.“ Auch im Teaser des Artikels steht: „Mutige | |
iranische Frauen legen das Kopftuch ab. Und wie reagiert Deutschland? Mit | |
falscher Zurückhaltung.“ | |
[4][In einem späteren Tweet] nennt Bittner konkret die Namen der gemeinten | |
Feministinnen – das sind Magarete Stowkoski (@marga_owski) und Teresa | |
Bücker (@fraeulein_tessa). Bittner fügt hinzu, ihm sei vollkommen unklar, | |
warum die hiesigen Feministinnen den Protesten im Iran „nicht mal einen | |
(Re)Tweet würdigen“. Dazu finden sich weitere Twitterkommentare von anderen | |
Usern, die den Feministinnen direkt oder indirekt einen | |
„First-world-lifestyle-Feminismus“ vorwerfen. Man könnte das jetzt als | |
einen nicht seltenen Versuch abtun, Empörung auf Twitter zu generieren – | |
oder eben diese Fragen dazu stellen: Ist ein (Re)Tweet auf Twitter wirklich | |
ein zwingendes Indiz für gesellschaftliches Engagement? Müssen alle | |
Feministinnen öffentlich zu jedem Thema Stellung beziehen? Ist der Vorwurf, | |
sich zu etwas nicht zu äußern, gerechtfertigt? | |
Zu der ersten Frage twitterte Teresa Bücker, Chefredakteurin des | |
Frauen-Business-Magazins Edition F, prompt an Bittner: „Ich darf mich also | |
nur Feministin nennen, wenn ich in einem von Ihnen als angemessen | |
definierten Zeitraum über ein feministisches Thema twittere?“ – Denn ja, es | |
gibt noch andere Möglichkeiten, Stellung zu Themen zu nehmen als mit einem | |
schnellen Post auf Twitter oder in anderen Sozialen Netzwerken. Umgekehrt | |
heißt ein Post auf Twitter nicht immer, dass man sich tatsächlich eines | |
Themas annimmt. | |
Man kann sich auf Podiumsdiskussionen oder in Redaktionskonferenzen für | |
feministische Themen einsetzen. Oder man kann Entwicklungen erst einmal | |
beobachten, um diese später genauer einordnen zu können. Bücker schrieb an | |
Bittner auf Twitter deshalb: „Ich finde das Thema relevant und es kommt für | |
EDITION F auch in Frage, eine Kollegin schreibt bald etwas.“ | |
## Mansplaining und Whataboutism | |
Margarete Stokowski hat am Donnerstag einen Tweet zu den Protesten im Iran | |
retweetet – vielleicht spricht sie gerade irgendwo über dieses Thema, | |
vielleicht denkt sie gerade über einen Text dazu nach. Vielleicht aber auch | |
nicht – dafür äußert sie [5][sich seit Monaten neben und in ihrer | |
SPON-Kolumne „Oben und unten“ zu zahlreichen anderen feministischen | |
Debatten]. Vor allem zu #MeToo. Eine wichtige Bewegung gegen | |
sexualisiertere Gewalt und alles andere als | |
First-World-Lifestyle-Feminismus. | |
Der Einsatz für mehr Emanzipation ist komplex, er betrifft viele | |
gesellschaftliche Felder, die behandelt werden möchten. Nicht über alle | |
können alle parallel sprechen – das müsste eigentlich klar sein. Besser als | |
Feministinnen zu belehren ist es deshalb, nachzufragen: „Warum twitterst du | |
nicht darüber?“ Für seinen Zeit-Online-Artikel hat Bittner das auch getan | |
und bekam genau diese Antworten. Noch war keine Zeit dafür. Stokowski hat | |
Bittner auf diese „Schwerpunktsetzungen von Feministinnen“ [6][bereits | |
angesprochen]. | |
Bittner scheint sich in seinem Artikel und in seinem darauffolgenden Tweet | |
sehr bewusst an Feministinnen zu wenden, die sich bisher noch nicht oder | |
nicht verstärkt zu den iranischen Protesten geäußert haben – wird doch | |
andernorts viel darüber gesprochen, auch von iranischen Feministinnen | |
selbst. Wer eine hiesige Einordnung oder Solidaritätsbekundung will, wird | |
ebenfalls schnell fündig. Denn andere Feministinnen in Deutschland | |
schreiben und twittern, sie ordnen ein, und erklären, zeigen Haltungen zum | |
iranischen Kopftuchzwang – etwa Kübra Gümüşay und Anne Wizorek. Letztere | |
[7][schrieb vor kurzem auf Twitter]: „Natürlich haben die Frauen im Iran | |
meine volle Solidarität. Meine Solidarität haben alle Frauen, die über ihre | |
körperlichen Grenzen selber entscheiden wollen.“ | |
Sich gezielt Feministinnen herauszunehmen und wegen des | |
(Noch)-Nichts-Sagens anzugreifen, um Empörung zu generieren, ist in diesem | |
Fall eine überflüssige Mischung aus Generalisierung, Mansplaining und | |
Whataboutism. Der Protest im Iran sollte dafür nicht herhalten. Dafür ist | |
er zu wichtig. | |
9 Feb 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/search?q=%23GirlsOfRevolutionStreet&src=tyah | |
[2] /Debatte-Kopftuch-und-Feminismus/!5479841 | |
[3] http://www.zeit.de/2018/07/kopftuchpflicht-iran-frauen-protest-deutschland-… | |
[4] https://twitter.com/JochenBittner/status/961583682233434114 | |
[5] http://www.spiegel.de/impressum/autor-21963.html | |
[6] https://twitter.com/JochenBittner/status/961939474467966976 | |
[7] https://twitter.com/marthadear/status/961559906934456320 | |
## AUTOREN | |
Christine Stöckel | |
## TAGS | |
Feminismus | |
Schwerpunkt Iran | |
Twitter / X | |
Frauen-Fußball-WM 2023 | |
Right Trash | |
Schwerpunkt Iran | |
Schwerpunkt #metoo | |
Schwerpunkt Iran | |
Schwerpunkt Iran | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Faeser und der Frauenfußball: Eine spaßige Niederlage | |
Bundessportministerin Nancy Faeser beklatscht auf Twitter die Niederlage | |
der Deutschen gegen Kolumbien. Echt jetzt? | |
Kolumne Right Trash: Ein Diskurs zum Würgen | |
Rechte Medien und Twitterer sind nicht an einem Diskurs interessiert. Sie | |
in Massen zu blocken, wie es Jan Böhmermann empfiehlt, ist nicht totalitär. | |
Kopftuchprotest im Iran: Zwei Jahre Haft wegen Entschleierung | |
Wegen „sittlicher Verdorbenheit“ muss eine Teheranerin in den Knast, die | |
öffentlich ihre Haare zeigte. Die Justiz ist auch gegen eine | |
Frauentag-Veranstaltung. | |
Essay #metoo-Debatte: Der verdrängte Sexismus | |
Einige behaupten, die Debatte um sexuelle Gewalt und Belästigungen ist | |
übertrieben. Dabei ist sie das kein bisschen. | |
Debatte Kopftuch und Feminismus: Irans neue Protestkultur | |
Es scheint die Stunde der Frauen zu sein. Dabei wird über mehr als nur das | |
Kopftuch diskutiert. Wie viel Dissidenz verträgt das System? | |
Protestwelle im Iran: Frauen ohne Kopftuch festgenommen | |
Die Polizei nahm 29 Frauen fest, die gegen den Kopftuchzwang protestierten. | |
Sie wirft ihnen vor, ausländischer Propaganda aufgesessen zu sein. |