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# taz.de -- Kolumne Nach Geburt: Du kommst hier nicht rein
> Die Seehofers dieser Welt sind schuld, wenn unser Autor anfängt zu saufen
> und verlassen wird. Also lasst den Quatsch mit den Grenzkontrollen.
Bild: Es sollten keine Kontrollen stattfinden
Die Pässe habe ich schon in der Hand. Der Mann wirft einen Blick durchs
Fenster: Vater, Mutter, Kind, Kind. Vermutlich ist nichts unverdächtiger
als eine weiße Familie in einem vollgepackten Volvo im Juli auf dem Weg
nach Skandinavien. Er klappt die Finger Richtung Handfläche. Weiterfahren.
Die Familie mit – vermutlich – arabischen Wurzeln in dem Auto mit
fränkischem Kennzeichen hat nicht so viel Glück. Alle aussteigen.
Zwei Stunden später: An der Grenze zu Schweden, winkt uns die Grenzbeamtin
in ihre Spur. Der Winkel, um auf die andere Fahrbahn zu gelangen, ist
spitz, ich versuch den Wagen um den Metallpfosten zu winden, ach, was
soll’s, ich nehm die Kurve und schramme an den kleinen Pfeiler.
„Nicht so schlimm, ist das Auto von meinem Schwiegervater“, sage ich, als
ich ihr die Pässe gebe. „Den ruf ich dann jetzt mal an“, sagt sie. Und
lacht. Kurzer Blick in die Pässe. Gute Fahrt. „Tack så mycket“, sage ich.
Und lache auch.
## Wir haben es verbockt
Doch das alles fühlt sich falsch an. Hinten sitzen meine zwei kleinen
Töchter und ich werde sentimental. Es tut mir furchtbar leid für sie. Wir
haben es verbockt. Wir sind in den Jahren rund um deren Geburten falsch
abgebogen. Denn hier, an diesen beiden Grenzübergängen sollten keine
Kontrollen stattfinden.
Es gibt sie trotzdem. Und mich berührt das, weil ich es nur andersherum
kennengelernt habe: Kontrollen fielen weg. Stück für Stück. Ich bin an der
deutsch-dänischen Grenze aufgewachsen. Wir durften die Kinderausweise nicht
vergessen, wenn wir mal wieder nach Tondern fuhren: Ecco-Schuhe kaufen und
nen Hot-Dog essen.
Irgendwann in den Neunzigern brauchten wir die Ausweise nicht mehr, es
lehnte nur noch ein Pappschild mit aufgemaltem Pfeil am Fenster des
Grenzhäuschens. Und dann, in den 2000ern, verschwanden diese kleinen Buden
ganz.
Und jetzt das. Stehen bleiben, Pässe raus, musternde Blicke. Ich will nicht
in zehn oder zwanzig Jahren wie der Opa sein, der vom Krieg erzählt – und
meinen Kindern bei jedem Grenzübertritt sagen, dass das mal ganz anders
war: dass man einfach durchfahren konnte, dass an dieser Grenze Ver- und
nicht Misstrauen herrschte. Dass dann die Rechtspopulisten kamen und die
Seehofers dieses Kontinents sich an sie dranhängten und wir so all das
wieder verloren.
## Ich fange an zu saufen
Meine Töchter werden sich in ihre Sitze drücken, ihre Kopfhörer nicht
abnehmen und den Alten einfach labern lassen. Dann muss sich meine Freundin
das anhören. Das wird sie nicht lange aushalten und sich von mir trennen,
und meine Kinder werden einen Stiefpapa bekommen, den sie viel lieber haben
als mich. Ich fange an zu saufen und gerate auf die schiefe Bahn und muss
zurück zu meinen Eltern ziehen und abends mit meiner Mutter Canasta
spielen.
Canasta! Das kann doch niemand wollen! Also hört auf mit den
Scheißkontrollen! Vielen Dank. Tack så mycket.
2 Aug 2018
## AUTOREN
Jürn Kruse
## TAGS
Horst Seehofer
Grenzkontrollen
Schengen-Raum
Schweden
Alkoholismus
Nach Geburt
Kolumne Immer bereit
Nach Geburt
Ernährung
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