| # taz.de -- Verfassungsgericht soll entscheiden: AfD klagt gegen „Grenzöffnu… | |
| > Die Rechtsfraktion stellt ihre erste Verfassungsklage vor. Die mündliche | |
| > Verhandlung könnte spannend werden – wenn es denn dazu kommt. | |
| Bild: Rechter klagt über „Unrecht“: Der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner | |
| Berlin taz | „Wenn wir diese Klage gewinnen, muss Bundeskanzlerin Merkel in | |
| die Wüste gehen.“ Mit diesen Worten stellte AfD-Rechtspolitiker Stephan | |
| Brandner am Freitag – gewohnt vollmundig – die erste Verfassungsklage der | |
| AfD vor. Das Bundesverfassungsgericht soll feststellen, dass die so | |
| genannte „Grenzöffnung“ für Flüchtlinge im Jahr 2015 Rechte des Bundesta… | |
| verletzt hat. | |
| Die AfD greift damit den von CSU-Chef Horst Seehofer im Februar 2016 | |
| erhobenen Vorwurf der „Herrschaft des Unrechts“ auf. Seehofer hat den | |
| Vorwurf seither nie richtig zurückgenommen. Die angedrohte bayerische | |
| Verfassungsklage hat er jedoch auch nie auf den Weg gebracht. Jetzt ist er | |
| selbst Innenminister und sowohl für Grenzschutz als auch für Asyl | |
| zuständig. „Mit einem Federstrich könnte er das Unrecht beenden“, sagte | |
| Brandner. Die AfD hat beantragt, dass Seehofer bei einer mündlichen | |
| Verhandlung in Karlsruhe persönlich Stellung nehmen soll. | |
| Nach Ansicht der AfD müssten eigentlich fast alle Asyl-Antragsteller an der | |
| deutschen Grenze zurückgewiesen werden, weil sie aus sicheren Drittstaaten | |
| (wie Österreich) einreisen. So steht es auch im deutschen Asylgesetz (§ | |
| 18). Dies würde 99 Prozent der Asylantragsteller betreffen; nur wer mit dem | |
| Flugzeug einreist, würde ein Asylverfahren erhalten. „Eine Abweichung | |
| hiervon, ist vielleicht zwei bis drei Tage möglich, aber nicht zwei bis | |
| drei Jahre“, sagte Brandner. | |
| Allerdings steht im Asylgesetz auch, dass die Zurückweisung nicht | |
| stattfindet, wenn es abweichende EU-Vorschriften gibt. Und hier kommt die | |
| Dublin-III-Verordnung ins Spiel. Sie sieht vor, dass zunächst alle | |
| asyl-antragstellenden Ausländer aufzunehmen sind, dass dann das Land | |
| bestimmt wird, das für das Asylverfahren zuständig ist und anschließend der | |
| Ausländer in einem geregelten Verfahren dorthin überstellt wird. | |
| Bei einem Flüchtling, der in Italien die EU betrat, wäre in der Regel | |
| Italien zuständig. Nach Auslegung der AfD müsste der Asylantragssteller | |
| dagegen in Österreich bleiben und Österreich auch das Asylverfahren | |
| durchführen. Diese Theorie ist im rechten juristischen Lager zwar weit | |
| verbreitet, entspricht aber nicht der Regelungstechnik der | |
| Dublin-Verordnung. | |
| ## Selbsteintrittsrecht beschränken | |
| Nächster Dissens: Die AfD verlangt, dass die Flüchtlinge, die im Land sind, | |
| entsprechend der Dublin-Regeln dann aber auch wirklich alle an die | |
| zuständigen Staaten überstellt werden. Die Bundesregierung beruft sich aber | |
| auf ein in der Dublin-Verordnung auch enthaltenes „Selbsteintrittsrecht“. | |
| Danach kann Deutschland jederzeit Asylverfahren durchführen, für die | |
| eigentliche andere EU-Staaten zuständig sind – zum Beispiel, um Chaos in | |
| Europa zu verhindern und die sonst völlig überlasteten Südländer wie | |
| Italien zu entlasten. | |
| Die AfD will das Selbsteintrittsrecht jedoch auf wenige humanitäre | |
| Einzelfälle beschränken. Ein weitergehendes Selbsteintrittsrecht sei der | |
| Regierung aus verfassungsrechtlichen Gründen verboten, denn seit 1993 sei | |
| das Asylrecht des Grundgesetzes ausgeschlossen, wenn jemand aus einem | |
| sicheren Drittstaat einreist. Diese Beschränkung gilt aber eben nur für das | |
