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# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Werte und WLAN
> Der toxische Heimatwahn der CSU ist leider nicht nur ein Problem der
> Bayern. Das ganze Land muss sich jetzt mit Wertekundequatsch befassen.
Bild: Formvollendete Heimatinszenierung: CSU-Politiker vor güldenem Gipfelkreuz
Eins muss man der CSU lassen: Heimatinszenierung kann sie. Als sich am
Montag die Groko-Fraktionschefs auf 2962,06 Metern Höhe zur Tagung
einfanden leuchtete der Himmel blau-weiß über dem Zugspitzmassiv. Der
Ausblick: inspirierend, das WLAN tadellos, da hatte der Scheuer-Andi,
Spezialminister für digitale Infrastruktur, persönlich dafür gesorgt. Und
im Hintergrund, gut sichtbar auf sämtlichen Pressefotos, leuchtete gülden
das Gipfelkreuz. Laptop und Lederhos’n, die CSU hat die Heimat im Griff, so
die unmissverständliche Botschaft derer, denen die Landtagswahl so dermaßen
im Nacken sitzt, dass sie Koalition und Republik mit täglich neuen
Ausländer-raus-Vorschlägen strapazieren.
Man muss sich, ausgehend vom Zugspitzen-Auftritt und all dem Gerede über
sogenannte Anker-Zentren für Geflüchtete und einer angeblichen
„Anti-Abschiebe-Industrie“ (Dobrindt), fragen, ob es auch so was gibt wie
eine blöde Heimatliebe: die Zugspitze als Kulisse missbrauchen, aber
gleichzeitig mit Megaseilbahnen und neuen Skischaukeln die Alpen
kaputtmachen? Die liebliche Landschaft und die Bauern rühmen, aber Nitrat
und Stickstoffdünger auf die Felder pumpen lassen? Heimische Autohersteller
schützen wollen – und bayerische Wohnmobile mit dreckigen
Fiat-Diesel-Motoren auf die Straßen schicken?
Die Satiriker von der Biermösl Blosn haben diese toxische Heimatliebe
längst angemessen gewürdigt: „Grüaß di God, Autobahn, pfia di God,
Auerhahn! Grüaß di God, Heimatmuseum, grüaß di God, Squashzentrum! Grüaß …
God, AKW, grüaß di God, Co. KG! Grüaß di God, ois’ beinand, tschüß,
Bayernland!“
Leider ist die CSU-Profilneurose aber nicht mehr nur Problem der Bayern,
die ja auch selber schuld sind, weil sie aktuellen Umfragen zufolge stolze
42 Prozent Zustimmung für die CSU signalisieren. Seitdem aber Horst
„Ankerzentrum“ Seehofer Innenminister ist, Andreas „Diesel“ Scheuer
Verkehrsminister und Markus „Kruzifix“ Söder Bayern regiert, geht der
Wahnsinn uns alle an. Von Darmstadt bis Flensburg, von Erfurt bis
Saarbrücken muss man sich jetzt mit Forderungen wie der nach einem
„Werteunterricht“ für geflüchtete Kinder auseinandersetzen.
## Benimm für Ausländerkinder
Als gute Populisten haben Seehofer und Konsorten natürlich offengelassen,
wie sie sich einen solchen Unterricht genau vorstellen. Sollen das
Benimmkurse für Ausländerkinder sein, etwa statt Religionsunterricht (weil:
der wird in unseren Schulen selbstverständlich weiterhin nur für Christen
angeboten)? Oder sollen Abdurrahman und Fadila künftig gleich im
„Anker-Zentrum“ von einem freundlichen Integrationslehrer lernen, wie man
sich zur Begrüßung die Hand gibt, den Müll trennt, Streit mit Hilfe von
Behörden und Justiz löst und ohne Kopftuch, aber mit Helm Fahrrad fährt?
Keine Frage: Es gibt eine Menge staatsbürgerlicher und kultureller
Errungenschaften, die sich zu vermitteln lohnen. Dass Bürger, auch schon
als Kinder, Rechte haben in diesem Staat. Dass es Meinungsfreiheit gibt und
ein Recht auf gewaltfreie Erziehung und kostenlose Bildung. Dass Frauen
nicht als minderwertig betrachtet werden und Gewaltenteilung herrscht. Dass
alle das Recht haben, sich weder von Religion noch Tradition behindern zu
lassen.
Zu einem solchen Unterricht gehörte eigentlich auch, dass wir eine
lebendige Zivilgesellschaft haben, die all das einfordert. Ein schönes
Anschauungsbeispiel lieferten da neulich die Geflüchteten, die sich in
einer Ellwanger Massenunterkunft der Abschiebung eines Togolesen widersetzt
haben: So viel Solidarität, so viel Zivilcourage! Das mögen wir doch hier,
oder?
Scherz. Eigentlich ist der ganze Wertekundequatsch vor allem deshalb
ärgerlich, weil er so überflüssig ist. Es gibt diesen Unterricht längst. Er
heißt mal Politische Weltkunde, mal Sozialkunde, mal Ethik und wird an
allen Schulen Deutschlands standardmäßig gelehrt. Schließlich kommen auch
Kinder deutscher Eltern nicht als kleine Demokraten zur Welt, was jeder
studieren kann, der selbst Kinder hat oder die Gelegenheit, welche aus der
Nähe zu beobachten. „Wir hauen uns nicht so lange auf den Kopf, bis der
Schwächere nachgibt, sondern versuchen unsere Konflikte verbal zu lösen“
gehört zum kleinen Regel-Einmaleins jeder Kindertageseinrichtung – zum
Glück.
Nun zum Wesentlichen: Es wurde auch über Mieterschutz gesprochen auf der
Zugspitze. Eine „Wohnungsbauoffensive“ steht an, mit einem Baukindergeld
(für Familien der oberen Mittelschicht). 1,5 Millionen neue Wohnungen bis
2021 (für alle, die sich die Miete für eine Neubauwohnung leisten können).
Und für den Rest? Soll es eine „Nachbesserung“ der Mietpreisbremse geben.
Komisch: Den Begriff „kommunaler Wohnungsbau“ hat man kein einziges Mal
gehört. Die Zugspitze ist halt nicht gerade home turf der SPD. Vorschlag:
nächstes Groko-Treffen in Berlin-Mitte.
12 May 2018
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Schwarz-rote Koalition
Alexander Dobrindt
Horst Seehofer
christliche Werte
Christen
Bayern
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Flüchtlinge
Ankerzentren
Ellwangen
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