# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Dumme Eltern | |
> Wenn Kinder sich schlecht ernähren, dann müssen die Eltern Einfluss | |
> nehmen. Aber was soll man machen, wenn auch die Eltern nicht wissen, was | |
> gesunde Ernährung ist? | |
Bild: Gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Nur was ist das? | |
„Mein Sohn trinkt kein Wasser, der trinkt nur Saft.“ Das sagte eine Mutter | |
auf einem Elternabend in unserer Grundschule. Es ist nun schon eine ganze | |
Weile her, und es ging darum, den Kindern Mineralwasser zur Verfügung zu | |
stellen. | |
Die meisten Eltern zogen so ein gewisses Gesicht, auch ich zog ein Gesicht. | |
Denn wie hat man auf das eigene Kind eingewirkt, damit es eben nicht nur | |
Saft trinkt, sondern auch Wasser? Damit es sich nicht von Chips und | |
Schokolade ernährt? Damit es Blumenkohl isst und Radieschen, Salat und | |
Äpfel. Denn es ist ja so, jedes Kind trinkt lieber Saft als Wasser. Aber | |
man nimmt halt Einfluss und leitet es in eine Richtung. | |
Man gewöhnt sie an das, was gut für sie ist. Das ist eine Aufgabe der | |
Eltern: die eigenen Kinder gesund zu erhalten. Dass viele Eltern das nicht | |
können oder nicht wollen, zeigt, dass Eltern eben nicht am besten wissen, | |
was gut für die Kinder ist, wie es immer so schön heißt. Kinder, die Eltern | |
haben, die nicht intelligent genug sind, nicht gebildet genug oder einfach | |
nicht willens, die haben Pech gehabt. Es gibt dann noch das Argument der | |
Armut: Arme Eltern hätten nicht die Möglichkeit, sich gesund zu ernähren. | |
Meiner Ansicht nach ist das nur bedingt richtig. Gemüse und Obst sind in | |
den Discountern immerhin günstig zu haben. | |
Aber aus welchen Gründen auch immer Eltern ihre Kinder nicht gesund | |
ernähren, es bleibt ein gesellschaftliches und individuelles Problem. Sind | |
Kinder dazu bestimmt, die Defizite ihrer Eltern auszubaden? Wie viel | |
„Schicksal“ lassen wir zu? Wie moralisch ist eine Gesellschaft, die es in | |
Ordnung findet, dass Kinder dazu bestimmt sind, dieses „Schicksal“ der | |
„richtigen“ oder „falschen“ Geburt zu leben? | |
„Es ist Sache der Eltern.“ – Vielleicht ist das gesellschaftlich so | |
festgelegt. Ich bin etwas anders aufgewachsen. In meiner Kindheit war | |
vieles auch Sache der Gesellschaft, insbesondere Ernährung, weil alle | |
Eltern ganztägig arbeiteten. Diese Vergesellschaftung der Kinder in der DDR | |
führte dazu, dass die Entwicklung des Individuellen unterdrückt wurde. Ich | |
habe mich als Kind nicht immer gerne eingefügt. Die Privatisierung der | |
Kinder hingegen führt zu größeren Ungleichheiten, zu Ungerechtigkeit. | |
Vielleicht gibt es keine Lösung für dieses Problem. Vielleicht gibt es | |
überhaupt keine gute, keine gerechte gesellschaftliche Lösung. Aber eine | |
gute Ernährung sollte in einer reichen Gesellschaft,wie der unseren, ein | |
relativ leicht zu bewältigendes Problem sein. Kein Kind sollte schlecht | |
ernährt sein. Es braucht ja einfach nur Aufklärung und guten Willen. | |
„Aber wir hatten keine Milchschnitte mehr“, sagte die Mutter, als ihr Kind, | |
nach dem Frühstück befragt, antwortete, es hätte Chips gegessen. Diese | |
Geschichte habe ich von einer, die in einem Familienzentrum in Hamburg | |
arbeitete. Die Mutter, die ihrem Kind durchaus ein gesundes Frühstück | |
zukommen lassen wollte, entschied sich für Milchschnitte. Milchschnitte | |
hielt sie für ein gesundes Frühstück. | |
## Kinder essen das, was auf den Tisch kommt | |
Was soll man da machen? Wenn die Menschen ihre Ernährung nach den | |
Empfehlungen der Fernsehwerbung ausrichten? Wenn sie glauben, dass | |
Milchschnitte ein gesundes Frühstück ist, weil die Fernsehwerbung das sagt. | |
Wenn sie glauben, dass Vitamine den Kindern über Bonbons zugeführt werde | |
können. | |
Frau Otte-Kienast, die niedersächsische Landwirtschaftsministerin, schlug | |
nun ein Schulfach „Ernährung“ vor. Das wurde vom Kultusministerium | |
abgelehnt. Es sei nun mal „Sache der Eltern“. Und wenn es Sache der Eltern | |
ist, müssten dann nicht sowieso die Eltern aufgeklärt werden? Die Eltern | |
ernähren die Kinder. Die Kinder essen das, was auf den Tisch kommt. | |
Die Kinder werden es schwer haben, den Eltern eine andere Küche anzutragen. | |
Gewohnheiten lassen sich nicht durch Theorien ändern. Die Kinder müssen | |
anders essen, um anders essen zu wollen. Sie müssen auf den Geschmack | |
kommen. Sie müssen kochen. Sie müssen schmecken. Anders kann ich mir das | |
nicht vorstellen. Ich weiß nicht, ob die Schule das leisten kann. Die | |
Schule muss schon so viel. | |
24 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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