| grundgesetzliche Asylrecht, das deshalb seit 1993 faktisch keine Rolle mehr | |
| spielt. Die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung im europarechtlich | |
| fundierten Asylrecht ist damit wohl nicht beschränkt. | |
| ## AfD vermisst ein Gesetz | |
| Kern der AfD-Annahme ist also, dass die Bundesregierung mit der | |
| Grenzöffnung gegen deutsches Recht verstieß und damit faktisch eine | |
| „Grundsatzentscheidung für millionenfache Einwanderung“ traf. Eine solche | |
| Grundsatzentscheidung hätte aber der Bundestag per Gesetz beschließen | |
| müssen, so die AfD. Der Verzicht darauf verletze die Gewaltenteilung | |
| zwischen Regierung und Parlament. | |
| Für den Einlass an der Grenze trifft der Vorwurf sicher nicht zu. Hier ist | |
| die Dublin-III-Verordnung die maßgebliche Norm. Die Regierung wendet das | |
| Gesetz an und trifft keine politische Entscheidung. Auch die Überforderung | |
| nach 2015, die dazu führte, dass hundertausendfach ohne konkrete | |
| Entscheidung die Sechs-Monats-Frist für Dublin-Abschiebungen verstrich, ist | |
| kein tauglicher Gegenstand für ein Gesetz. | |
| Dagegen wäre der massenhafte politisch motivierte Selbsteintritt zur | |
| Entlastung anderer EU-Staaten durchaus einer parlamentarischen | |
| Grundsatzentscheidung zugänglich gewesen. Die Bundesregierung hat hierauf | |
| wohl vor allem aus Angst vor renitenten Unions-Abgeordneten verzichtet. An | |
| diesem Punkt könnte die AfD-Klage in der Sache durchaus Erfolg haben. | |
| ## Zu spät | |
| Doch kann die AfD diesen Konflikt aus dem Jahr 2015 tatsächlich drei Jahre | |
| später zum Bundesverfassungsgericht bringen? Es ist zwar grundsätzlich | |
| möglich, dass eine Fraktion Rechte des ganzen Bundestags einklagt. Für eine | |
| derartige Organklage gegen die Bundesregierung gilt jedoch eine halbjährige | |
| Frist, die längst abgelaufen ist, schließlich war die AfD 2015 noch gar | |
| nicht im Bundestag. | |
| Deshalb will die AfD die Frist erst mit ihrem Einzug in den Bundestag im | |
| Oktober 2017 beginnen lassen. Mit diesem Argument könnte sie nun aber sogar | |
| Vorgänge aus der Adenauer-Ära heute noch mit der Organklage angreifen. | |
| Sicherheitshalber betont die AfD deshalb auch, dass der Verfassungsverstoß | |
| ja auch in der laufenden Wahlperiode andauere. „Täglich werden 500 neue | |
| Asylantragsteller an der Grenze eingelassen“, sagte der Kölner Anwalt | |
| Ulrich Vosgerau, der die 99-seitige Klageschrift verfasst hat. | |
| ## Voßkuhle ist zuständig | |
| Vosgerau ist in dieser Diskussion eine prominente Figur, denn er hat den | |
| Begriff der „Herrschaft des Unrechts“ im November 2015 als erster benutzt, | |
| damals in einem Aufsatz der Zeitschrift Cicero. Horst Seehofer hat ihn drei | |
| Monate später populär gemacht. | |
| Wenn das Bundesverfassungsgericht die AfD-Klage als zulässig akzeptiert, | |
| muss es eine mündliche Verhandlung durchführen. Es wird aber mindestens | |
| noch einige Monate dauern, bis hierüber entschieden wird. Federführender | |
| Richter für das Verfahren ist Präsident Andreas Voßkuhle, der für | |
| Parlamentsrecht zuständig ist. | |
| Trotz der naheliegenden formalen Bedenken wäre es wohl wünschenswert, wenn | |
| dieser Streit in einer mündlichen Verhandlung ausgetragen werden könnte und | |
| das Verfassungsgericht inhaltlich Stellung nehmen würde. Der Vorwurf von | |
| der „Herrschaft des Unrechts“ ist wohl nur noch aus der Welt zu schaffen, | |
| wenn sich eine von allen akzeptierte Instanz in transparenter Form mit den | |
| Vorwürfen auseinandersetzt. | |
| 18 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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